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eBooks: Mangelnde Innovationskraft der Publikumsverlage

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneMangelnde Innovationskraft der Publikumsverlage
eBooks

Das ist schon ein herber Schlag ins Gesicht, wenn die Jury des deutschen eBook-Preises anmerkt: "Die unterdurchschnittliche Präsenz der Publikumsverlage unter den Nominierten und Siegern sei schon auffällig." So zu lesen in der Meldung, die die aktuellen Sieger des eBook-Preises bekannt gibt. Und noch etwas Bemerkenswertes äußerte die Jury, sie sähe in den zahlreichen Beispielen einen Beweis dafür welche vielfältigen Möglichkeiten das Format bietet.


Dezentes Augenbrauenheben gegenüber Denjenigen, die immer nur darauf drängen, dass das Print-Exemplar das einzig wahre Buch sei? Man kann das so interpretieren.

Dabei trifft die Kritik ja durchaus zu: Selbst wenn man sich jetzt in der Branche mit neuer Hardware und neuen Allianzen aufgeplustert hat - am Format des Ebooks hat sich seit den 2000er Jahren nicht viel geändert. Momentan befinden wir uns immer noch in der Zeit, die man bei Printbuch als "Wiegendruckzeit" bezeichnet. Zu Beginn des Buchdrucks ahmte man genau das nach, was man kannte: Die Bibel wurde zwar gedruckt, aber sie sah aus als wäre sie von Mönchen per Handschrift vervielfältigt worden. Man hat die Initialen dann auch noch von Hand gemalt - man ahmte als das nach, was man schon kannte. Bevor man auf den Gedanken kam, dass man ja doch mal mit dem Format an sich herumexperimentieren könnte, dass man andere Buchstaben-Typen nehmen könnte, dass man ja neben den Hochdruck und dem Tiefdruck auch noch andere Möglichkeiten hatte um Bücher herzustellen.

Eigentlich sollten wir aus dieser Phase schon längst heraus sein und zu Beginn der eBook-Entwicklung träumte man ja auch vielerorts von dem verlinktem Text, dem Text, der mit Hyperlinks arbeitet, der sich in verschiedenen Ebenen vom Papier freimachen würde - "Hypertext offers a unique way for the reader to actually participate in the story, or even add to the text if freedom is given to join in as an author." Hypertext wurde begriffen als neue Form der Interaktion mit dem Leser oder sogar einer Partizipation des Lesers, der in den Text eingreifen und ihn verändern könnte. Von diesen Gedanken ist jedoch im weiteren Verlauf der Entwicklung des eBooks nichts geblieben. Das Einzige, was eBooks heute erlauben sind Notizen, die der Leser macht und allenfalls vielleicht Unterstreichungen. Eine Neugestaltung des Textes, ein direktes Eingreifen - das ist mit den Formaten derzeit nicht möglich. Nachdem auch immer noch nicht geklärt ist, ob eBooks Bücher oder Telemedien sind; eingreifen und verändern kann der Leser ja nur in den Apps. Diese sind dann per Definition aber keine Bücher mehr sondern Softwareprodukte und selbst hier ist der Interaktionsgrad nur so groß wie der Programmierer es zulässt.

Die Denkweise der Publikumsverlage reicht derzeit nur dazu aus, den vorhandenen Text aus einer Datei so aufzubereiten, dass er für eBook-Reader oder das Smartphone passt. Dass er dem ähnelt was der Leser als Print-Buch kennt: Lineares Blättern möglich, eventuell gibts noch Fussnoten, eventuell wird man aus einer App mit Zusatzmaterial auf eine andere Seite verlinkt. Die verschiedenen Ebenen des Textes aber bleiben in der Regel für den eBook-Reader auf eine Ebene beschränkt. Und wer Terry Pratchett Bücher mit Fussnoten auf dem eBook-Reader geladen hat wird wissen, das Hin- und Hergeklicke stört dann doch den Lesefluss. Vielleicht ist das aber auch ein Hinweis darauf, dass wir als Leser gar nicht Hypertext lesen möchten sondern dass wir in den gewohnten linearen Lesezyklus geraten möchten? Möglich wäre es.

Das ist aber kein Grund nicht innovativ zu sein. Während wir im Print schon seit Jahrhunderten keine großformatigen, wie nach Handschrift aussehenden gedruckten Bibeln mit Initialmalerein mit uns herumtragen geben Publikumsverlage offenbar aus, dass wir das im Digitalen so wollen. Wie aber sind wir denn von den großformatigen Bibeln zu den Taschenbüchern gekommen? In dem Innovation im Print ausgespart wurde? Unsinn: In dem auch hier gebastelt, getüftelt und gemacht worden ist. Dass das Neue sich dann nicht in den alten Schläuchen manifestiert sondern dass die Impulse immer von Außen an die Branche gebracht werden müssten kann eigentlich nicht sein - und scheint dann doch so zu sein. Es ist auch bequem immer nur das zu machen, was man immer schon gemacht hat. Keine Frage.

Dennoch: Wenn die Jury des deutschen eBook-Preises den Publikumsverlagen bescheinigt, dass sie zu wenig innovativ sind - dann ist das ein Fanal, dass wachrütteln sollte und müsste. Nicht, dass es das tun wird, denn eBooks sind ja momentan nur ein "Abfallprodukt" des "wahren Objekts" - und wenngleich ich schon ahne, wer im nächsten Jahr den Preis für die beste App abräumen wird - es sei denn, es kommt noch eine bessere in den nächsten Monaten als die zum Abrams - ahne ich auch, dass im nächsten Jahr sich nicht viel geändert hat. Das Neue braucht Mut, Neugierde und Experimentierlust. Nicht eine neue Tolino-Allianz.

Kommentare  

#1 Laurin 2015-10-16 23:40
Nun ja, wenn ich Autor wäre, würde es mir schon stinken, wenn jeder in meine Texte, meine Story eingreifen und wahllos darin umschreiben kann. Wozu mache ich mir dann die Mühe? Und was ist mit der Rechtsfrage (z.B. Urheberrechte)? Wenn Leser das machen könnten, wäre es ja quasi nicht mehr mein Roman. Da würde ich als Autor (die meisten haben ja eh einen regulären Beruf nebenbei) die Brocken schmeißen. Soll doch jeder gleich selber schreiben was er lesen will, anstatt in meine Story eingreifen zu können. Und will ich als Leser laufend für irgendwelches Zusatzmaterial verlinkt werden, was dann vielleicht noch den Preis anhebt? Eigentlich will ich doch nur den Roman lesen und das ungestört durch irgendwelchen Schnickschnack.
Ich stelle mir gerade vor, jemand hat die Bibel auf seinem Reader und beginnt darin die Texte nach belieben zu verändern. Wenn das der Papst mitkriegt, kommt der eigenständig angelaufen und verbrennt den Reader auf dem nächsten Scheiterhaufen. :D
#2 Kerstin 2015-10-17 11:17
@ Laurin: Da hast du absolut recht, besonders, was die veränderte Bibel und den Scheiterhaufen angeht.

Kürzlich habe ich gelesen, dass die Verlage in den USA ganz ernüchtert festgestellt hätten, dass die Nachfrage nach E-Books nicht unendlich zu steigern ist und statt dessen die Leute gern mal wieder nach einem gedruckten Buch greifen. Wer hätte das gedacht?

Es stand auch dabei, dass die Verlage in Europa trotzdem weiter auf dem Trip sind, auch die privaten Bibliotheken weitgehend papierfrei bekommen zu wollen.

Wenn nun die Jury Innovationen vermisst, wundert mich das nicht. Oder sind auf einmal deutsche Verleger dafür bekannt, dass sie für Innovationen offen sind? Die bleiben doch auch inhaltlich gern bei den Plots, die schon in den USA erfolgreich waren, oder sie lassen diese Formate abkupfern bis zum Erbrechen (Gott sei Dank ebbt jetzt die Flut der Kuschelvampire ab! Dafür scheint jeder zu erwarten, dass ich auf einmal auf Sado-Maso stehe, Nee, nicht literarisch und auch sonst nicht!)
#3 Kaffee-Charly 2015-10-17 23:35
Ich könnte mir schon vorstellen, dass irgendwann eBooks auf den Markt kommen, in denen die Romane nach entscheidenden Kapiteln verschiedene Verläufe haben und der Leser sich aussuchen kann, welche Version er lesen möchte.
Allerdings weiß ich nicht, ob es viele Autoren geben wird, die Romane mit verschiedenen Variationen des Verlaufs schreiben werden. Da wird das Angebot wahrscheinlich ziemlich überschaubar bleiben.

Und wenn eBooks irgendwann auch die Möglichkeit bieten würden, passende Videos oder Animationen zum Romantext einzubetten, wäre das auch keine schlechte Sache. Etwas Vergleichbares gab es schon bei Print-Büchern, bei denen ein Video zum Roman beigefügt wurde. (Motion-Book nannte man das.) Hat sich allerdings nicht wirklich durchsetzen können.

