Der Heftroman: »Die Nr. 1« - Union Pacific
Union Pacific
Und er muss Lust auf eine Fortsetzung machen. Wenn der Leser den Folgeband schlicht haben will, dann hat es funktioniert.
In unregelmäßigen Abständen möchte ich einige Nr.-1-Bände der Vergangenheit nun näher betrachten.
Der Herr der wilden Stadt
Roy Maddock, Bahnmarshal der Union Pacific Railroad, versucht, Sabotageakte auf die Material- und Lebensmittellieferungen für ein abgelegenes Bahn-Camp aufzuklären. Die Arbeiten an der Nebenstrecke der UPRR sind bereits ins Stocken geraten, und wenn der Fertigstellungstermin nicht gehalten wird, wird auch nur die Hälfte der vereinbarten Summe ausbezahlt.
Auch der Materialzug, den er begleitet, wird überfallen, ohne dass er eingreifen kann. Er muss den verletzten Lokführer und Heizer zurück lassen, um Hilfe zu holen. Dank einer glücklichen Fügung – der Begegnung mit Reverend Noah Carry – gelingt ihm das Durchkommen zur Depotstation der Union Pacific.
Und der trinkfreudige Reverend macht ihn zudem auf Camp Connor aufmerksam – dem Sündenpfuhl: Eine Zeltstadt, die den Bahnarbeitern folgt.
Schnell wird Marshal Maddock im Camp Connor auf den zwielichten Saloonbetreiber George Bellamy aufmerksam, der den Bahnarbeitern versetzten Brandy andreht. Hat der Mann auch ein Interesse daran, die Bahnarbeiten insgesamt still zu legen?
Obwohl „Der Herr der wilden Stadt“ als Nr. 1 auf dem Markt kommt, ist es nicht Roy Maddocks erstes Abenteuer: Er war bereits der Hauptcharakter der direkten Vorgängerserie FEUERROSS, durfte hier bereits 28 vierzehntägig erscheinende Abenteuer erleben.
Immerhin ist dies der erste Roman von John Grey, und mit diesem Band wird das Szenario um den Bahnmarshal neu definiert: Waren die FEUERROSS-Romane (wie bereits TOM FRISCO) als direkter Konkurrent von LASSITER – mit der hervorgehobenen Erotik-Komponente - angelegt, wurde mit dem UNION PACIFIC-Neustart das eigentliche Westernthema wieder deutlich in den Vordergrund geschoben.
Allerdings wird die Figur Roy Maddock nicht großartig eingeführt. Er ist Marshal im Dienste der Union Pacific, und recht viel mehr gibt es zu seiner Person auch nicht zu sagen.
Und fast wird die Figur zu Anfang gleich von John Grey demontiert: Obwohl bereits zwei Züge überfallen wurden, obwohl er mit einem Überfall rechnet, wird er überrascht. Auch der dritte Zug wird zerstört, Lokführer und Heizer verletzt, und er selbst kann nicht eingreifen. Einerseits realistisch geschildert, andererseits frägt man sich: Hätte Maddock da nicht vorausschauender handeln können oder gar müssen?
Die Handlung verläuft insgesamt sehr geradlinig mit einer einzigen überraschenden Komponente – die aber zu wenig herausgearbeitet wurde: Der Bösewicht im Hintergrund ist letztlich für den erfahrenen Leser leicht zu erahnen, da die im Roman namentlich auftauchenden Figuren recht wenig sind und die Auswahl begrenzt ist.
Die Einführung des Reverends überzeugt, Bellamy verbrecherisches Vorgehen gegen die Bahnarbeiter und sein aalglattes Verhalten ist genau so gelungen wie das Auftreten des Journalisten Tolbert, der Maddock auf die richtige Spur bringt.
Weniger nachvollziehbar dann aber das Verhalten der irischen Bahnarbeiter, die die Zeltstadt immer noch aufsuchen, selbst als klar wird, dass hier gepanschter Schnaps verkauft wird. Diese Komponente hätte deutlicher ausgebaut werden müssen.
Die Ronco-Jugendabenteuer haben den Erwartungslevel an einen John-Grey-Roman bei mir so hoch schrauben lassen, dass dann doch ein wenig Enttäuschung zurück bleibt: Der ‚Herr der wilden Stadt‘ gehört zweifelsohne zu den besseren Westernheftromanen – doch einen (etwas unfairen) Vergleich mit der von Dietmar Kügler konzipierten Ronco-Jugendabenteuer-Serie hält sie nicht stand.
Das westerntypische Krimielement überwiegt bei diesem Auftaktroman und macht ihn inhaltlich zu einem ganz normalen, kurzweilig erzählten Western.
