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Über Körper: Normen und Bilder und Grenzen

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneÜber Körper
Normen und Bilder und Grenzen

Manchmal stellt 1Live dumme Fragen. Das tun wir zwar alle, aber normalerweise stellen wir diese dumme Fragen nicht direkt den Betroffenen. Das macht der Radiosender aber. Er sammelt dumme Fragen oder Fragen mit Vorurteilen und stellt sie dann den Betroffenen. Nachdem unter anderem Busfahrer, Kleinwüchsige und Drogenabhängige die Zielgruppe waren, gab es vor kurzem das Format auch mit dicken Persönlichkeiten.

Die Videovariante der Radiosendung findet sich natürlich auch im Netz. Und wenn man etwas ins Netz stellt, findet man schnell heraus, dass alle Deutschen nicht nur Fussballtrainer*innen sondern auch Ernährungs*expertinnen zu sein scheinen. Der Tonfall ist übrigens fast derselbe.

Eine vernünftige Diskussion im Internet zum Thema Ernährung führen zu wollen ist genauso vergeblich wie zum Thema Corona. Man muss sich daran erinnern lassen, dass eine Diskussion ein Austausch von Meinungen ist, in dem die Diskutanten auch bereitwillig akzeptieren, dass der oder die Andere anderer Meinung ist. Eine Diskussion ist kein Wettkampf der Meinungen, in dem ich versuche den Anderen unbedingt zu missionieren und auf meine Seite zu ziehen. Eine Diskussion kann auch bedeuten, dass man am Ende immer noch unvereinbare Meinungen besitzt, auch wenn man diese zu Gehör gebracht hat. Dieses Verständnis aber geht mehr und mehr verloren. Beigetragen haben die täglichen Talkshows, an derem Ende kaum ein Erkenntnisgewinn übrig bleibt, dazu genauso wie die Sozialen Medien. Dabei ist es ja auch noch ein Unterschied, ob man sich im Rahmen des Gesetzes befindet oder ob man Beleldigungen absondert, die vom Anwalt geahndet werden können.

Mit Beleidigungen darf man zumindest rechnen, wenn man Dinge behauptet, die im für den Rest der Gesellschaft unmöglich scheinen. Etwa wenn im Fragen-Format des Radiosenders tatsächlich jemand behauptet, trotz seiner Körperfülle sei er durchaus glücklich und zufrieden. Skandal. Das kann nicht sein. Jeder, der Übergewicht hat, kann nicht mit seinem Gewicht zufrieden sein. Jeder, der Übergewicht hat, muss automatisch im Alter Diabetes bekommen, hat gleichzeitig einen Herzinfarkt und die Gelenke sind natürlich auch durch. Das muss so sein, wenn man Übergewicht hat, das geht einfach nicht anders. Außerdem ist das eine Frage von Willenskraft, bisschen weniger essen, mehr Sport, schon ist alles geregelt.

Doch selbst wenn wir alle gleich viel Sport machen würden und uns gleich viel an Nahrungsmitteln zuführen würden, wären unsere Körper doch verschieden. