Lassiters Große Brüder - Adult-Western aus Amerika (Teil 1)
Lassiters Große Brüder
Adult-Western aus Amerika (Teil 1)
In seiner Blütezeit gab es Dutzende von Serien. Die Autoren waren Berufsschriftsteller, die in der Regel aus dem Westerngenre kamen und sich keineswegs immer schamhaft hinter Pseudonymen versteckten.
Spricht man vom "Adult Western", fällt einem in Deutschland natürlich sofort die Heftserie "Lassiter" und die Auskopplung "Jack Slade" ein. Ironischerweise hat "Lassiter", der trotz seiner schon in frühen Jahren auf Erotik getrimmten Titelbildern erst später zum richtigen Erotikwestern wurde, seine ausländischen Vorbilder (mit einer Ausnahme) überlebt, die alle auf einen Schlag 2015 einer Einstellungswelle zum Opfer fielen. Keine dieser Serien konnte auf dem deutschen Markt (ebenfalls mit einer letztlich erfolglos gebliebenen Ausnahme) Fuß fassen. Ihre Freizügigkeit war zu der Zeit mit den Realitäten des deutschen Kioskmarktes und den Jugendschutzzwängen nicht kompatibel. Die Reaktion der deutschen Verlage ist dabei durchaus verständlich. Warum viel Geld investieren und dann eine Indizierung durch den Jugendschutz riskieren?
Das Interesse an "Lassiter" ist Grund genug, sich mal eingehender mit dem amerikanischen Adult Western zu beschäftigen. Das Genre war bunt und vielfältig, aber in diesem Artikel geht es um die "Großen Vier", wenn man sie so nennen will. Sie wurden kontinuierlich im monatlichen Rhythmus produziert. Im Einzelnen handelt es sich um:
Diese Serien beruhten alle auf dem Konzept des Serienhelden, dessen Abenteuer mit Sex angereichert werden. Das mag heute nur noch schwer nachzuvollziehen sein, aber bis Ende der 60er war dieses Thema im amerikanischen Western Tabu. Wie es Robert Randisi, der Schöpfer von "The Gunsmith", einmal so schön in einer Anekdote erzählte:
"Als ich mit diesen Romanen [1982] anfing, beharrte ein mir bekannter Autor von traditionellen Western darauf, dass Frauen im Wilden Westen keinen Orgasmus hatten."1
Keine Frage, die Absicht hinter dieser Art von Westernroman unterlag dem Kalkül, die hauptsächlich männliche Käuferschicht des Westerns, die in Amerika nach dem Untergang des Fernsehwesterns und des Filmwesterns stetig abnahm, mit freizügigen Sexszenen und kontinuierlich härteren Gewaltszenen zum Kauf zu verlocken. Dennoch ist es ein Vorurteil, dass der Inhalt eines Adult Westerns aus einer Pornohandlung besteht, die sich vor der Kulisse eines Westerns abspielt. Tatsächlich ist es primär ein Western mit ein paar Sexszenen, bei denen eben nicht mehr mit den berühmten drei Punkten abgeblendet wird oder das Stelldichein mit schwülstigen Euphemismen im Sinne von "sie vereinigten sich und versanken im Rausch der Leidenschaft" blumig umschrieben wird. Die Darstellung der Erotik hat pornografische Qualität. Dass die Phantasie der sich dem Helden ununterbrochen für eine schnelle Nummer an den Hals werfenden Siedlerfrauen letztlich genauso unrealistisch ist wie die Tatsache, dass der Serienheld im Laufe der Jahre Hunderte von Gegnern erschießt und jede noch so brutale Prügelei mit intaktem strahlendem Lächeln übersteht, ist ein anderes Thema.
