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Der Lesezyklus gerät aus den Fugen oder Wenn Ältere nur noch eBooks lesen

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne

Der Lesezyklus gerät aus den Fugen ...
... oder: Wenn Ältere nur noch eBooks lesen

"Mit durchschnittlich 6 ¾ Stunden haben die über 65-Jährigen die längste Lesedauer je Woche." So Destatis. Nun wird man einwenden, dass die älteren Mitbürger wohl auch mehr Zeit für das Lesen haben als die, die noch mitten in einer 38-Stunden-Tage-Woche - wenn nicht noch länger - stehen.

Und eigentlich ist das doch positiv, oder?


Schließlich werden wir alle älter und irgendwann werden dann die Jugendlichen, die heute nicht viel lesen, dann bestimmt mehr lesen wenn sie im Ruhestand sind. Momentan lesen Jugendlicher so 1,5 Stunden die Woche. Und davon entfallen wohl nicht unbedingt alle Stunden auf Bücher, schließlich sind noch Kataloge, Zeitschriften und anderes da, was gelesen werden kann.

Bisher funktioniert die Kette doch so: In der Jugend hat man alle Möglichkeiten, aber wenig Zeit. Lesen für den Deutschunterricht ist doof, weil man da Bücher liest die einen eh nicht interessieren und warum der Deutschlehrer nicht Douglas Adams als Lektüre nimmt versteht doch eh keiner. Douglas Adams. Da kann man so viel draus lernen. Aber gut, in der Jugend hat man eh viel bessere Dinge zu tun: Computerspiele, Fußball, Bier, Fußball, Bier, Party, Computerspiele... (Und an dieser Stelle möge man bitte alle Klischees einfügen, die man der Jugend gegenüber so hat.) Da Jugendliche ihr Geld nun nicht besonders auf Bücher verwenden - gemeinhin ist es doch so, dass man später viel zu faul wird die illegalen Angebote des Netzes stundenlang zu durchsuchen nur um ein paar Euro wegen der aktuellen neuen Beststeller zu sparen, das sieht bei Fernsehserien vielleicht anders aus und falls endlich mal das Geoblocking und die Rechte-Situation endgültig so geklärt wäre, dass man aktuelle Serien halt auch dann gucken kann wenn man keine Proxys nutzt... Aber das ist ja nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass natürlich Jugendliche andere Dinge in ihrem Umfeld haben als unbedingt zu lesen. Der berüchtigte Leseknick, den Bibliotheken so ab der Pubertät feststellen können - weil dann meistens die Berufslaufbahn beginnt, man also noch weniger Zeit hat und überhaupt total andere Interessen, es nennt sich Freundin und Familie gründen - ist ja kein Mythos.

Später aber, so war das bisher immer, kommen die dann alle wieder. Die einen mit ihren Kindern, die anderen weil sie sich weiterbilden wollen, die anderen weil sie jetzt endlich Zeit haben das zu tun, was sie immer schon tun wollten. Das ist gut erforscht und für Bibliotheken sicherlich nichts Neues. Dass wir dann auch eine Gesellschaft haben, die älter und älter wird kommt noch dazu. Erstaunlich übrigens, dass von dem früher so großem Thema "Wir Deutschen sterben alle aus" seit längerem nichts mehr zu hören ist. Die Erzählung scheint sich abgelebt zu haben. Dennoch: Die Gesellschaft an sich wird nicht jünger. (Deswegen müsste man eigentlich jeden Zuzug in ebendiese mit freudigen Herzen aufnehmen. Was bisher aber keinem derjenigen, die sehr stark rechts wählen irgendwie einzuleuchten scheint.)

Jedenfalls: Bisher war das System einigermaßen stabil. Aus den Jugendlichen, die wenig lasen, wurden im Laufe der Zeit Rentner, die viel lasen. Daher waren gedruckte Bücher nun auch nie wirklich in Gefahr. Bis - nun - so führt es Bookbytes an - auf einmal die über 55jährigen anfangen bei eBooks zu führen. Sagte der CEO von Kobo. Und wenn der das sagt, dann muss das wohl auch stimmen, schließlich ist Kobo einer der Anbieter für eBooks und Apps. Hoppla - auf einmal führen gerade die Älteren eine Digitale Revolution an? Die, die eigentlich bisher eher das gedruckte Buch goutierten? Wobei das natürlich verständlich ist: Das Geheimnis heißt Schriftgrößenverstellung. So richtige Großdruckausgaben habe ich im Buchhandel seit Jahren nicht mehr gesehen. Früher gab es die noch. Schön, bei Gesangbüchern sind die noch ab und an zu finden. Aber eine richtige Abteilung mit Großdruckbüchern? Oder eine Abteilung in der Bibliothek gar?

