Smartphone killed the Videostar
Smartphone killed the Videostar
3:43 - drei Stunden und dreiundvierzig Minuten - verbringt der Amerikaner durchschnittlich am Tag an seinem Gerät. Dem Fernsehen widmet er immerhin noch 3:35. Das Smartphone schlägt das Fernsehen also um etliche Minuten. Noch. Denn der Spalt zwischen den beiden Medien wird sich aller Voraussicht nach in den USA noch verbreitern. Tablets sind übrigens vernachlässigbar. Vielleicht, weil sie halt nicht ständig in die Tasche passen und bei Busfahrten sind Smartphones - bis zu einer gewissen Größe - ja noch handhabbar falls man keinen Sitzplatz bekommt.
Die interessante Frage: Was machen Amerikaner eigentlich mit ihrem Smartphone? Sie nutzen mehr Apps als den Browser und sie streamen vor allem Musik. Das ist ein Trend, der analog bei uns zu den Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen ist übrigens. Wobei die Quelle hier nicht weiter zwischen Musik, Audiobüchern oder Podcasts unterscheidet. Da gerade Podcasts in den letzten Jahren attraktiv geworden sind, geht für die natürlich auch eine gewisse Zeit drauf. Was dann nicht weiter erstaunlich ist: Auf den zweiten Platz kommen die Social Networks.
Langweilen wir uns jetzt also statt vor dem Fernseher vor dem Smartphone zu Tode, um Marshall McLuhan zu zitieren? Vermutlich würde er genau das statuieren. Zwar kannte er das Netz noch nicht, aber immerhin kommt der Begriff des Globalen Dorfes bei ihm schon vor. Die Frage, die interessanter ist - sorry, Marshall - was für Auswirkungen hat das Schwinden des Fernsehens als Leitmedium für die Gesellschaft?
Jetzt ist es nicht so, dass das Fernsehen per se auf einmal verschwinden wird. Schallplatten sind ja immer noch da, obgleich ich befürchte, dass Morsestationen wirklich aus der Zeit gefallen sind. Die Inhalte, die für das Fernsehen produziert werden, sind ja längst - zu Teilen - ins Internet gewandert. YouTube ist eigentlich das perfekte Archiv für längst vergangene Bewegtbild-Sendungen. Es ist nun mal so, dass wir das Fernsehen nicht mehr so nutzen, wie wir es lange Zeit gewohnt waren. Während es früher wenigstens noch die Sendepause gab, flossen später die Inhalte rund um die Uhr in einem von den Machern vorgegebenen zeitlichen Ablauf ein und wir channelsurften von einem Programm zum nächsten. <Nun zu etwas völlig Anderem ...>
Heute haben sich die Kanäle erweitert: Netflix, Amazon Prime, YouTube und auch die Mediatheken der Sender bieten noch mehr Unterhaltung und noch mehr Abwechslung. Dazu kommen die Konsolen wie die Switch, die Playstation ... Wir sind längst daran gewohnt, uns für den Abend unsere Unterhaltung selbst zusammenzustellen. Abgekoppelt von der Fernsehzeitung und von dem, was die Macher glauben, was uns gefallen würde, stimmen wir mit den Füssen ab. Sicher: Bei Sportereignissen oder dem ESC mögen wir uns noch gemeinsam vor das knisternde mediale Lagerfeuer setzen, gleichzeitig aber haben wir das Smartphone bereit und tippen unsere Meinung ins Netz.
Jeder sein eigener Programmchef. Das hat den Nachteil, dass die medialen Narrative des Fernsehens nicht mehr bindend sind. Mit Game of Thrones ist gerade die vorerst letzte große Serienerzählung zu Ende gegangen, der man nicht entgegen konnte, weil alle Welt drüber berichtete. Dass diese Serie bei HBO und somit einem Pay-TV-Kanal lief ... nun, das könnte bezeichnender nicht sein. Sicherlich kann man dagegen Strange Things oder Better Call Saul setzen, aber um diese Serien zu sehen braucht man schon einen Netflix-Account oder muss sich in die Untiefen des Netzes begeben. Und natürlich hat Strange Things eine Menge Medienaufmerksamkeit erregt, aber das lässt dann bei anderen Serien schon nach. Amazon Prime gelingt das verbindende Element ja dann kaum - American Gods ist nur eine Übernahme von einem Fernsehsender und so richtig gezündet hat eine eigenproduzierte Serie bisher nicht.
Mediale Narrative werden aber auch durch Nachrichtensendungen, Dokumentationen und Reportagen gesetzt. Oder durch Comedysendungen. Es gibt bei Netflix zwar ein oder zwei, die sich in der Art der Heute-Show oder des seligen Colbert-Reports mit den Befindlichkeiten der Welt humoristisch auseinandersetzen. Und ja, mittlerweile gibt es diverse Streamingdienste, die nur Dokumentationen oder Reportagen im Programm haben. Die strapazieren aber das Budget über Netflix und Amazon Prime noch hinaus - sofern man nicht auch YouTube noch in der Premium-Version nutzt - und wer das abonniert gehört nicht zur Masse der Zuschauer. Man mag ja über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zetern und mordioren, was das Zeug nicht hält: Dokumentationen und Reportagen, kritische Berichterstattung - dafür brauchen wir ihn. Und wenn die gemeinsame Erfahrung hier auseinanderbricht, also wenn gewisse Grundwerte nicht mehr gemeinsam vermittelt werden, weil wir alle unsere eigene Medienwelt installiert haben, dann haben es Fakenews und simulierte Nachrichten - das, was Parteien jeglicher Couleur gerne hätten und mit dem Begriff Newsroom tarnen - erheblich leichter.
Denn wie überprüft man auf dem Smartphone, was vertrauenswürdig ist und was nicht? Dieses Vertrauen haben sich einige Fernsehsender - nein, nicht alle - in Jahrzehnten erarbeitet. YouTube blendet seit einiger Zeit schon einige Hinweise unter den Videos von Funk oder öffentlich-rechtlichen Sendeformaten ein. Bei anderen Angeboten ist das schwieriger: Ob ich einem Podcast vertraue, das hängt von den Machern ab, von dem Thema, ob ich den Eindruck habe, dass es gut recherchiert ist. Wenn der eine Hörer allerdings eher im rechten Spektrum zu Hause ist, wird er einen Podcast der Grünen wohl kaum vertrauen. Und umgekehrt.
Das ist wohl die Kernfrage, der wir uns in den nächsten Jahren stellen werden müssen: Was passiert, wenn das Fernsehen noch mehr an Wert verliert als es schon hat? Bekanntlich leben wir schon in einer Welt, in der simulierte Nachrichten gesendet werden, in der Gerüchte in Fakenewsverkleidung umgehen und in der Parteien mit Diffamierungen, Lügen und Verleumdungen arbeiten. Eine Welt, in der wir uns immer und täglich fragen müssen: Wie überprüfbar ist das alles? Wie vertrauenswürdig? Das ist enorm anstrengend. Und deswegen ist es ja immer leichter, zu glauben. Allerdings sollte man dann nicht vergessen: Der Zweifel ist des Glaubens liebstes Kind. Besonders heute.