Wirft man einen Blick auf die Geschichte dieses Sub-Genres, spielt "Lassiter" dabei eigentlich keine Rolle. Weder wurde hier die Vorlage erfunden, der die meisten dieser Serien später fast schon sklavisch folgten, noch war es nach heutigem Maßstab eine regelmäßig erscheinende Serie. Immerhin waren die 29 Romane über einen Zeitraum von 12 Jahren verteilt. Die Sexszenen sind keineswegs explizit; allein die Tatsache, dass es sie gab, macht sie erwähnenswert. Trotzdem kann man der Serie eine gewisse Vorreiterrolle nicht absprechen, vor allem aus deutscher Sicht, da der Name hierzulande zum Synonym für derartige Romane wurde.
Dabei ist es eine Ironie, dass alles, was das Konzept "Lassiter" in seinem Entstehungsland anders machte, für den deutschen Geschmack ungenießbar war. Mit dem Antihelden und seiner eingebauten Gewalttätigkeit taten sich die deutschen Macher schwer. Von Günther Bajog, in der Anfangszeit der deutschen Ausgabe viele Jahre der Hauptautor, ist das schöne Zitat überliefert:
"Sie gaben mir eins von den Taschenbüchern, in dem Lassiter ein ganz brutaler Hund war, der in der Nacht mit der Frau ins Bett gegangen ist und sie am Morgen erschossen hat, weil er rausgekriegt hatte, dass sie die Banditenbossin ist. Da habe ich gesagt: Das mache ich nicht."2
Aber genau das war die Intention von Verleger Harry Shorten von Tower Books, als er das Konzept 1968 in Auftrag gab. Die üblichen blitzsauberen Helden sollten dem Antihelden weichen, wie er nicht nur gerade im europäischen Italo-Western populär wurde, sondern auch Regisseure wie Peckinpah auf der Leinwand vorexerzierten. Shorten schwebte ein Held vor, der genauso schmutzig und gnadenlos kämpfte wie seine Gegner. Er beauftragte den erfahrenen Westernautoren W.T.Ballard, sich in dieser Richtung etwas einfallen zu lassen. Das Endprodukt war "Lassiter". Das bis dahin übliche Westernkonzept wurde auf den Kopf gestellt. Nun war der Bankräuber der Held, dem die Sympathien des Lesers gelten sollten. Seine Nemesis war der Mann von Wells Fargo mit dem beziehungsreichen Namen Sidney Blood, der keine Schandtat scheut, um Lassiter endlich zu erwischen. Die Handlung sollte brutal sein. Und Shorten wollte ein weiteres Tabu brechen. Er wollte Sex in den Romanen, was man bei den Westernbestsellerautorn der Zeit nicht finden würde. Diese Zutat gab es dann auch in anderen Western von Tower, zum Beispiel in den Serien von Ben Haas alias John Benteen, "Fargo" und "Sundance", die erfolgsmäßig Lassiter weit hinter sich ließen.
Ballard schrieb vier Romane unter dem Pseudonym Jack Slade, die 1968 erschienen. Richtig glücklich war er mit der Idee wohl nicht. Sein Lassiter – der laut seiner nachgelassenen Korrespondenz mit Shorten zuerst wohl Parker heißen sollte – kommt immer noch als guter Mann in schlimmen Umständen rüber. Er flucht nicht und behandelt Frauen und Kinder mit Respekt. Zwar ist er ein Räuber, bleibt aber eine Art Robin Hood, der nur den "bösen" Konzern Wells Fargo bestiehlt.
Offenbar war Shorten nicht so zufrieden mit Ballard, denn er suchte sich andere Autoren. Die Nummer 5 schrieb Ben Haas, bei der Nummer 6 ist endgültig Schluss mit Robin Hood. Mutmaßlich schrieb der Lektor und Autor Peter McCurtin den Roman "High Lonesome", in dem Lassiter endgültig zu einem richtig harten Burschen ohne Skrupel wird.
Tower oder Belmont-Tower, wie der Verlag später hieß, tat sich mit dem Marketing von Serien schwer. Erst in späteren Auflagen wurden die Romane nummeriert, sie erschienen auch nicht in regelmäßigen Zeitabständen. Da war ein anderes Genre dem Western weit voraus. In den frühen 70ern wurde Serienkost auf dem blühenden Taschenbuchmarkt populär, das Genre der Action-Adventure-Romane mit ihren Heerscharen schießwütiger Vigilanten erlebte einen gewaltigen Boom. Also lag es nahe, das auch in anderen Genres auszuprobieren.
