Warum MINT nicht wirklich die Lösung unserer Zukunftsprobleme sein kann
Warum »MINT« nicht wirklich die Lösung unserer Zukunftsprobleme sein kann
Und wenn die Mädchen halt nichts mit Technik und so anfangen können, dann macht man Girls Days, Boys Days, Transgender Days. Der Appetit für die Fächer kommt mit dem Machen...
Ja, das war Sarkasmus. Natürlich war das Sarkasmus, aber wenn man heutzutage auf das blickt was der Bund und die Länder an Schulen so treiben, dann kann man nur noch in diesen Tonfall verfallen. Ja, die Kinder sollen möglichst schon im Kindergarten das erste Computer-Programm schreiben können, denn je eher man die Kleinen an die Technik heranführt, desto besser ist das ja. Die Häuser der kleinen Forscher haben die Aufgabe, die Kleinen schon möglichst früh an diese MINT-Fächer heranzuführen, wie man auf der Webseite lesen kann: Die gemeinnützige Stiftung "Haus der kleinen Forscher" engagiert sich für gute frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) – mit dem Ziel, Mädchen und Jungen stark für die Zukunft zu machen und zu nachhaltigem Handeln zu befähigen.
Schließlich wollen wir alle ja nur das Beste für unsere Kinder und später brauchen die doch Kompetenzen für den Beruf. Da fördert man doch schon im Kleinkindalter gerne, was die Wirtschaft später gebrauchen kann. Und was im Kindergarten anfängt, setzt sich dann in der Schule fort. Unzählige geförderte Programme des Bundes und der Länder sorgen dafür, dass MINT in den Fokus gerückt wird. Die Ausbildung eines humanistischen Menschenbildes, in dem die Persönlichkeit des Einzelnen im Vordergrund steht, die klassischen Bildungsideale eines Humboldts oder das, was man früher mit dem Bildungsbürgertum und dem Gymnasium verband - all das rückt mehr und mehr in den Hintergrund.
Humboldtsches Bildungsideal? Was war das eigentlich nochmal? Lassen wir den bekannten Forscher selbst sprechen: „Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum andern überzugehen.“
Es geht also um Grundkenntnisse, die jeder kennen muss. Dazu gehört für Humboldt nicht nur das, was heutzutage MINT genannt wird, der Begriff ist definitiv weiter gefasst wie man gelesen haben sollte. Er umfasst die Ausbildung eines Charakters, die Ausbildung der Persönlichkeit. Nur, wer wirklich aufgeklärt ist, wer ein anständiger Mensch ist, wer zudem auch ein guter Bürger ist, der kann später im Beruf auch wirklich gute Leistung erbringen. Also nicht nur MINT ist wichtig, Humboldt bestreitet das ja nicht, sondern auch Kunst und Kultur. Denn diese bilden ebenfalls wie die MINT-Fächer den Charakter. Beide Elemente sind wichtig, um einen guten Bürger zu formen.
Heutzutage hat sich das allerdings verschoben. Der gute Bürger ist im Auge des Staats der, der schon frühzeitig fit für die Wirtschaft gemacht wird. Wer frühzeitig etwa lernt, mit Geld umzugehen, mit dem Chemiebaukasten das Kinderzimmer in die Luft zu jagen, wer in die Geheimnisse der Banken eingeweiht wird und wessen kleine Finger schon die Tastatur von Smartphones und Computern bedienen kann, der ist perfekt für die Wirtschaft und die Firmen vorbereitet. Nach der Schule möglichst schnell studieren. Möglichst schnell ins Handwerk gehen. Möglichst schnell ein Start-Up gründen. Das sind die Werte, die heute eine Rolle spielen.
Kunst dagegen kommt an den Schulen zu kurz, stellte schon 2014 DIE WELT fest. Und der Musikunterricht ebenfalls. Wozu sollten Kinder auch lernen, wie man Bilder interpretiert? Für die Wirtschaft ist diese Fähigkeit nicht notwendig und fürs spätere Leben auch nicht, oder? Zudem: Wenn man schon knapp mit Geld und Personal ist, was ist dann wichtiger: Dass das Kind zukünftig zukunftssichere Fähigkeiten bekommt oder dass es die Fähigkeiten von Orchideenfächern vermittelt bekommt? Steve Jobs hat schließlich auch keine Bilder gemalt.
Es ist generell erschreckend, wieviel Unterrichtsstunden an Schulen ausfallen. Letztes Jahr führte DIE ZEIT eine eigene Befragung zum Thema durch, die Ergebnisse sind alarmierend:
Insofern können Eltern nun beide Variablen in der Gleichung des Grauens ausfüllen: 5 Prozent Unterrichtsausfall + knapp 5 Prozent Vertretungsunterricht = nahe 10 Prozent schlechte Chancen für mein Kind. So viele Schulstunden finden im Schnitt nicht oder irregulär statt.