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Heyne Science Fiction Classics 21 - Hans Wörner

Heyne Science Fiction ClassicsDie Heyne Science Fiction Classics
Folge 21: Hans Wörner
Wir fanden Menschen

Von den sechziger bis Anfang der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen als Subreihe der Heyne Science-Fiction-Taschenbücher mehr als hundert Titel unter dem Logo „Heyne Science Fiction Classics“. Diese Romane und Kurzgeschichten werden in der vorliegenden Artikelreihe vorgestellt und daraufhin untersucht, ob die Bezeichnung als Klassiker gerechtfertigt ist.

In der Reihe der Heyne Science Fiction Classics sind mehrere Romane von deutschen Autoren erschienen, welche in drastischen Worten das Ergebnis von Atombombenversuchen bzw. eines Atomkrieges schildern. Diese Romane wurden unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki geschrieben. Ernst von Khuons Helium haben wir bereits vorgestellt, heute ist Hans Wörner mit Wir fanden Menschen dran. Zwei weitere dieser Subspezies der „Past-Doomsday-Geschichten“ werden wir in den nächsten Wochen kennenlernen.

Hans Wörner (1904 – 1963) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Wie so viele andere seiner Generation wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Eine Verwundung rettete ihm das Leben, denn dadurch wurde er aus Stalingrad ausgeflogen. Er geriet in englische Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung nahm er seinen Beruf wieder auf und veröffentlichte neben seiner journalistischen Tätigkeit mehrere Romane, darunter auch Wildwest-Romanhefte. Nachdem er in wirtschaftliche Probleme geriet, blieb ihm 1963 nur noch der Weg in den Freitod.

Heyne Science Fiction ClassicsDas große Unglück, in dem eine Verderben bringend Lichtwalze das Land verheert hat, ist sieben Jahre her. Ein Schiff legt an einer versandeten Bucht des toten Landes an, um Kundschafter auszusenden. Drei vierachsige, gepanzerte und gegen die Radioaktivität mit Bleimänteln ausgestattete Wagen werden ausgeschifft. Die drei Kundschafter Peer, Mike und Naul fahren mit guten Wünschen los. Kapitän Forage bittet sie, vorsichtig zu sein und bei Gefahr lieber zurückzukehren. Die Abgesandten der letztjährigen Expedition Richards und Canda sind seit ihrem Aufbruch verschollen. Kapitän Forago wird nach drei Wochen zurückkehren und eine Woche auf die Expeditionsteilnehmer warten. In der Hafenstadt stoßen die Forscher auf die ersten Leichen, Menschen, über die der Lichtblitz hinweggefahren ist und sie sofort mumifiziert hat. Als einziges Leben sind Ameisen zu finden, die damit beginnen, den früheren Lebensraum zurückzuerobern. Doch was ist das? Ein lebendiges zweijähriges Kind, ein Mädchen, in Lumpen gehüllt, ein Wunder! Die Forscher nehmen das Kind mit, füttern es, baden es und kleiden es neu ein. Zwei Männer tauchen auf, herabgekommene, schmutzige Gestalten, in deren Gesicht ein höhnisches Lachen steht. Das Mädchen läuft zu ihnen, sie verschwinden mit ihm in die Dunkelheit. Am nächsten Tag fliegt aus einem zerbrochenen Fenster ein kleiner, toter Körper auf die Straße vor die Fahrzeuge. Es sind die Überreste des Mädchens. Die Expeditionsteilnehmer begraben das Kind, das von Leuten ermordet worden ist, welche verloren haben, was sie zu Menschen gemacht hat.

Die Forschungsfahrt geht weiter, um eine bittere Erfahrung reicher, tiefer hinein in das tote Land.

Der Nebel entließ sie. Die Sonne gab ihnen Sicht über die verbrannte Ebene und die flachen Senken, die von einem ersten, um sein Leben ringenden Grün mählich überzogen zu werden schienen. Aber es gab nur sehr wenige solcher Stellen, an denen es sich verlohnte, anzuhalten.

Die Wagen bestaubten zu stumpf grauen Kolossen, und der Staub drang wie ein Gas durch alle Dichtungen der Türen und Glasscheiben. Er bedeckte die Männer, ihre Handschuhe, die Gläser ihrer Armuhren. Er drang in ihre Taschen und knirschte zwischen ihren Zähnen. Er schmeckte fremd, wie von einer ursprünglichen Wildheit gewürzt, schien es Peer... […]

So mitten in der Nacht, wie das Unglück damals geschah, war die Straße leer, ganz wenige Fuhrwerke standen auf morschen Rädern mit zerwaschenen Wagenkästen und mürben Planen auf der schmalen Fahrbahn, die Gerippe der Gäule lagen niedergebrochen zwischen den Deichseln.

