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Hören oder lesen? - Das ist hier die Frage - Einige persönliche Gedanken übers „blinde“ eBook lesen

Das Romanheft, das Universum ... und die Dinge dazwischen - Die Multimedia KolumneHören oder lesen? -
Das ist hier die Frage

Einige persönliche Gedanken übers „blinde“ eBook lesen

Ich glaube, viele Leser kennen meine Einstellung zu eBooks. Da ich blind bin, freue ich mich immer, wenn ich ein Buch, das ich gerne lesen würde auch elektronisch erwerben kann und nach Möglichkeit sollte dies den legalen Weg nicht verlassen.

 

Johannes KremserIch stehe ihnen aber auch etwas skeptisch gegenüber, ob es sich für Verlage lohnt, auch oder nur eBooks herauszubringen.

Viele Sehende würden ein Buch um einiges lieber lesen, als ein eBook. Klar, kann man verstehen, auch wenn sich mir dabei die Frage stellt, wieso dann Sehende Stunden lang vor dem PC oder Fernseher sitzen können, ohne das ihnen die Augen schmerzen, aber das ist eine andere Sache.

Ich freue mich immer, wenn ich erfahre, dass ein Verlag oder Autor auf die eBook-Leser - und das sind nicht nur ausschließlich Blinde - zukommt, und er seine Bücher auch in elektronischer Form anbietet. Da stellt sich mir allerdings dann die Frage, warum Autoren gegen Amazons e-Book-Reader Kindle 2 demonstrieren und verlangen, dass Amazon die Sprachausgabe sofort entfernt.

Amazon hat nämlich einen eBook-Reader herausgebracht und in seiner neuesten Version beinhaltet dieser sogar eine Sprachausgabe, die es Lesern ermöglicht, das Buch auch „mit den Ohren“ lesen zu können. Er befindet sich nicht in meinem Besitz und ich kann auch nicht sagen, welche Qualität die Vorlesestimme hat, aber anscheinend ist sie recht gut, denn amerikanische Autoren warfen Amazon vor, aus ihren eBooks Hörbücher zu machen. Und weil Amazon kein Recht hat, Hörbücher zu erstellen, musste die Software entfernt werden.

Allerdings, und hier wird mir wahrscheinlich jeder „normal“ denkende Mensch zustimmen, sind ein eBook, das von einem Screenreader vorgelesen wird und ein Hörbuch zwei verschiedene paar Schuhe. Ladet euch mal die JAWS-Demo runter und lasst euch einen längeren Text vorlesen. Ich bin mir sicher, die meisten Sehenden liegen nach fünf Minuten mit heraushängender Zunge über ihrer Sessellehne. Ist ja auch ganz logisch. JAWS hat zugegeben einen genialen Screenreader, der fast schon menschlich wirkt, nur wird kein Screenreader auch nicht in hundert Jahren Gefühle ausdrücken können. Er variiert seine Lautstärke nicht, wird nicht langsamer (wenn das Opfer sich irgendwo vor dem Gangster versteckt) und auch nicht schneller, wenn der Gangster das Opfer gefunden hat und knapp vorm abdrücken ist. Deshalb ist für mich ein eBook, das von einem Screenreader vorgelesen wird, kein Hörbuch. Dies sehen die Kläger von Amazon anscheinend doch anders als ich.

Interessant, nicht wahr? Anscheinend haben die Herrschaften von dieser Vereinigung, mit vollem Namen „The Authors Guild“, keinen Plan von der Materie.

Kein Blinder liest ein Buch mit den Fingern! Das ist ein Fakt und daran wird sich auch in hundert Jahren nichts ändern. Ich habs mal probiert und nach fünf Seiten hatte ich schmerzende Fingerkuppen.

Klar, Bücher, die auf Papier gedruckt sind, also mit Blindenschrift, muss man mit den Fingern lesen, und bei Papier ist es auch angenehmer. Allerdings braucht man für ein normales Buch in sehender Schrift ungefähr ein Regal, damit man die Blindenausgabe verstauen kann. Also ist das relativ unbequem, wenn man im Zug mal ein Buch lesen will. Wink

Da ist ein eBook am Handy oder Computer schon ziemlich leichter zu handhaben. Und damit wären wir wieder beim Thema.

Amazon musste also die Sprachsoftware entfernen und damit Blinden eine gute Alternative nehmen, um ein Buch ohne große Komplikationen lesen zu können, sprich ohne einscannen und von einem Format ins nächste Konvertieren, damit es der Standardscreenreader - bei mir ist das übrigens JAWS 7.10 - eine Demo ist auf Freedom Scientific zu finden - lesen kann.

Gut, die Autoren haben ihr Ziel erreicht und argumentieren auch noch damit, dass der Kindle2 sowieso für Blinde nicht benutzbar ist, vergessen allerdings, dass es auch Blinde mit einem kleinen oder größeren Sehvermögen gibt, die ihn durchaus benutzen hätten können.

Allerdings, und hier tritt dies ein, was ich oben geschrieben habe, nämlich das die Herrschaften keine Ahnung von der Materie haben - ich vergleiche sie manchmal mit Politikern - greift jeder Blinde auf einen Screenreader zurück, um ein Buch zu lesen.