Lockerten Serien wie "Lassiter", "Fargo" oder "Sundance" das konservative Schema des klassischen Western auf, war es der Playboy-Verlag, der 1975 den ersten richtigen Adult Western in Serie auf den Markt brachte. "Slocum" gab ein Muster vor, das alle nachfolgenden Konkurrenzserien imitierten. Der Serienheld erlebt sein Westernabenteuer und hat dabei Sex mit mehreren Frauen. Im nächsten Roman drückt man den Resetknopf, alles geht zurück auf Anfang, es gibt keine Kontinuität oder eine zyklische Handlung. Im Laufe der Zeit wurden die Actionszenen härter, so wie die zwei bis drei eingestreuten Sexszenen expliziter wurden. Obwohl man da differenzieren muss. Vor allem in den letzten Jahren war es den Autoren überlassen, wie sehr sie den "erwachsenen" Inhalt ihrer Western zelebrieren oder nicht.
Die ersten Bände von "Slocum" veröffentlichte Playboy wie Belmont-Tower zuvor ohne Nummerierung. Lediglich das Serienpseudonym und Untertitel informierten den interessierten Leser, dass es sich hier um das nächste Abenteuer des Helden handelte. Auf dem Titelbild gab es einen kleinen Aufdruck, dass es sich hier um einen "Adult Western" handelt, das Codewort für Sex. Aber man darf sich den Rest keineswegs wie die deutschen Lassiter-Titelbilder vorstellen, obwohl das naheliegt. Nuditäten in irgendeiner Form gab es nie, schließlich wurden die Taschenbücher auch in Kaufhausketten wie WalMart vertrieben; das Gewagteste ist mal ein nackter Frauenrücken, ansonsten ist immer ein strategisch platzierter Arm oder ein Bettlaken zur Stelle, um die im verklemmten Amerika als so anstößig betrachteten Brustwarzen zu verhüllen.
"Slocum" war erfolgreich genug, um in der Anfangszeit zwei bis vier Taschenbücher pro Jahr zu veröffentlichen. Und vor allem war die Serie erfolgreich genug, um andere Verlage auf den Plan zu rufen. Jove Books brachte "Longarm", Signet legte mit "The Trailsman" nach, dann kam Charter/Ace mit "The Gunsmith". Ähnlich wie zuvor bei den Action-Adventure-Thrillern kam es zu einem Boom ähnlich konzipierter Taschenbuchserien, die sich alle an den erfolgreichen Vorbildern orientierten. Einige davon verschwanden schnell wieder vom Markt, andere erwiesen sich als erstaunlich langlebig. Hinter den Verlagspseudonymen verbargen sich meistens Autoren, die dann für alle Verlage arbeiteten. Zu diesen Schriftstellern komme ich bei der Betrachtung der einzelnen Serien.
Am Ende ebbte das Interesse wie immer ab und blieben nur die vier bereits genannten Serien übrig, die schließlich nach diversen Weiterverkäufen von Verlagshäusern ausgerechnet alle beim selben Mutterverlag landeten, der Penguin Group. Während der Western, diese einst so profitable Marktkategorie, in der Gunst der Leser in Vergessenheit geriet und zum Nischenprodukt wurde, überlebten ausgerechnet die Adult Western. Erst 2015 kam das endgültige Aus, als Penguin das ganze Westernsegment auf einen Schlag einstellte, weil es nicht profitabel genug war. (Und weil man sich vermutlich von dem Schmuddelkram befreien wollte.) Aber diese vier Serien beschäftigten eine ganze Reihe von Autoren mehr als vierzig Jahre lang und verschafften vielen von ihnen das nötige finanzielle Fundament, um weiterhin auch klassische Western zu schreiben.
