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Twitter und der Algorithmus

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneTwitter und der Algorithmus

Deutschland ist Facebook-Land. Vielleicht noch ein wenig Google+-Land, aber das auch schon weniger, aber Twitter-Land ist und war Deutschland noch nie. Man kann sich fragen ob Twitter zu kompliziert für Einsteiger ist oder ob das Prinzip des "Ich kann eigentlich allen folgen ohne mit denen befreundet zu sein" in einer Zeit in der persönliche Empfehlungen wichtiger werden einfach ausgedient hat. Jedenfalls: Twitter ist in Deutschland nie so richtig angekommen. Und generell muss der Dienst momentan umdenken:


Nach dem Gang an die Börse ist Twitter den Investoren verpflichtet und diese werfen einen kritischen Blick auf die aktuellen Zahlen.

Twitter hat es nicht geschafft zu wachsen. Das ist die Ursünde des Kapitalismus. Vor allem ist die Ursünde bei denen, die eine Art Geldwette auf Twitter abgeschlossen haben: Ich Investor stecke jetzt Geld in das Unternehmen hinein auf dass es wachse und gedeihe und ich die Frucht meines Pfundes wieder ernten kann. So funktioniert das mit den Startups. Es sind immer Wetten auf Zeit. Twitter steckt momentan zwischen Baum und Borke was das anbetrifft: Einerseits sind die Zahlen an der Börse nicht so gut wie im letzten Quartal - was die Investoren verständlicherweise verärgert und was den Dienst nicht gerade stabil macht. Andererseits sind die Zahlen auch nicht so schlecht, dass man von einem richtigen Verlust reden könnte. Zwei Milliarden Nutzer weniger sind eher nicht der Grund jetzt besorgt ins Horn zu blasen - aber Twitter ist immer noch Nische. Und: Twitter wächst nicht mehr so wie früher - was allerdings Facebook auch nicht mehr macht. Was ist also zu tun um deutliche Signale zu senden, dass man weiterhin am Markt bleiben will? Man erfindet sich neu. Oder erweckt zumindest den Anschein.

Dabei muss man vielleicht erklären, dass Twitter eine enorme Bereicherung für das Leben eines Internet-Nutzers sein kann. Hier kommen anders als bei Facebook die Nachrichten noch chronologisch in die Timeline ohne dass sie nach Wichtigkeit sortiert werden. Eilmeldungen, die einen Tag später bei Facebook noch im Stream auftauchen sind bei Twitter also nicht möglich. Twitter ist aber auch schneller und flotter - während bei Facebook durch die Filterung die Nachrichten in einem Tempo erscheinen, die einigermaßen übersichtlich sind kann - wenn das Thema Tatort zum Beispiel am Sonntag durchgesprochen wird - bei Twitter eine rasche Abfolge von Tweets einen schon schwindelig machen. Dass Twitter hierfür auch Werkzeuge hat um solche Dinger zu sortieren, dass man sich Listen anlegen kann und dass man mit den Hashtags auch filtern kann was man lesen möchte - das sind Dinge, die Twitter leider nicht so leicht verständlich den Nutzern an die Hand gibt. Immerhin lag die Betonung bis vor einiger Zeit noch auf dem "Ich, der Leser, filtere selbst." Und ich brauche um an Informationen zu kommen nicht unbedingt mit den Leuten vorher befreundet sein.

Das kleine Wort "noch" allerdings lässt ahnen, dass Twitter seit einigen Tagen sich neu erfinden möchte. Dabei ist das für die Nutzer nichts Neues. Schon längere Zeit gab es das "Während du weg warst"-Feature - ziemlich nervig manchmal, weil man das immer separat zuklappen musste anstatt dass es von selbst nach dem Lesen der Tweets verschwand. Hier zeigte Twitter Tweets an, die möglicherweise für einen interessant waren während man selbst gerade nicht bei Twitter war. Da Twitter ein Echtzeit-Medium ist war dies schon der erste Stein, der den Strom etwas aufhielt und lenkte. Jetzt hat Twitter ein ähnliches Feature eingeführt - und führt damit einen Algorithmus ein, der wichtige und bedeutende Tweets als Erstes anzeigt.

Was für die alten Hasen bei Twitter schon ein Schock ist - sie haben letztens schon protestiert als die Pläne für einen Algorithmus auf dem Tisch lagen, ließen sich aber durch den CEO beschwichtigen. Der als cleverer Formulieren übrigens zu keiner Zeit wirklich ausschloss, dass es in Feature wie den Algorithmus nicht geben würde. Er verwies nur auf das "Während du weg warst"-Feature, eine komplette Agorithmisierung der Timeline schloss er allerdings wirklich aus. Und da hatte er Recht: Der Algorithmus erfasst zwar die Timeline des Nutzers, sortiert diese aber nicht vollständig sondern nur in einem kleinen Teilbereich. Den man auch - zumindest jetzt noch - übrigens in den Einstellungen bei Twitter abschalten kann. Wie lange ist die Frage.

Wie lange die alten Hasen, die Heavy User, jetzt noch bei Twitter bleiben werden ist die andere Frage. Schaut man sich #RIPTwitter an, dann wohl nicht mehr all zu lange. Abgesehen davon, dass es bestimmt immer noch Nutzer gibt, die die alte Homepage von Twitter zurückhaben möchten und alles Neue kritisch beäugen: Twitter hat seine Hardcore-Nutzer erstmal gehörig verprellt. Aber das ist seltsamerweise auch logisch: Wie bekommt man neue Nutzer und stoppt den Wachstum? Man richtet sich an die Bedürfnisse der Neuen Nutzer natürlich. Wenn denen die ganzen Twitter-Interna zu kompliziert sind, dann führt man halt einen Algorithmus ein, der zumindest die wichtigeren Tweets oben anzeigt. Das kennen die meisten von Facebook her. Wer zudem Twitter nur als Suchmaschine benutzt wird froh über eine weiter Option sein, die anzeigt was man sonst verpassen könnte.

Die Gefahr ist allerdings, dass man wenn man zu weit geht und zu sehr renoviert die alten Nutzer so sehr verprellt, dass man sie nicht wieder aktiv auf die Plattform bekommt. Denn das Wachstum der Nutzerzahlen ist das eine, das andere ist die Frage wie aktiv die Nutzer denn auf ihr sind. Karteileichen gibts zu Hauf, ob bei Facebook oder Twitter. Um den Nutzer mehr zu involvieren ist sicherlich das neue Algorithmus-Feature wie das vorhandene "Während du weg warst" optimal geeignet - nur wenn die alten Hasen weglaufen nutzt das dem Dienst nun nichts. Die Gratwanderung ist wirklich schwierig.

Eventuell kann man das neue Feature ja noch einigermaßen ertragen - aber am Horizont murmelte man bei Twitter schon etwas von dem Fallen-Lassen der 140-Zeichen-Grenze, ja, vom Bearbeiten der Reply-Funktion. Ob und in wieweit Twitter das angeht ist die Frage, aber während der Algorithmus eher noch ignoriert werden kann, man muss ihn in den Einstellungen einfach abwählen, wären die anderen Komponenten ein Eingriff ins Herz des Dienstes. Die 140-Zeichen-Grenze ist essentiell für die pointierte Darstellung, die Reply-Funktion und das @ ermöglicht erst das Wahrnehmen von Botschaften an sich, die sonst im Strom vorbeirauschen. Ich hoffe, Twitter lernt jetzt aus den Reaktionen der Fans - und lässt die Finger davon unbedingt so sein zu wollen wie Facebook. Allerdings hat Facebook momentan den besseren Börsenkurs...

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