Die Schulen, das Digitale und der Unterricht in Corona-Zeiten
Die Schulen, das Digitale
und der Unterricht in Corona-Zeiten
Großspurig verkündete damals die Regierung:
»Der DigitalPakt Schule trägt dazu bei, die zentrale Zukunftsaufgabe „Lernen in der digitalen Welt“ mit einem flächendeckenden Infrastrukturvorhaben umzusetzen. Die Lehr-Lern-Infrastrukturen für allgemeinbildende und berufliche Schulen sollen dabei interoperabel und skalierbar gestaltet werden (insbesondere breitbandige Schulhausverkabelung, WLAN-Ausleuchtung, digitale Interaktions- und Anzeigegeräte sowie weitere Arbeitsgeräte für die pädagogische Nutzung). Es sollen solche gesamtstaatlich bedeutsamen Investitionen gefördert werden, die regionale Ansätze berücksichtigen, gleichzeitig aber einen bundesweiten, abgestimmten Innovationsimpuls erforderlich machen.«
Wenn man mal das übliche Gewäsch beiseite lässt, ist klar, dass der DigitalPakt in erster Linie die Grundlagen für den digitalen Unterricht legen sollte. Breitband, WLAN. Den Begriff »digitale Interaktions- und Anzeigegeräte>>« werde ich mir mal für die Zukunft merken: Gemeint sind wohl Whiteboards und ähnliches.
Wer dagegen nach pädagogischen Konzepten sucht etwa nach dem Format des Flippen Classrooms, wer nach Konzepten für Videokonferenzen sucht - der wird hier an dieser Stelle nichts finden. Was auch logisch ist: In Ausübung der sogenannten Kulturhoheit entscheidet jedes Land selbst, wie es sein Schulwesen gestaltet und seine Lehrkräfte ausbildet. In Fragen von länderübergreifender Bedeutung wie beispielsweise der gegenseitigen Anerkennung von Schulabschlüssen stimmen sich die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) untereinander ab – der Bund darf ihnen in ihre Schulpolitik nicht hineinreden. So kann der Bund also durchaus Mittel für die Technik bereitstellten, aber den Ländern reinreden darf er nicht.
Das heißt also: Eigentlich hätten die Länder jetzt Schulen, die ein gut funktionierendes WLAN besitzen, Schulen, die perfekt für den digitalen Unterricht zumindest auf der technischen Seite ausgerichtet sind. Alles super, oder? Nun, der Tagesspiegel meldete im Januar diesen Jahres, dass die Mittel kaum abgerufen wurden:
»Jahrelang haben Kommunen und Länder auf den Digitalpakt gewartet, der ihre Schulen und deren IT-Ausstattung fit für die Zukunft machen soll. Doch offenbar haben nicht alle die Zeit gründlich genutzt, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem sie die Mittel aus dem fünf Milliarden schweren Pakt endlich abrufen können. Sieben Monate, nachdem der Pakt in Kraft getreten ist, gibt es einige Länder, in denen bislang kein einziger Antrag bewilligt worden ist. … Bundesweit sind damit bislang nur insgesamt 20 Millionen Euro der fünf Milliarden Euro bewilligt, die zur Verfügung stehen. Der Pakt läuft bis zum Jahr 2024.«
Zu vermuten ist, dass der Pakt aktuell eher auf Eis liegt, da momentan andere Dinge Vorrang haben … oder auch nicht. Denn der Corona-Virus hat das Schulsystem eiskalt erwischt. Ebenso, wie auf einmal Arbeitnehmer, die nie zuvor digital von zu Hause aus gearbeitet hatten, in das Home-Office geschickt wurden, wurden auch die Lehrer und die Schulen auf einmal dazu verdonnert aus der Ferne Unterricht abzuhalten. Wie das gehen soll? Gute Frage. Sicherlich muss man regional Konzepte finden. Und diese regionalen Unterschiede zeigen auch deutlich auf, welche Schule eher eine hochklassige Ausrüstung hat und welche nicht. Die Schwere zwischen Arm und Reich klafft auch im Schulbereich weit auseinander.
