Die Vergänglichkeit der Gegenwart: Tote Einkaufstempel
Die Vergänglichkeit der Gegenwart
Tote Einkaufstempel
Auf Videos bei Youtube, die sich mit sterbenden oder schon toten Malls beschäftigen wird man in der Regel nur dann stoßen, wenn man gezielt nach ihnen sucht. Dabei gibt es durchaus etliche Kanäle, die sich seit etlichen Jahren mit leerstehenden Einkaufszentren beschäftigen. Prominentes Beispiel ist der Kanal von Dan Bell. Seine ausführlichen Erkundungen zeigen einerseits Malls, die kurz vor dem Sterben sind - also Malls, die kaum noch Publikumsverkehr generieren können - andererseits auch Malls, die schon geschlossen sind. Teilweise kommt man sich tatsächlich vor wie in einem x-beliebigem Zombie-Horror-Film, wenn die Kamera über seltsam verlassen wirkenden Food-Courts schwenkt, über Pflanzen, die man kaum mit Dünger jemals wiederbeleben wird oder wenn komplette Gänge links und rechts mit geschlossenen Schaufenstern aufwarten.
Dass sich für Alles und Jedes ein Fandom bildet, das gehört besonders in den Zeiten des Internets zu einer der grundlegenden Weisheiten des Lebens. Und so sind auch die Klicks für die sterbenden oder schon toten Malls zwar nicht überragend, aber dennoch: Das Interesse ist da. Da schließe ich mich auch nicht aus, auch ich liebe die Videos von Dan Bell - vor allem wegen der Vapor-Wave-Soundtracks, die wirklich klingen als kämen sie gerade aus den Lautsprechern der jeweiligen Malls.
Jedoch: Warum schaue ich mir das an? Was ist diese Faszination an den leeren Gängen, den staubigen Mannequins und den teilweise gruseligen Dinger, die mal Brunnen gewesen sein sollen? Nun: Das Vergnügen an dem Vergangenen ist nicht neu. Man findet bei den Romantikern kaum ein Bild, auf dem nicht irgendwelche alten Klosterruinen, abgestorbene Bäume oder eine alleinstehende Säule zu finden ist. Ruinen im Mondlicht. Einerseits traurig, andererseits auch von morbider Schönheit. Irgendetwas in unserer Seele wird davon berührt. <Denke daran, dass du sterblich bist> - donnerte das Mittelalter und drohte mit dem Ewigen Gericht: <Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub>.
Davon bleibt in der Romantik ein Sehnsuchtsort: Während die Stadt laut und lästig ist, ist die Natur ein wunderbarer Ort des Rückzugs. Des Gedankensammelns. Des Allein-Seins. Des Innehaltens. Und wenn dann zugleich noch die Überreste der Vergangenheit zu sehen sind, als Sinnbild dessen, dass nichts auf der Welt bleibt - dann seufzt man leise und fragt sich, warum man denn nun wieder ausgerechnet in die Stadt zurückkehren muss. Das könnte doch eigentlich immer so bleiben, hier unter dem wandelnden Mond.
Die Faszination der Dead-Malls-Videos liegt wie bei Klosterruinen darin, dass wir uns daran erinnern können, was einmal war und wie schön und wunderbar doch die Vergangenheit gewesen ist. Das <Weisst du noch>-Hach-Nostalgie-Erlebnis - von dem natürlich auch Stranger Things enorm zehrt - davon profitieren auch die Dead-Malls-Videos natürlich. Doch während Stranger Things uns eine Vergangenheit auf den Bildschirm bringt, die so aussieht, als hätte sie so gewesen sein können, dokumentieren Dead-Malls-Videos den Ist-Zustand. Sie sind näher an der Gegenwart als eine fiktive Serie es je sein könnte. Und sie erinnern uns daran, dass alles im Wandel ist, nichts so bleibt wie es ist und dass es an uns liegt, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen.