Instagram und fette Körper: Ein heikles Sujet
Instagram und fette Körper
Ein heikles Sujet
Die Hersteller von Inhalten können sich ziemlich sicher sein, dass ihre Postings auch an die ausgeliefert werden, die sie mögen. Doch Algorithmen sind nicht perfekt. Das wissen wir schon von TikTok: Fette Körper oder Inhalte von Behinderten wurden in der Vergangenheit ausgesiebt. Instagram legt jetzt nach.
Zuerst: Die Studie. Im Juni des Jahres 2020 publizierten AlgorithmWatch und das European Data Journalism Network ein Studie zum Thema Nackte Haut und Sichtbarkeit bei Instagram. Die 26 Teilnehmer*innen wurden gebeten ein Browerplugin zu installieren und bestimmten Accounts zu folgen. Hierzu wurden zuvor Accounts von 37 Personen (14 davon Männer) aus zwölf Ländern ausgewählt, die Instagram nutzen, um für Marken zu werben oder neue Kunden für ihr Unternehmen zu gewinnen. Es handelte sich hauptsächlich um Accounts aus den Bereichen Lebensmittel, Reisen, Fitness, Mode und Schönheitspflege. Das installierte Add-On öffnete automatisch in regelmässigen Abständen die Instagram-Homepage und notierte, welche Beiträge ganz oben im Newsfeed der Freiwilligen erscheinen. Die Forscher*innen nahmen an, dass falls Instagram sich nicht in den Algorithmus einmischt, die Vielfalt der Beiträge im Feed der Nutzer*innen auch der Vielfalt der Beiträger der Inhaltsersteller*innen entsprechen sollten. Falls Instagram den Feed nach dem Geschmack der Konsumierenden personalisieren würde, müsste der Feed für Jeden auf eine andere Art und Weise verzerrt sein.
Nun … Im Zeitraum der Untersuchung hatte AlgorithmWatch zwischen Februar und Mai 2020 1.737 Beiträge und 2.400 Fotos analysiert, welche von den ausgewählten Accounts veröffentlicht wurden. Von diesen Inhalten wurden 362 (21 Prozent) von einem Computerprogramm als Bilder erkannt, die Frauen in Bikinis oder Unterwäsche oder Männer mit nacktem Oberkörper zeigten. In den Newsfeeds der Freiwilligen machten jedoch Beiträge mit diesen Bildern 30 Prozent aller Beiträge aus, die von denselben Konten aus gezeigt wurden. Posts, die Bilder von Frauen in Unterwäsche oder Bikini enthielten, erschienen mit 54 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit im Newsfeed der Studienteilnehmer. Beiträge, die Bilder von Männern mit nacktem Oberkörper enthielten, wurden mit 28 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit gezeigt. Im Gegensatz dazu wurden Beiträge, die Bilder von Lebensmitteln oder Landschaften zeigten, mit etwa 60 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit im Newsfeed gezeigt.
Instagram wehrte ab: 26 Teilnehmer*innen als Datengrundlage? Viel zu wenig und wohl kaum aussagekräftig. Zudem: Je mehr sich jemand mit bestimmten Arten von Beiträgen beschäftige, desto wahrscheinlicher sei es, dass Instagram diesen ähnliche Beiträge zeige. Die Studie sei fehlerhaft und zeige nicht, wie Instagram funktioniere. Entgegnung der Forscher*innen: Sicher, man bräuchte mehr Zahlen und eine neue Studie mit mehr Teilnehmer*innen. Allerdings zeige die Studie doch eine Tendenz auf. Zudem habe man schon auch Instagram wegen einer Mitarbeit angefragt - was nicht positiv beschieden wurde. Instagram habe halt eine sehr verschlossene Struktur. Dennoch denken die Forscher*innen, dass die Studie schon aufzeige, wie Instagram mit nackter Haut umgeht.
Dass da ein Ungleichgewicht herrscht, das wird von der Bloggerin und Influencerin Jules aka Schönwild schon seit 2018 beobachtet. Körper von etwas fülligeren oder fetten Personen werden von Instagram nicht so behandelt wie die Darstellungen von schlanken. Teilweise werden Beiträge gar nicht erst durchgelassen, teilweise wird offenbar von Instagram die Reichweite gedrosselt, was seit dem letzten Update des Algorithmus von vor einigen Wochen der Fall zu sein scheint. Jules Vermutung dazu: <<Das liegt wohl daran, dass der Algorithmus (der entscheidet welche Inhalte auf der Plattform erlaubt sind und welche nicht) anhand von Fotos mit schlanken Menschen trainiert wurde. Daher fallen kurvige Körper viel eher durch das Raster und werden gerade in nackter Form als anstößig wahrgenommen und gemeldet. … Durch die Einführung die Algorithmen wird viel stärker selektiert was wir sehen und das erinnert mich wieder sehr an das wo wir herkommen: „Kurvige Mädels, bitte zieht euch etwas an und zeigt möglichst wenig Haut.>> Das gilt natürlich auch für Männer.