Klar, wenn ich die Schrift so vergrößern kann wie ich möchte und die Bedienung zudem noch bequem ist - warum sollte ich mir dicke, schwere Wälzer ins Bett packen wenn ich ein einfaches Gerät mit einer Hand halten kann? Und heutzutage ist es auch kein Zauberwerk mehr Bücher direkt auf das Gerät herunterzuladen. Ein Klick - fertig. Wird vom Konto abgebucht, ich hab das Buch sofort da und brauch nicht mehr unbedingt in den Buchhandel zu gehen. Dass diese Art und Weise des Konsums für den normalen Buchhandel ein Problem werden könnte - das ist momentan zu ahnen, aber noch nicht so ganz zu erkennen. Dennoch sollte man sich vielleicht darauf einstellen. Nun schön, Kunstbände und Fotografen-Bücher und schwere Wälzer über die Schönheiten der Sahara in 200 Bildern - die sind natürlich auf einem eBook (noch?) nicht unbedingt darstellbar. Aber offenbar deutet sich da seine Verschiebung des Lesezyklus' ab: Es ist nicht so, dass die Jugendlichen digital lesen und die Älteren dann zurück zum Print zu kommen scheinen. Was in der Zukunft wohl den Umsatz bei den gedruckten Werken stark dezimieren wird und wenn ich einen Blick in die Zukunft wagen darf: Zwar sind die Zahlen von Kobo wohl nur erstmal in den USA anwendbar, aber der Trend zu einem digitalen Leseerlebnis ist auch hier in Deutschland ja nicht zu leugnen. Ob es nun Apple, Amazon oder Tolino ist. Was bedeutet, dass Buchhändler sich vielleicht jetzt schon überlegen müssen, wie sie in Zukunft ihr Sortiment gestalten möchten. Die eine Antwort sehen wir ja jetzt schon: Aus dem Buchhandel wird ein Gemischtkramwarenladen mit Spielen, Puppen, Tellern, Tassen... Die andere Antwort wäre eventuell, dass der Buchhandel um die Ecke sich vielleicht stärker auf seine Beratertätigkeiten besinnt. Zeigt, wie die Geräte funktionieren und empfiehlt, welche Apps man am Besten nutzen kann. Einige Stadtbibliotheken haben schon eine eBook-Reader-Sprechstunde eingerichtet. Keine schlechte Idee.

Kommentare  

#1 Hermes 2016-04-01 01:14
Zitat:
Dass wir dann auch eine Gesellschaft haben, die älter und älter wird kommt noch dazu. Erstaunlich übrigens, dass von dem früher so großem Thema "Wir Deutschen sterben alle aus" seit längerem nichts mehr zu hören ist. Die Erzählung scheint sich abgelebt zu haben. Dennoch: Die Gesellschaft an sich wird nicht jünger. (Deswegen müsste man eigentlich jeden Zuzug in ebendiese mit freudigen Herzen aufnehmen. Was bisher aber keinem derjenigen, die sehr stark rechts wählen irgendwie einzuleuchten scheint.)
Na das ist ja mal eine Assoziationskette!

Die steigende Lebenserwartung bezieht sich grundsätzlich auf die jetzt Geborenen, nicht auf uns ältere Semester.

Jemand, der sich Sorgen darüber macht, dass "die Deutschen" alle aussterben, wird sich kaum damit trösten, dass jetzt mehr Syrer, Afghanen und Iraker im Land leben.

Und die Prognosen, wie sich die Gesellschaft entwickelt, stehen doch alle irgendwie auf unsicheren Füßen. Niemand hat den großen Flüchtlingszustrom vorhergesagt, niemand die Atomkatastrophe in Fukushima vorhergesehen. Was wenn es in den nächsten Jahren doch zu der großen Pandemie kommt, vor der seit Jahren regelmäßig gewarnt wird? Oder die gefährlichen Krankenhauskeime endgültig außer Kontrolle geraten?
#2 Laurin 2016-04-01 01:40
Nun ja, muss da Hermes durchaus recht geben. Da hinken einige Aussagen und Prognosen über die Entwicklung der Gesellschaft, da wäre ich auch vorsichtig mit, hat in gewisser Weise auch was vom Kaffeesatzlesen. Und was Zahlen angeht in Sachen Lesefreude der Älteren durch eBooks und die daraus resultierenden Prognosen wäre ich auch vorsichtiger, denn da muss man auch die jeweilige Gesellschaftsschichten benennen auf die das dann zutrifft. Solche Aussagen sind so daneben wie die, nach dem jeder Bundesbürger im "Durchschnitt" so und soviel Tausende von Euro haben müsste, nur wenn viele dann ihr Konto sehen, kommen ihnen Tränen in die Augen.
Wie heißt es oben so schön...

Zitat:
" Sagte der CEO von Kobo. Und wenn der das sagt, dann muss das wohl auch stimmen, schließlich ist Kobo einer der Anbieter für eBooks und Apps."