Auf einmal sollten alle Home-Office machen und die Eltern sollten mit den Kindern zu Hause Unterricht gestalten. Stillschweigend wurde davon ausgegangen, dass jede Familie Internetanschluss, Email, einen einigermaßen aktuellen Laptop besitzt. So dass per Videokonferenzen oder per Moodle die Lehrer zumindest etwas den Mangel an Unterricht abfangen können. Ganz so einfach ist es halt aber nicht, wie persönliche Gespräche mit Bekannten ergaben: Abgesehen davon, dass es Haushalte gibt, sich kein Internet haben - diese bekamen ihre Aufgaben dann als Paket vor die Tür geliefert - gibt es Haushalte, in denen die Eltern Deutsch als Fremdsprache haben. Somit können die Eltern den Kindern die Aufgaben nicht erklären bzw. verstehen auch nicht, was eigentlich von ihnen gefordert wird. Aufgeschreckt von etlichen Datenleaks weigern sich Eltern, Videosoftware zu nutzen. Selbst, wenn man Internet im Haushalt hat: Es muss nicht heißen, dass es schnell genug ist, um sich bei einer Videokonferenz einzuloggen. Das betrifft wohl die ländlichen Bereiche - die gebetsmühlenartig immer wieder von der Regierung versichert bekommen hatten, der Breitbandausbau ginge demnächst aber sowas von schnell zustatten bei ihnen … Das große ungewollte Experiment des Heim-Unterrichts zeigte anschaulich, wo die Probleme im digitalen Deutschland liegen. Sie liegen einerseits in den technischen Problemen. Diese könnten rasch behoben werden. Wenn die Länder das wollten, der DigitalPakt ist rein theoretisch ja immer noch existent … Wichtiger aber zeigt diese Home-Schooling-Zeit: Lehrern fehlen die pädagogischen Konzepte für das digitale Zeitalter. Das ist eigentlich des Pudels Kern.
Dabei ist es nicht so, dass Experten nicht schon seit Jahren darauf gedrängt hätten, Leher*innen für den digitalen Unterricht fitzumachen. Es ist auch nicht so, dass die Bundesländer nicht auch ständig vollmundig bekundeten, man halte pädagogische Konzepte auch für viel wichtiger als nur die Technik. Siehe unter anderem Sachsen. Doch anstatt, dass man Lehrer*innen nun wirklich gefördert hätte - Pustekuchen. Denn hätte man das getan, hätte die GEW nicht noch im März letzten Jahr gefordert, dass man unbedingt pädagogische Konzepte bräuchte.
»Digitalisierung allein ist kein Ersatz für notwendige Reformen wie die Inklusion. Vor allem sind digitale Medien und Lernprogramme aber kein Ersatz für gut ausgebildete Lehrkräfte«, betonte Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Schulen, mit Blick auf den dramatischen Lehrkräftemangel in Deutschland. »Die Chancen der Digitalisierung könnten nur genutzt werden und für alle Schülerinnen und Schüler Vorteile bringen, wenn die Mittel sozial gerecht verteilt und gute pädagogische Konzepte entwickelt werden. Gerade Schulen in sozialen Brennpunkten brauchten Unterstützung bei der Konzeptentwicklung.«
Während jetzt angestrebt wird, die Schüler*innen nach und nach wieder an einen - nun - normalen Alltag zu gewöhnen, was sicherlich dauern wird, scheint man in der Politik nicht zum Nachdenken gekommen zu sein. Zum Nachdenken darüber, was man aus dieser Krise lernen kann. Momentan agiert die Politik noch wie die Feuerwehr: Sie löscht aktuelle Brandherde. Aber die Prävention gehört ebenso zu den Aufgaben der Feuerwehr wie die Feststellung, was schief gelaufen ist und was besser gemacht werden sollte. Letzteres aber vermisse ich derzeit von der Politik. Es bleibt zu hoffen, dass dennoch die eine oder andere Lektion in Hinsicht auf die Ausbildung im pädagogischen Bereich gelernt worden ist.