Dass sich dementsprechend nun Körper dem Instagram-Algorithmus angleichen klingt bescheuert, aber ist so. Wobei das virtuell mit Photoshop nun wesentlich schneller geht als analog, aber nicht ohne Grund sind in den letzten Jahren Ess-Störungen bei jungen Mädchen und Jungs in die Höhe geschossen. Der Druck der Gesellschaft, dass man um jeden Preis dünn sein muss, weil man nur dann eine Identität hat, wird durch Instagram nochmals verstärkt. Auch schon vorher durch Facebook und Selfies, natürlich, aber Instagram mit den Filtern und den auf Schönheit eingeschossenem Algorithmus ist nicht ohne Grund Angriffsfläche. Und auf Instagram wird sehr deutlich, wie über fette Körper gedacht wird - die Kommentarspalten quellen über von Ratschlägen, von Hass. Wer fett ist, der ist halt faul, gefräßig, arbeitet in Jobs im unteren Lohnspektrum und hat von gesunder Ernährung keine Ahnung. Diese Vorteile werden bei Instagram am Häufigsten sichtbar. Sie wirken sich dann natürlich auch wieder auf Jugendliche aus, die gerade nach ihrem eigenem Körperbild suchen. Ein perfider Kreis, der da in Gang gesetzt wird.
<<LÖSCHT MEINEN KÖPER NICHT. Es wird Zeit, dass Instagram damit aufhört FETTE Körper zu zensieren. Unsere Körper werden nicht als teilbar-würdig angesehen. Unsere Postings bekommen nicht dieselbe Reichweite. Wir werden zum Schweigen gebracht und ausgelöscht, weil unsere Körper nicht so vorführenswertig sind als die unserer dünnen Gegenspieler. Wir leben in Angst vor dem Accountverlust für die dieselben Bilder, die anderswo akzeptabel sind nur weil sie von Dünneren gemacht wurden. … Zwei Leute können genau das gleiche Bild posten, aber wenn eine*r von ihnen fett ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass das Bild gelöscht wird. Sie werden kerkergebannt - was bedeutet, die Postings werden für den Zeitraum von zwei Wochen nicht geteilt oder gesehen - und sie werden zum Schweigen gebracht. Das ist das Best-Case-Szenario für viele von uns. Fett-Aktivisten*innen- und Bodypositivy-Accounts werden Immer noch in eine höheren Rate von Instagaram geflaggt, was für uns, die wir in größeren Körpern leben bedeutet, dass unsere Accounts gelöscht werden können - oder dass wir in permanenter Angst davor leben.>> Diese Zeilen stammen von Kayla Logan aus dem Oktober des Jahres 2020 und auf ihrer Webseite listet sie dann nochmal 50 - in Worten fünfzig - Beispiele für ihre Worte auf. Wer <<Don’t delete my body>> auf Instagram sucht, findet noch weitaus mehr Beispiele für das Vorgehen von Instagram.
Eine Möglichkeit wäre natürlich: Sich aus den Sozialen Medien als fette Person, als Fett-Aktivist*in komplett rauszuziehen. Keinen Anstoß mehr zu erregen. Still sein. Oder die Aktivitäten auf ein eigenes Blog verlegen, bei dem kein Algorithmus die Kontrolle hat. Einfach gesagt, schwer getan. Schließlich müssen auch Bloginhalte irgendwie gefunden werden und nur ein Bruchteil wird von sich aus bei Google nach Fett-Aktivisten*innen wie Magda Albrecht suchen. Oder diese überhaupt kennen, schließlich ist es ja enorm peinlich zuzugeben, dass das das Schlankheitsideal der Gesellschaft eine Norm ist, die nicht von allen Körpern erfüllt werden kann. Auch wenn immer so getan wird, als wäre gerade das ganz einfach. Immer wieder neue Erkenntnisse zeigen auf, dass Ernährung, Zu- und Abnahme nicht von wenigen Faktoren abhängig ist, sondern dass der Körper ein komplexes System ist, dass die jeweilige persönliche Situation mit reinspielt, dass es Einflüsse gibt, denen wir uns gar nicht mal bewußt sind. Auch, wenn die Dokumentation auf ARTE nicht so ganz immer meine Meinung als Ernährungspunk wiederspiegelt, sie zeigt immerhin wie komplex und genial eigentlich unser Körper aufgebaut ist.
Schweigen kommt daher nicht in Frage. Es geht auch nicht darum, dass jetzt bitte alle fett werden sollen, damit Instagram dann wieder im Gleichgewicht ist. Es muss einfach nur immer wieder erinnert werden: Was wir auf Instagram zu Gesicht bekommen, ist nicht das, was unsere Gesellschaft an Körpern aufzuweisen hat. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Und natürlich: Nicht, weil das Gegenüber schlank ist, ist es automatisch gesund und nur weil der Andere fett ist, muss er nicht krank sein. Aber das ist halt Körnerbrot fürs Gehirn, da muss man mehrmals paar Gedanken draufwenden bis das mal ankommt ...