UNION PACIFIC im Serienprofil:
Der Roman ist abgeschlossen. Er könnte ohne eine einzige Änderung in jeder Westernreihe veröffentlicht werden. In der Autorenreihe JOHN GRAY(geändertes Pseudonym) kam es bereits zu einer Neuauflage dieses Romans.
Nein.
Die Nebencharaktere überzeugen. Roy Maddock als Hauptfigur erscheint aber etwas blass: Er funktioniert als Marshal, darüber hinaus erfährt man von ihm nicht viel. Schade.
Band 1 hat sich gut lesen lassen, hat aber nicht wirklich etwas Neues im Westerngenre gebracht. Wenn ich also einen weiteren Band in die Finger bekomme: Ja.
Der für sich alleine stehende Band 1 lässt auch in der Folge abgeschlossen Romane vermuten. Neugierig bin ich schon, ob über Marshal Roy Maddock hinaus weitere permanent auftretende Charaktere oder gar sich über mehrere Bände erstreckende Handlungen eingeführt wurden – so richtig vermute ich dies aber nicht, da der „Marken-Verlag“ anders als Moewig und Pabel immer auf abgeschlossene Romane gesetzt hat.
Hintergrund
Bei UNION PACIFIC wurde nicht nur die Hauptfigur der Vorgängerserie FEUERROSS, sondern auch die Layoutelemente übernommen: Der Zug, der aus der Titelleiste fährt, taucht bei beiden Serien auf: Sowohl (kitschig) auf der Titelseite wie auch (gelungen in s/w) auf der Rota-Seite.
Insgesamt wirken leider viele Marken-Serien (z. B. auch Gordon Black, Mac Kinsey) in der Aufmachung, als würden sie sich an Leseanfänger richten … So ganz überzeugend wirkt die Titelbildaufmachung weder bei FEUERROSS noch UNION PACIFIC.
Die Serie WESTERN-WOLF (294 Bände, 1974 – 1986), quasi die Nachfolgeserie von RED ROCK RANCH (bzw. auch CLIFF COPPER, HELDEN DER PRÄRIE), war die langlebigste Westernserie des Verlages. Western-Mustang, die einem ähnlichen Konzept folgte, brachte es ebenfalls in den dreistelligen Nummernbereich: 179 Bände erschienen von 1975 – 1982.
Neben diesen nur vierzehntägig erscheinenden Longsellern versuchte der Verlag immer wieder, eine dritte und sogar vierte Serie neben der ein oder anderen Westernreihe auf dem Markt zu platzieren: Nevada (46 Bände, 1979 – 1980), Tom Frisco (24 Bände, 1981 – 1982), Feuerross (mit Roy Maddock, 28 Bände,1980 – 1981) und mit dem gleichen Helden letztlich Union Pacific (22 Bände, 1981 – 1982), zudem die sehr speziellen JOKER-BOYS (12 Bände, 1982 – 1984) in einem ungewöhnlichem Erscheinungsrhythmus.
Ein wenig verwunderlich: Nachdem der Hauptkonkurrent Pabel mit RONCO, RONCO (2. Auflage), LOBO, LOBO-Taschenbuch und den zwei Westernheftreihen sein Westernangebot komplett vom Markt genommen hat, konnte der Marken-Verlag die Leser genau so wenig wie der Kelter-Verlag an sich binden. Keiner der großen Heftromanverlage konnte Anfang der 80er Jahre auf Dauer eine neue Serie auf dem Markt etablieren.
Selbst nachdem Kelter etwa 1984 seine Westernserienoffensive beendet hat, brachte es BRONSON, die letzte Westernserie des Marken-Verlages, von 1984 bis 1986 nur auf 51 Bände.
Noah Carry, der Reverend in Serie?
“Ich bin Marshal der Union Pacific. Und wer sind Sie?“
„Ein Bote des Herrn.“ Der Reiter breitete die gewaltigen Arme aus. „Auf meinem irdischen Pfad nenne ich mich Noah Carry. Unter welchem Namen ich einst in den Himmel eingehen werde, mag ein anderer entscheiden.“
„Sind Sie gewiss, dass Ihnen ein Platz im Himmel sicher ist, Reverend? Für einen Priester tragen Sie einen verdammt guten Whisky bei sich.“
„Wo steht geschrieben, dass ein Diener des Herrn keine geistigen Getränke mit sich führen darf, noch dazu in dieser unbiblischen Kälte?“ Der Reverend blickte Maddock strafend an. „Der Körper braucht ebenso Labsal wie die Seele.“
John Grey: Union Pacific 1, Seite 10
Die kurze Szene reicht bereits aus, um mir die einprägsamen Titelbilder einer weiteren Western-Serie vor Augen zu holen: HALLELUJA REVEREND, Albrecht Peter Kanns vierte Westernserie (nach WYATT EARP, DOC HOLLIDAY, JACK FARLAND) im Kelter-Verlag, die ab 1983 erschien und es auf 18 Bände brachte.