Im zweiten Teil (ab 11.09., 00:00:00 online) beschäftige ich mich mit den vier Serien, worum es dabei geht und wer sie schrieb.
1 Robert J. Randinsi: 50 Shades of Gunsmith, veröffentlicht auf der Webseite von Piccadilly Publishing
2 Zitiert nach Lassiter 2000: ein Jubliäumsartikel von Gerold Schulz
Kommentare
"Als »Pornowestern« geschmäht und von den Lesern des »klassischen« Westerns mit gerümpfter Nase ignoriert, war der sogenannte »Adult Western« in Amerika trotzdem erfolgreich und langlebig."
Oh Göttchen, wie prüde ist doch manche Fan-Welt. Hätten sie damals im Wilden Westen keinen Sex gehabt, wären die Indianer schneller und eher Schmerzlos wieder Herr in ihrer eigenen Welt gewesen. Ist ja schon genauso ein prüder Unfug wie bei der Science Fiction-Fraktion die SF und Sex als unvereinbar betrachten. Dabei ist Sex das normalste auf der Welt und sichert den Fortbestand der eigenen Gattung. Da ist der Adult Western ja schon wieder näher an der Realität als der klassische Western, wo der Leser schon bei Andeutungen brandrote Ohren bekommt.
westernfictionreview.blogspot.de/
Die Lektüre lohnt sich, und es sind einige aufschlussreiche Interviews dabei.
Nur zwei Teile sind nicht genug. Da geht noch mehr
Es ist richtig, dass Bob Randisi im Moment seine Gunsmith-Serie im Verlag meines Freundes David Whitehead " PIccadilly Publishing ) fortführ. Bob legt immer noch ein gewaltiges Tempo vor, und das hat er in all den Jahren nicht verlangsamt.
James Reasoner und seine Frau Livia Washburn Reasoner sind sehr aktiv bei den Western Fictioneers. James hat unzählihe Western unter zahlreichen Pseudonymen geschrieben. Auch etliche historisch sehr gut rechercheirte Romane. Seine Frau Livia hat zusammen mit anderen Gleichgesinnten den Verlag "Prairie Rose Publications" ins Leben gerufen und veröffentlicht dort Western-Liebesromane.
Jory Sherman war ein exzellenter Autor. In Deutschland kannte man leider nur seine eingeschweißten GUNN-Romane. Aber er konnte viel viel mehr als nur Adult Western schreiben. Seine Familiensaga THE BARONS gehört zu meinen absoluten Favoriten.
Was die Kommentare bezüglich Lassiter (hier in der Kommentarspalte) betrifft, merkt man sofort, dass es diese Serie seit über 40 Jahren gibt. Und der Leseversuch der Kommentierenden entweder fast so lange zurück liegt - oder sie Pech beim Griff in diese Wundertüte hatten. Längst erscheinen immer wieder Lassiter, in denen der Sex nicht störend (evtl. sogar prima eingearbeitet) ist und auch die Begrifflichkeiten stimmen. (Da wird schon viel beschrieben, und es ist nicht immer nur der "Pint"). Anders als Longarm legt Lasssiter auch nicht gezwungenermaßen zwei bis drei Ladys "flach" (, und er muss eher realistisch auch immer mal wieder auf Huren "zurückgreifen".)
@Andreas
Es gab ja noch vor eher kurzer Zeit eine weitere Lassiter-Reihe in den USA, in der allerdings der Sohn (Enkel?) von Zane Grey wieder die Original-Figur seines Vorfahrs aus Riders of the Purple Sage aufnahm. Hast Du über diese Reihe Infos?
zitiere Feldese:
Nein, des deutschen nicht, aber im weitesten Sinn die des Ur-Lassiters
Mit den klassischen Western kenne ich mich nicht aus, habe ich auch schon lange nichts mehr gelesen. Auf meiner Wunschliste steht allerdings James Reasoners Bürgerkriegsserie; bei Cornwells bin ich immer hängengeblieben. Aber das hat nichts mit klassischem Western a la L'Amour oder Grey zu tun.