(Zitiert aus: Hans Wörner: Wir fanden Menschen. München 1975, Heyne SF 3349, S.30)

Tote Dörfer tauchen auf, die Überreste der Stahlung sind aber nicht überall gleich. In einem Dorf stößt das Team auf den Wagen von Richards Expedition, doch das Fahrzeug ist seit Langem verlassen. Wo sind die Gefährten? Weitere Menschen werden gefunden, herabgekommene, aggressive Gestalten, welche eine Barriere vor den Wagen aufrichten. Doch die schweren Wagen brechen durch und fegen die Barriere wie nichts zur Seite. Auch in der nächsten Stadt leben Menschen, welche sich gegenseitig bestehlen und verletzen. Haben nur Asoziale überlebt oder sind die Menschen einfach so tief herabgesunken? Die Forscher geraten in eine Falle, der Mike zum Opfer fällt und stirbt. Nur mehr zwei Wagen fahren weiter. Endlich finden Peer und Naul einen Mann, mit dem sie einigermaßen vernünftig kommunizieren können, nachdem sie ihn aufgepäppelt haben. Salvo war früher Arzt. Er erzählt, dass die Abgesandten als Angehörige des Feindes gesehen werden, der den Lichtblitz über das Land geschickt hat, und deswegen überall so feindlich empfangen werden. Aber nein, sagen sie, die Katastrophe ist auf ein fehlgeschlagenes Experiment im Land selbst zurückzuführen. Aber wer kann das jetzt noch beweisen? Salvo gibt eine Schilderung des grauenvollen Überlebenskampfes der Menschen ab:

„Gegen Ende des fünften Jahres waren alle Städte tot, außer dieser dort … wir lebten zu eintausend Menschen ... wir sanken durch Morde und Plünderungen immer tiefer … aus den besten Häusern in die guten … aus den guten in die schlechten … aus den schlechen in die Keller … wir lernten, daß wir schmutzig und arm sein mußten, wenn wir überleben wollten … Viele warfen ihr Leben weg … aber eine neue Auslese kam, als uns die Ameisen die Wege wiesen, die man wieder sehen konnte … aus der erbärmlichen Sicherheit der Keller lockten sie uns zu den Vorräten in einzelnen Dörfern … Sie wurden besetzt, verteidigt, angegriffen, geplündert, verraten, in Brand gesteckt … […] Haben Sie den Begriff, was ein Rattenwolf bedeutet?“

(Zitiert aus: Hans Wörner: Wir fanden Menschen. München 1975, Heyne SF 3349, S. 94f)

Salvo bittet, seine Tochter zu retten, die auch überlebt hat, aber den Männern zu Willen sein muss. Dies gelingt zwar, aber der Vater übersteht die Aktion nicht. Mit der jungen Frau, der sie in Erinnerung an ihren Kameraden den Rufnamen Mike geben, fahren Peer und Naul weiter. Nauls Wagen geht kaputt, und der Fahrer wird beim Fußmarsch zum anderen Fahrzeug verstrahlt. Mike kann helfen, sie wäscht Naul den kontaminierten Staub vom Körper. Naul erleidet zwar Verbrennungen, überlebt aber. Es finden sich noch immer keine Spuren der Richards-Expedition. Haben die Kameraden den Weg zu Fuß zum Hafen gesucht? Mit dem letzten funktionsfähigen Wagen fahren die Freunde zurück. Tatsächlich finden sie die Gesuchten, zwei verwahrloste, schmutzige, elende Gestalten, die verzweifelt auf Rettung gewartet hatten. Als Kapitän Forago mit dem Schiffe eintrifft, berichtet Peer über die Erlebnisse der Expidition mit dem Satz „Wir fanden Menschen.“

Heyne Science Fiction ClassicsDer Roman erschien erstmals 1948. Mit einer kargen, manchmal holprig wirkenden Sprache beschrieb der Autor die Auswirkungen des Schreckens. Ihm wurde in einer Kritik ein mangelhafter literarischer Stil und mangelhafte Ausarbeitung des Charakters vorgeworfen. Das kann man durchaus so sehen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das auf beschränkte literarische Ausdrucksmöglichkeiten Wörners zurückzuführen oder ein gewolltes Stilmittel war. Auf jeden Fall wurde eindrucksvoll aufgezeigt, in welche Niederungen Menschen in Extremsituationen herabsinken können und welche Verwundungen an Mensch und Natur die Schrecken des Krieges erzeugen können. In diesem Sinn ist der Roman ein wertvoller Titel in der Reihe der Heyne Science Fiction Classics. Nach dieser Ausgabe gab es noch eine weitere in Ullsteins Ozeanischer Bibliothek, die im Orwell-Jahr 1984 eine Reihe von Dystopien präsentierte. Insgeamt elf Bände sind in dieser interessanten Reihe herausgekommen.


Titelliste von Hans Wörner

Anmerkung:
Es werden die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics sowie die Erstausgabe des Werks angeführt.


1975

3449 Wir fanden Menschen
Erstausgabe: Braunschweig 1948, Limbach


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Tags: Science Fiction and Fantasy

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