Andy Warhols Frankenstein - Im Schloss des Grauens
Im Schloss des Grauens
Paul Morrissey (1938-2024) hatte seit 1964 Kurzfilme gedreht, und wurde bereits zwei Jahre später engagiert, um den Andy-Warhol-Film „Chelsea Girls“ zusammen mit dem exzentrischen Künstler zu inszenieren. So kam Morrissey erstmals in Kontakt mit den Superstars der Warhol-Factory, wie Brigid Polk, Nico, Ondine oder Edie Sedgwick. Schnell gehörte Morrissey zu den Unentbehrlichen rund um Warhol und inszenierte in dessen Namen schnell auch höher budgetierte Filme, in denen häufig das männliche Model Joe Dallesandro in der Hauptrolle agierte und zumeist dafür nur wenige Kleider am Leib trug. Filme wie „Flesh“, „Trash“ und „Heat“ etablierten den gut aussehenden jungen Mann auf der internationalen Filmszene als Kassenmagnet. Zu Beginn der 1970er Jahre wollte man um Dallesandros Sexszenen etwas ausgeklügeltere Handlungen stricken und entschied sich schließlich, mit „Flesh for Frankenstein“ (Andy Warhols Frankenstein) das Horrorgenre in eine neue Dimension zu hieven. Nicht nur, dass der Film im 3D-Verfahren gedreht und in die Kinos gebracht wurde, zeigt er auch deutlich mehr Sex und Blut als die in dieser Hinsicht ebenfalls nicht gerade zimperlichen Neuverfilmungen der Hammer-Studios. Zeitgleich drehte das annähernd gleiche Team mit „Andy Warhols Dracula“ auch noch ihre ganz spezielle Variante eines weiteren Gruselklassikers, der die Grenzen des Darstellbaren ebenfalls auslotete und in Genrekreisen längst Kultstatus genießt.
Baron Frankenstein (Udo Kier) experimentiert mit seinem treuen Assistenten Otto (Arno Juerging) auf seinem abgelegenen Schloss unbehelligt vor sich hin. Die Leichen türmen sich in seinem Laboratorium, denn der Wissenschaftler ist besessen davon, zwei künstliche Menschen nach seinen Idealvorstellungen zu schaffen und diese sich dann miteinander paaren zu lassen. Seine weibliche Kreatur (Dalila Di Lazzaro) ist bereits vollendet, nun braucht es noch einen männlichen Gegenpart, der möglichst sexversessen sein soll. Deswegen suchen Frankenstein und Otto ein Bordell in der Stadt auf, um sich einen der Kunden zu schnappen, nachdem er dieses nach vollendeten Taten verlässt. Ihr Auserwählter ist Sascha (Srdjan Zelenovic), der mit seinem volltrunkenen Kumpel Nicholas (Joe Dallesandro) aus dem Bordell kommt. Die beiden ahnen nicht, dass Nicholas eigentlich der sexuell aktivere ist, der Sascha lediglich zum Bordellbesuch angestachelt hatte, bevor dieser Mönch werden und enthaltsam leben wollte. Otto schlägt Nicholas nieder, während Frankenstein Sascha den Kopf abtrennt, den er auf einen perfekten männlichen Körper verpflanzen möchte. Kurz danach macht auch Baroness Frankenstein (Monique van Vooren) die Bekanntschaft von Nicholas, den sie zu ihrem sexuellen Zeitvertreib als Hausdiener anstellt. Bei einem gemeinsamen Abendessen auf dem Schloss trifft Nicholas auf seinen eigentlich bereits toten Freund…
Was im Original von Mary Shelley höchstens angedeutet wurde, wird in Paul Morrisseys Variante des klassischen Gruselstoffes nun explizit gemacht: die sexuelle Komponente bei künstlich geschaffenen Menschen. Wie in den von Andy Warhol produzierten Filmen üblich, geht es auch hier recht deutlich zur Sache, nicht nur hinsichtlich der Nacktszenen, sondern auch, was den Blut- und Gore-Faktor anbelangt. Der in tollen Dekors edel fotografierte und trotz der drastischen Bebilderung sehr geschmackvoll inszenierte Film ist eine sehenswerte Alternative für Genrefans, die auch in über 50 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. Zu Rezensionszwecken standen lediglich die beiden BluRays des Mediabooks zur Verfügung. Darauf findet sich der Film wahlweise in einer 2D-, 3D- und einer anaglyphen 3D-Fassung mit einem exzellenten Bild (im Widescreen-Format 2,35:1), das keine Ansprüche mehr offenlässt. Auch der Ton (Deutsch und Englisch im DTS HD-Master Audio 5.1, optional mit deutschen und englischen Untertiteln) ist nicht zu beanstanden. Das umfangreiche Bonusmaterial enthält einen Audiokommentar von Regisseur Paul Morrissey sowie einen weiteren mit den Filmhistorikern Samm Deigham, Heather Drain und Kat Ellinger. Hinzu kommen neuere Interviews mit Morrissey (50 Minuten), zwei mit Udo Kier (18 respektive 41 Minuten), mit Joe Dallesandro (13 Minuten), Liú Bosisio (13 Minuten), Produzent Andrew Braunsberg (11 Minuten), Ausstatter Gianni Giovagnoni (29 Minuten), Regieassistent Paolo Pietrangeli (16 Minuten) und dem Filmjournalisten Stephen Thrower (16 Minuten). Ebenfalls enthalten sind Probeaufnahmen (4 Minuten), ein Q&A mit Paul Morrissey (34 Minuten), „Erinnerungen“ mit Paul Morrissey (24 Minuten), der englische Kinotrailer, Radiospots sowie eine sehr umfangreiche Bildergalerie (rund 180 Motive).