Reeve, Philip - Larklight (Taschenbuch, engl.)
LARKLIGHT
Philip Reeve und David Wyatt
Taschenbuch, 416 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-10: 1599901455
ISBN-13: 978-1599901459
Bloomsbury Publishing PLC
Ich weiß: Norbert hat die
deutsche Fassung bereits rezensiert, aber eine zweite Meinung kann ja nicht
schaden, oder? Aber - eigentlich ist das gar keine abweichende Meinung... :o)
Wir schreiben das Jahr des Herrn 1851. Im britischen Imperium herrscht Königin Victoria über England, die amerikanischen Kolonien und die Besitztümer der Krone auf Mond, Mars und anderen Planeten des Sonnensystems. Das Universum von Larklight ist definitiv nicht das, welches wir kennen 1703 entwickelte Isaac Newton den Ätherantrieb, seitdem eifersüchtig gehütet von den Alchimisten der Royal Alchemists Society und der Grund für die unangefochtene Vormachtstellung der Engländer. All dies weist bereits darauf hin: Dieses Kinderbuch kommt very british daher.
Aber
genau das ist der ganz besondere Charme von Larklight, denn der Autor versteht
es vortrefflich, die Stimmung des Landes und der Zeit einzufangen und mit dem
von ihm erdachten Steampunk-Universum zu etwas überaus Originellem und
Kurzweiligem zu vermischen.
Und
obwohl es sich um ein Kinderbuch handelt, werden Erwachsene absolut ihre Freude
daran haben, denn auch für sie gibt es diverse Anspielungen, abgesehen davon
ist die Fabulierkunst des Autoren mehrere Güteklassen über der anderer
Jugendbuchautoren angesiedelt (ich will hier keine Namen nennen).
Ein
paar Hinweise, ohne auf handlungswichtige Details einzugehen:
Die
Kinder Art und Myrtle Mumby leben zusammen mit ihrem Vater, einem
Ichtyomorph-Forscher, in Larklight, einem Haus das zusammen mit dem Mond um die
Erde kreist. Eines Tages wird ihr Heim von Mr. Webster und seinen
Helfershelfern überfallen, die Kinder müssen fliehen und es beginnt eine
fantastische Reise durch unser Sonnensystem, vom Mond über die Venus bis zu den
Mondes des Jupiter und den Ringen des Saturn. Selbstverständlich sind die
meisten Welten für Menschen bewohnbar, wenngleich es auch manchmal Schwierigkeiten
mit der Schwerkraft gibt, die nicht selten weniger als ein BSG (British
Standard Gravity) beträgt. Gereist wird an Bord des Ätherseglers Sophronia, der
wohl nicht ganz zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit Segelschiffen aufweist
und auch sonst erinnert an der Ätherfliegerei doch deutlich der britischen
Seefahrt wie wir sie kennen, wenn auch der erste Maat schonmal ein vierarmiger
Ionianer sein kann, oder ein anderes Besatzungsmitglied eher aussieht wie eine
übergroße Krabbe.
Kapitän
des Ätherschiffes ist der berüchtigte und gefürchtete Pirat Jack Havock, dem
man wahrlich nichts Gutes nachsagt...
In
der Tour de Force durchs Sonnensystem lernt man zahlreiche farbenfrohe
Charaktere des Jahres 1851 kennen, von denen zumindest manch einer der Menschen
auf realen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte basiert. Natürlich gilt es
nichts Geringeres als den Untergang des britischen Empire abzuwenden (nebenbei
würde noch das gesamte Sonnensystem dran glauben müssen, aber das ist für die
Protagonisten wohl eher zweitrangig).
Das
Szenario ist feinster Steampunk von einer Sorte, wie es ihn leider viel zu selten
gibt. Ätherschiffe, Häuser die im All schweben, buntquirlige Häfen auf Io und
riesige Maschinen mit Metallstreben und Nieten bekommt man in Larklight geboten, ohne dass die Erzählung technisch zu
werden droht. Steampunk ist nicht Selbstzweck, sondern Träger für die Handlung
und die Charaktere. Die sind natürlich von der gottgegebenen Überlegenheit
Englands überzeugt, aber natürlich passt das ebenso ins Bild der Zeit (und der
Protagonisten), wie Arts und Myrtles Frauenbild, aber beides ist auf derart
charmante Weise beschrieben und kommt oftmals mit einem Augenzwinkern daher,
dass es die Lesefreude eher verstärkt. Ohnehin ist der Schreibstil der Zeit
gemäß, ohne altmodisch oder aufgesetzt zu wirken, ein Kunstgriff, den man auch
erst einmal hinbekommen muss und den Reeve ohne Stolpern gemeistert hat. Und
neben dem Steampunk gibt es ja beispielsweise auch noch Pilzmänner auf dem
Mond, die klassischen, entfernt elfenähnlichen Marsianer auf dem roten
Planeten, vielbeinige Gegenspieler und den größenwahnsinnigen Irren. Von ein
paar unerwarteten Überraschungen mal ganz abgesehen.
Ich
muss zugeben: Larklight war so ziemlich das originellste und kurzweiligste
Buch, das ich seit Langem gelesen habe und das obwohl oder grade weil? - es
ein Kinderbuch war. Ich kann mich Norberts Einschätzung nur anschließen: Es ist
ein Muss für Phantastikfreunde mit oder ohne Interesse an Steampunk und für
alle anderen eigentlich ebenfalls. Für ausgewiesene Freunde letzteren Genres -
wie mich - ist es nahezu eine Offenbarung.
Als
zusätzliche Sahne auf dem Kuchen darf man die stilistisch bei zeitgenössischen
angelehnten und großartig gelungenen Zeichnungen von David Wyatt betrachten.
Bestellt
euch das englische Taschenbuch bei Amazon, Marsianer und Marsianerinnen, mutige
Ätherkapitäne und vierarmige Ionianer, diese 5 Euro 99 sind verdammt gut
angelegt. Und dann Sail ho! zur Venus!
Der
zweite Band - Starcross - ist schon raus, insgesamt sollen es drei werden,
die wohl alle inhaltlich abgeschlossen sind. Ich will mehr! Und verfilmt wird es offenbar auch...