Zufall? Oder hat diese Figur bei der sehr zeitnah zu diesem Roman gestarteten Serie Pate gestanden?
Kommentare
Greys Romane waren gut. Obwohl, ist eigentlich sicher, dass die Nummer 1 ein Original und nicht bereits ein Nachdruck ist? Das Lobo-Tb.1 erzählt nämlich die gleiche Story. Aber vielleicht irre ich mich da auch. Ich müsste die beiden mal vergleichen.
Der Rest der Serie war völlig beliebig. Schlicht geschriebene 08/15 Western.
Das mit dem Reverend ist ein Zufall bzw abgekupfert. Die Figur des harten meist trinkfesten Predigers, der mit Colt und Bibel predigt, fand man oft im Italowestern. Die wird heute noch benutzt. Zuletzt unter anderem von Joe Landsdale in seinen Weird Western. In Hell on Wheels gab es kürzlich auch den saufenden mörderischen Reverend.
Ich muss mich korrigieren. Lobo 1 gab es als umgeschriebenes John Gray-Heft 9 (als Originalausgabe deklariert, na ja) und letztens bei Kelter bei den Colt-Western.
Entscheidend ist: Weder "Union Pcific", noch "Tom Frisco", noch "Western Wolf" waren von mir konzipiert. Serienkonzept und Hauptfigur stammten von Werner Dietsch, der die Linie vorgab. Ich war Auftrags-Autor, und da sind die Entfaltungsmöglichkeiten geringer, als wenn man die Hauptfiguren selbst entwickelt.
Die Romane mußten auch immer in sich abgeschlossen sein. Mein Ronco-Konzept, größere Geschichten mit vielen Schattierungen und unterschiedlich strukturierte Figuren mit vielschichtigen Charakteren zu entwickeln, wurde von keinem anderen Verlag gewollt. Bei Pabel durfte ich mich diesbezüglich "austoben", bei den anderen Verlagen war ich in das Korsett der Vorgaben des Lektorats eingebunden. Trotzdem: Ich finde die "Union Paciic"-Romane noch heute gar nicht so übel, und sie werden - mit kleinen Veränderungen - heute noch immer nachgedruckt und gern gelesen.
Gestern waren es "Die Schienenwölfe" (die Lobo-Version), "Wettlauf in die Ewigkeit" (Union Pacific) und Ronco 170 "Blutrache". Das sind schon überdurchschnittliche Romane, auch heute noch. Vor allem dem Ronco, einem der Tagebuchromane, merkt man an, dass der Autor da sehr viel Arbeit investiert hat.
Ich glaube, so ein Projekt wie Ronco konnte nur einzigartig sein. Da wurde die ganze Themenbreite des Westerns abgearbeitet, da hätten andere Verlage nur Imitationen ins Feld schicken können. Dazu fallen einem noch zahlreiche andere Probleme ein. Eine besonders konservative Leserschaft, die Variationen offensichtlich in der Masse verschmähte, wie Serien wie Fargo oder Socorro zeigen, die Selbstzensur durch den Jugendschutz, die viele Themen zum Tabu gemacht hat. Und nicht zuletzt die kaufmännische Seite. Eine Exposéserie kostet zusätzlich.
Ich finde es erstaunlich, dass es doch so viele Kügler-Romane bei Marken gab.
Wie wäre es eigentlich mal mit einer Komplettbibliografie von Herrn Kügler? Das wäre toll
Jörg Weigand hat eine Bibliographie von mir zusammengetragen, zumindest bis ca. zum Jahr 2000. Diese ist in einem Loseblatt-Werk erschienen - fragen Sie mich bitte nicht nach dem Verlag. Es war eine spezielle Produktion, die für Bibliotheken gemacht wurde und im Vertrieb ziemlich teuer war. Ich verfüge selbst nur über eine Teil-Fotokopie, aber neben einer biographischen Skizze umfaßt allein die Bibliographie um die 140 eng beschriebene Seiten. (Es sind natürlich auch fast alle meine Artikel, bis hin zu Buchrezensionen) enthalten, und das allein dürften weit über 1.000 sein. Diese Zusammenfassung ist sehr gut gemacht, allerdings sind in den letzten 10-12 Jahren wieder viele Arbeiten dazugekommen.
Danke für Ihre freundliche Beurteilung meiner Romane. Als RONCO eingestellt wurde, fing die Westernlandschaft schon an sich zu ändern, Ein Projekt wie RONCO wäre in keinem anderen Verlag mehr möglich gewesen, nicht nur wegen der Kosten, sondern weil sich die Lesergewohnheiten wandelten.
danke für die Infos! Das glaube ich gern, dass die Bibliografie so umfangreich ist.