Social Reading: Ja, nein, vielleicht?
Social Reading: Ja, nein, vielleicht?
Eher eine sachliche Ernüchterung. Ja, man habe durchaus über sein Buch diskutiert. "Aber eben erwartungsgemäß auf einem sehr niedrigen Niveau – was die Zahl der Kommentare angeht," so Schmitz-Kuhl.
Und führt das weiter aus: Der Leser scheint momentan über seine Lektüre nicht über ein soziale Netzwerke diskutieren zu wollen sondern teile seine Leseerfahrungen eher im persönlichen Umfeld. Anmerken kann man allerdings: Buchblogger teilen ihre Leseerfahrungen gerne mit anderen Leuten und auch nicht unbedingt im persönlichen Umfeld - ebenso wie es Lesetipps per Facebook-Gruppen gibt oder auf Twitter der eine oder andere Link geteilt wird. Man kann jetzt natürlich anmerken, dass Blogs per se keine sozialen Netzwerke seien - rein geschichtlich würde man sie eher dem Web 2.0 zuordnen und man kann darüber streiten ob das Web 2.0 und das Social Web nun wirklich nur zwei Begriffe für eine Schublade sind. Das würde jetzt aber etwas zu weit führen, daher bleiben wir mal bei der Leseerfahrung. Die übrigens bis ins Mittelalter hinein eine durchaus laute und keineswegs intime Angelegenheit war - die Angewohnheit Texte still für sich zu lesen ist eine Errungenschaft, die wir für selbstverständlich halten. Sie ist aber keine.
Das Lesen selbst jedoch ist ein sehr intimer Vorgang, bei dem wir nicht gerne gestört werden wollen. Dass Amazon oder andere Anbieter uns beim Ebook-Lesen über die Schulter schauen stört uns erstmal nicht weil wir das nicht merken - wir merken nur, dass jemand eine bestimmte Textstelle im eBook angemerkt hat, was uns aus dem Lesefluss reißen kann oder auch nicht. Die Erfahrung, die das Lesen an sich bietet ist eine sehr persönliche. Jedenfalls wenn wir ein Buch für uns entdecken. Wenn wir ein Buch mit anderen Leuten teilen wollen, dann lesen wir daraus vor, suchen uns Textzitate heraus die wir posten können, wir geben es schriftliche weiter, schreiben Leuten die ISBN auf damit sie das Buch bestellen oder stellen im Gespräch heraus, dass wir dieses oder jenes Buch besonders gut finden weil - also - das muss man einfach gelesen haben. Oder vielleicht allenfalls mal die Hörbuchvariante, aber "die ist nicht so gut, die ist gekürzt und der Sprecher - also lies das einfach selbst."
Darin liegt die Krux: Beim Social Reading so wie es Sobooks anbietet oder andere Dienstleister arbeiten wir mit der Entsprechung des Textmarkers und der Randnotizen am Hypertext des Buches entlang, werden beim Lesen immer wieder unterbrochen - man kann die Kommentare wegblenden aber was bleibt dann vom Social-Aspekt noch übrig wenn man die Kommentare ignoriert? Nur die reine Möglichkeit eines sozialen Handelns anzubieten spricht ja nicht unbedingt dafür auch etwas Soziales zu tun. Wir werden aus dem Fluss, aus dem Strom dessen was der Autor mit seinen Worten formt immer wieder herausgerissen. Für wissenschaftliche Arbeiten oder Sachbücher ist das nichts Ungewöhnliches. Da müssen wir nachdenken, Textstellen notieren für spätere Zitate, müssen uns intensiv mit einer Sache auseinandersetzen - es hängen schließlich Noten und Klausuren davon ab.
Doch das ist kein Lesen zum reinen Vergnügen. Deswegen ist es auch immer irrig anzunehmen, dass Studenten zu Unrecht stöhnen wenn sie meinen, sie müssten noch einen Haufen von Texten lesen. Hier ist lesen auch immer arbeiten mit dem Wissen. Das strengt an. Wir aber lesen in der Regel zum Vergnügen, wir nehmen uns Zeit und Muße, wir lassen unser Gehirn vom Autor kitzeln und anregen. Und wer möchte schon dauernd aus der spannensten Handlung der Welt herausgerissen werden nur weil irgendjemand meint genau diese Textstelle kommentieren zu müssen und dann auch noch mit einem Spoiler, der dle Leselust verjagt.
Vielleicht ist Social Reading in dieser Variante die wir jetzt kennen nicht das Modell für die Zukunft. Aber da keiner weiß was die Zukunft bringt - außer Frau Kuchen in Terry Pratchetts Scheibenwelt und selbst da sollte man die Zehn-Dollar-Variante nehmen... Jedenfalls hat Schmitz-Kuhl Recht: Momentan ist von der vielbeschworenen Nach-Amazon-Option, die der Buchhandel ja gerne mal im Wort führt nichts zu sehen. Das heißt nicht, dass es vielleicht nicht eines Tages doch noch Modelle geben wird, bei denen wir gerne über Bücher diskutieren und deren Inhalte teilen werden. Momentan aber kommt es mir so vor als wäre das Social Reading auf dem Weg, den das Social TV geht. Wer sich dran erinnert: Das war dieses Ding, bei dem man direkt mit dem Fernseher irgendwie interaktiv sein konnte. Twitterstreams im Bildschirm oder so. Heutzutage ist das ein Monitor mit Internetanschluss, bei dem halt auch noch das Fernsehen selbst reingepackt wurde. Kommentieren macht man über Twitter. Wenn überhaupt. Und nicht per schicker App oder Set-Top-Box, die damals ja sogar das Internet in das Fernsehen bringen sollte.
Social Reading an sich aber ist als Idee auch gar nicht so neu und eventuell wird es ja tatsächlich noch Hilfsmittel geben von denen wir jetzt noch keine Ahnung haben. Vielleicht etabliert sich ja Sobooks wirklich noch als DER Anlaufpunkt für sowas. Momentan ist das ganze Social-Reading-Geschäft allerdings eher Nische und wenn eine Revolution stattgefunden haben sollte muss ich sie persönlich irgendwie übersehen haben. Wäre aber nicht weiter schlimm, ich war auch nie der Typ Mensch der in Lesezirkeln das komplette Werk von Marx und Engels ausdiskutieren musste. - Wobei: Was ist eigentlich aus dieser Art des Social Readings geworden? Oh, stimmt, die hat ja Oprah Winfrey in den Staaten und hier Bertelsmann an sich gerissen. Und der Mark, der hat ja auch wieder sowas. Was Digitales. Auf Facebook. Total der Erfolg wie man hört...