Präsenz gegen Online: Sprachliche Gegensätze dank Corona
Präsenz gegen Online
Sprachliche Gegensätze dank Corona
Tatsächlich aber: Die Buchmesse Frankfurt findet als physische Messe mit einem digitalem Begleitprogramm statt. Diese Formulierung habe ich mir nicht ausgedacht, sie stammt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Sie zeigt, dass Corona tiefgreifender ist, als man denkt. Zwar wäre der Zusatz digital oder virtuell auch in diesen Zeiten eher normal - denn virtuelle Messen gab es auch schon vor Corona - aber dass man betonen muss, dass eine Buchmesse tatsächlich phyisch stattfindet, also zum Anfassen … Das ist so, als müsste man betonen, dass man ein physisches Buche gelesen habe. Nicht eins dieser neumodischen eBooks, denn das sind ja keine echten Bücher, nein, man habe ein haptisches extraordinäres Erlebnis gehabt. Man las ein auf Papier gedrucktes Buch.
Es ist unwahrscheinlich, dass man in absehbarer Zeit explizit sagen muss, dass man ein haptisches Erlebnis gehabt habe. Denn für die meisten Menschen ist ein Buch ein gebundenes, auf Papier gedrucktes Ding, dass man in die Hand nimmt, das einen Geruch hat, in das man Eselsohren einknicken kann. Es ist also schon bemerkenswert, dass man betonen muss, man feiere eine physische Messe.
Das aber gerade passiert im kirchlichen Bereich durchaus: Wer sich die Empfehlungen anschaut, die ganzen Hygienekonzepte von Landeskirchen und Gemeinden anschaut, der wird auf den Begriff Präsenzgottesdienst stoßen. Ein durchaus problematischer Begriff, wenn man bedenkt, dass Präsenz im kirchlichem Bereich zweideutig ist. Einerseits ist natürlich Gott während des Gottesdienstes präsent, andererseits haben diese Gottesdienste eine Präsenz im örtlichen Raum. Jetzt ist es so, dass sowohl die Begriffe physisch als auch Präsenz durchaus gegenüber dem Begriff des Digitalen gegenüberstehen.
Während das Wort Physisch zwar einen Gegensatz aufmacht, aber keine Wertung beinhaltet ist das bei dem Begriff Präsenz durchaus der Fall. Denn was ist eine Nicht-Präsenz? Es ist für sich genommen erstmal eine Abwesenheit. Wenn man es neutral auffasst, dann stimmt das auch: Buchmessen und Gottesdienste waren örtlich abwesend.
Aber: Sie fanden durchaus statt. Die Leipziger Buchmesse fand durch kreative Lösungen im Internet statt. Und auch das Internet ist ein Ort. Wenngleich kein physischer sondern ein virtueller, aber auch das Internet ist ein Ort. Es ist abgekoppelt von unserer Kohlenstoff-Welt. Durchaus physikalisch abwesend. Allerdings: Natürlich waren die Angebote präsent. Bei den Menschen, die an diesen Events teilgenommen haben. Per Videkonferenzsoftware oder per Stream. Sie waren anwesend - allerdings nicht im physikalischem Raum.
Daher ist es natürlich problematisch, wenn auf der einen Seite der Präsenzbegriff geprägt wird, weil damit der Online-Begriff entwertet werden kann. Denn im Begriff der Präsenz als Bezeichnung für Ort schwingt auch mit, dass nur hier das Echte, das Wahre stattfindet, während das, was wegen des Virus digital stattgefunden hat ja nur ein Ersatz war - ein un-echtes Etwas. Nicht so ganz fassbar und liquide.Damit wird eine Wertung vorgenommen: Das Eine ist besser als das Andere. Die Leipziger Buchmesse, die rein digital statt fand, wird als Sonderfalls behandelt - obwohl die vielen kreativen Aktionen gezeigt haben, dass hier durchaus ein Potential für weitere Arbeiten liegt.
Das eigentliche Dilemma aber bei den verwendeten Begriffen, das erneute Auseinanderdividieren des wahren Lebens und des falschen Lebens bleibt. Dabei wäre es wichtig zu reflektieren, was die Wochen des Lockdowns an positiven Dingen für das digitale Miteinander gebracht hat. Was die Frankfurter Buchmesse wohl zu tun bereit ist. Was da herausgekommt, Halbgares oder Gares?