Beispiel: Ich kauf mir ein Buch mit 500 Seiten Umfang, scann 100 Seiten in ein bis zwei Stunden ein, stell die Stimme meines Screenreaders auf eine Geschwindigkeit von 60 bis 75 Prozent, lehn mich entspannt zurück und lass mir die 100 Seiten vorlesen. Demnach müsste ich eigentlich schon für  mehrere Jahre hinter Gittern sitzen, denn ich lese ja kein Buch, sondern höre ein Hörbuch. Und das soll kein Gestäntnis sein. Wink

Aber so was bedenkt man ja in der Politik, äääh, als „The Authors Guild“-Mitglied ja nicht.

Einfach herrlich, oder? Und an statt das Amazon sich wehrt und mal ein paar Blinde befragt, ziehen sie den Schwanz ein und entfernen sie die Software vom Gerät. Ich hoffe nur, dass nicht mehr Autoren der Meinung von „The Authors Guild“ sind, denn sonst dürfen wir Blinden bald nicht mal mehr vor die Tür gehen, da ja die Gefahr besteht, dass wir jemanden mit dem Blindenstock erschlagen.

Schade, schade, aber anscheinend muss man in der heutigen Welt schon um Erlaubnis bitten, ein Buch einzuscannen. Denn es könnte ja die Gefahr bestehen, dass man das eBook - seht ihr, schon wieder ein Grund, uns Blinde einzusperren - wir haben wahrscheinlich kein Recht, aus anständigen Büchern eBooks zu machen - weiter gibt, um damit anderen Blinden die Scannarbeit zu ersparen.

Ich werde jedenfalls diese Sache verfolgen und auf ein gutes Ende hoffen.

Im Übrigen: Den Artikel, über den ich mich hier so ausgelassen habe, kann man hier in voller Länge sehen. Einfach ein Stück runterscrollen, oder keine Ahnung, wie das für euch aussieht.

Zum Schluss noch ein paar Worte: Dies sind meine persönlichen Gedanken, die mir, als ich diesen Artikel gelesen habe, als Erstes durch den Kopf gingen. Vielleicht sehen andere Blinde dies anders, und ich würde mich auf Gedankenaustausch sehr freuen. Für mich persönlich ist das aber eine gewaltige Schweinerei und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, in Form dieses Artikels, um so etwas in der Zukunft zu vermeiden.

 

Johannes Kremser

 

Kommentare  

#1 Stefan Holzhauer 2009-04-17 16:23
Meiner Ansicht nach ist das eine unzulässige Benachteiligung. Im Web geht der Trend dahin, dass Webseiten barrierefrei erstellt werden sollen (bei öffentlichen Stellen gesetzlich begründet sogar müssen - auch wenn die sich selbst nicht dran halten). Warum werden die Verlage nicht verpflichtet, ihr Material für Blinde in geeigneter Form bereits zu halten? Und wenn sie das nicht können oder wollen, dann muß entsprechendes Kopieren unter Blinden freigegeben und legalisiert werden. Ich warte aber noch auf den ersten Verlag, der Blinde deswegen belangt, die wissen schon alle sehr genau, warum sie das nicht machen, der Publicityschaden wäre nicht mehr zu reparieren.

Dass Amazon wegen der Vorlesefunktion eingeknickt ist, ist einfach nur peinlich. Aus einem elektronisch verlesenen Text eine "Vorführung" zu konstruieren - lächerlicher geht's seitens der amerikanischen Verleger nimmer. Ich vermute aber, dass Amazon erstmal die Rechtslage prüft. Die Funktion ist drin und kann ganz sicher mit einer neuen Firmware nachgepatched (oder reaktiviert) werden!

Ansonsten verweise ich auf den von mir an anderer Stelle vorgestellten eBook-Reader txtr auf Linuxbasis. Da die Programmierschnittstellen offen liegen, kann da im Prinzip jeder des Programmierens Kundige eine Sprachausgabe implementieren. Ja, mir ist bewußt, dass es ganz so einfach nicht ist, da die brauchbaren Sprachbibliotheken kommerziell und nicht grade preiswert zu haben sind. Aber mal abwarten...
#2 Johannes Kremser 2009-04-18 12:38
Ja, abwarten ist hier das einzige was man tun kann.

Und es ist wirklich eine schweinerei, was manche Homepages sich leisten.
Auf der Adobehomepage z.B. sind die Downloadlinks immer graphisch dargestellt und ich brauch immer einen Sehenden, der mir das anklickt.
Zwar ists ja kein Problem, aber ich muss mich da wirklich mal beschweren.

Bei Amazon wars ja auch mal so: da konnte ich mein Passwort und meine Mailaddi nicht ändern, weil ein Sicherheitscode einzugeben war und es gab auch keine Funktion, die Buchstaben abspielen zu lassen. Eine Mail später jedoch schon...

Ich glaub, den meisten Homepageprogrammierern ist es gar nicht bewusst, dass es auch Menschen gibt, die mit Graphik nichts am Hut haben und Programme, die nur auf graphischer Basis funktionieren am liebsten zum Mond schießen würden...

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