Bei solchen Sätzen fällt mir immer der Spruch ein: Traue nur den Statistiken, die du auch selber gefälscht hast.
#3 Kerstin 2016-04-01 09:31
Die größer einstellbare Schrift ist sicher ein Argument. Allerdings passt dann weniger auf den Display. Ich hab nicht so ein Ding, aber ich stelle mir vor, dass man dann permanent weiter schieben muss. Ob das nun wirklich das Ei des Kolumbus ist? Vielleicht sollten die Verlage einfach nur mal stärker darauf achten, was der Leser wünscht, u. a. also auch lesbare Schrift und kein Augenpfeffer.
Schwierig wird das Lesen allemal, wenn man keine vernünftige Beleuchtung im Hause hat, sondern nur so schummrige Dämmerung. Sei es, weil das gemütlicher aussieht oder weil es keine starken Lampen mehr gibt. Ich habe beim Einrichten meines Hauses die Krise gekriegt, weil die Lampen alle nur so schwache Birnchen vertragen. Da kann ich mir ja gleich eine Kerze hinstellen. Umweltschutz und Stromsparen sind sicher nicht der wahre Grund dafür. Eher hat sich die Lampenindustrie gedacht: Wenn die Latüchte so schwach ist, müssen die Leute mehrere Lampen kaufen, damit sie was sehen. So machen wir mehr Reibach. Aber richtig gut sieht mann dann immer noch nicht, weil das Licht sich so verstreut. Ist den Beleuchtungsmanagern auch egal, weil die haben ihr Ziel erreicht, wenn sie genug Funzeln verkauft haben. Im Gegenteil, vielleicht kaufen die Leute ja bald wieder neue Lampen in der Hoffnung, dass die dann besser sind.
#4 AARN MUNRO 2016-04-01 09:52
Es geht wohl nicht nur um Schriftgrößenverstellung sondern schlicht um Raum. Der alte Mensch, sofern er nicht wirklich wohlhabend ist, lebt als schmal betuchter Rentner in kleinen Räumen...er hat wenig Platz für jede Menge große Bücher...das e-book ist also auch raumsparender...von Ausnahmen natürlich abgesehen...Gewichtsersparnis unterwegs eingeschlossen...vor allem, wenn man klappriger wird...
#5 Toni 2016-04-01 17:02
Auch wenn meine Augen immer schlechter werden und die Lesehilfen von der Tankstelle überall in der Wohnung herumfliegen, möchte ich beim entspannten Lesen Papier zwischen den Fingern halten. Ein eBook würde mir den Spass nehmen.
Aber das habe ich beim Kampf zwischen Schreibmaschine und PC oder Festnetz und Handy auch gesagt...
#6 Laurin 2016-04-01 18:01
Da stimme ich dir zu AARN MUNRO, obwohl man da auch wieder die jeweilige Gesellschaftsschicht vielleicht betrachten sollte.
Zumindest kenne ich durch mein Berufsleben eine Menge Rentner (ehemalige Mitarbeiter), die an Lesestoff mit der BILD Zeitung oder der EXPRESS schon das höchste der Gefühle erreicht haben. Wenn die in ein Buch schauen, kann man das dann schon rot im Kalender ankreuzen. Und manche Rentner würden vielleicht gerne, müssen aber jeden Euro dreimal umdrehen und überlegen es sich auch eben so oft, sich solch ein Gerät überhaupt anzuschaffen. Das trifft natürlich nicht auf alle zu, aber muss man leider in die Tiefe betrachtet mit einberechnen.
#7 Kaffee-Charly 2016-04-01 22:39
zitiere Kerstin:
Die größer einstellbare Schrift ist sicher ein Argument. Allerdings passt dann weniger auf den Display. Ich hab nicht so ein Ding, aber ich stelle mir vor, dass man dann permanent weiter schieben muss. Ob das nun wirklich das Ei des Kolumbus ist? ...

Da hast du eine etwas falsche Vorstellung.
Beim Tolino kann man mit einem Fingerstreichen weiterblättern, aber es genügt auch ein kurzes Tippen auf den rechten Rand des Displays - und schon wird die nächste Seite angezeigt.
Man kann das Teil einfach nur mit der rechten Hand halten und dabei mit dem Daumen (minimalste Bewegung) weiterblättern.
Das geht so fix, dass man dabei sogar als "Schnell-Leser" nicht mal eine spürbare Lese-Unterbrechung wahrnimmt.
(Beim Kindle ist es meines Wissens genauso.)

Reine Unterhaltungslektüre lese ich inzwischen fast nur noch auf dem eReader, denn das ist wegen der einstellbaren Schriftgröße deutlich augenschonender und außerdem kann ich das Gerät überall hin mitnehmen.
Gedruckte Bücher lese ich inzwischen nur noch sehr selten und dann auch nur zu Hause.
Es kommt aber hin und wieder vor, dass mir ein eBook so gut gefallen hat, dass ich es auch in gedruckter Form haben will. Das Buch ist dann aber weniger zum Lesen sondern mehr als Zierde in meinem Bücherregal gedacht.

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