Auf die Möglichkeit, dem Leser zu gestatten, am Roman herumzufummeln, wird sich aber wohl kein Autor einlassen.
#4 Kerstin 2015-10-18 10:28
Das ist doch auch alles wieder eine Frage nach der Wirtschaftlichkeit.

Wenn der Autor verschiedene Enden für seinen Roman schreiben soll, hat er ja deutlich mehr Arbeit damit. Das gleiche gilt für den Verlag, der das vermarkten soll.

Wird sich das aber rentieren? Die Kunden kaufen sicher nur die Variante, die sie auch lesen wollen. Es ist schwer zu sagen, ob es mit dieser Auswahlmöglichkeit mehr Leute zum Lesen verlockt, zumal ja dann der Preis höher sein müsste. Auch eine Splittung, also man kauft den Story-Anfang zu einem Festpreis und dann ein oder mehrere mögliche Enden dazu, das wird nicht die Masse bringen, weil eben die Leute ihre Vorlieben haben. Wer gern ein Happy-End liest, kauft kaum die Horror-Variante dazu. Es sind eben verschiedene Zielgruppen.
#5 Laurin 2015-10-18 11:37
Es ist doch so: Wenn ich mir eine Story mit einem bestimmten Inhalt (Genre) kaufe, von einem Autor, den ich schätze bzw. als gut empfinde, dann will ich auch wissen, wie er die Story zu einem Ende bringt. So was nennt man Spannung. Wenn ich mir ein Wunschende zukaufen kann, ist da nicht viel mehr mit Spannung drin. Ich mache mir das ganze quasi selbst zu einem Fehlkauf (eigentlich weiß ich ja schon im Groben wie es
ausgeht, der Gärtner bleibt der Mörder), der zudem auch noch (durch den Zukauf) überteuert ist. Das mag etwas für Happy-End-Fetischisten sein, aber zu denen gehöre ich nicht.

Und Storys, in die ich textlich eingreifen kann dürften nur noch von reinen Auftragsschreibern abgeliefert werden, denen der Inhalt kaum am Herzen liegen dürfte.

Kommen wir nun zu Videos und Animationen zum Text: Die müssten schon einiges her machen was in der Produktion sicherlich finanziell zu Buche schlagen würde. Reine Billiganimationen und Laienvideos wären da eher abschreckender Natur. Aber das sind Kosten die auf so ein eBook umgeschlagen werden müssen und wer bitte ist bereit so etwas mit zu bezahlen (vielleicht einmal aus Jux, aber generell?). Zum weiteren sind es Kosten die erst einmal die Verlage treffen und wenn die nicht mehr mit Gewinn rein kommen, dann will ich deren Geheule nicht wirklich hören wollen (und die Verleger wohl auch nicht).

Und stimmt, Kerstin, der Höhenflug der eBooks in den USA stottert ersichtlich. Da werden die lesenden Elektronik-Freaks das Ruder nicht mehr weiter ausreizen können gegenüber dem gedruckten Buch. Es dauert nur immer etwas, bis man das auch in Old Europa mitkriegt.

Ich will da jetzt nicht abstreiten, dass so manches Gimmick zum eigentlichen eBook nicht ganz nett sein kann, aber die müssen auch bezahlt werden und auf die Gesamtbevölkerung gesehen, kann und wird sich wahrscheinlich nur ein bestimmter (vielleicht nur überschaubarer) Kreis sich das dauerhaft leisten wollen.
#6 Matzekaether 2015-10-18 14:55
Ein Hauptproblem bei uns ist doch das leidige thema des Preises. Niemand sieht ein, warum ein ebook fast genausoviel kostet wie das Taschenbuch - oder anfangs sogar wie das gebundene! Da greife ich dann auch lieber zum eigentlichen Buch - zumal das dann auch wirklich mir gehört und ich es borgen kann, wem ich will.
Bitter ist auch, dass viele innovative Bücher von Leuten erstellt werden, die gar nichts dafür bekomen. Ein ewiger Skandal, der glaube ich, hier noch nie besprochen wurde, ist, dass viele ehrenamtlich beim gutenberg-Projekt oder bei mobileread gemeinfreie Bücher scannen, korrigieren und (bei mobileread) leserfreundlichst mit hyperlinks im Inhaltsverzeichnis fomatieren, alles für 0 Euro, und diese e-Bücher & Texte dann von Piratenverlagen geklaut und für Geld bei amazon & co. angeboten werden. Das ist nicht grade ein positives signal an die, die wirklich viel Freizeit in ihre arbeit stecken. Kein ebook von Aufbau oder Fischer ist so gut und sorgfältig korrigiert & formatiert wie ein Klassiker bei mobileead. wiki.mobileread.com/wiki/Free_eBooks-de/de

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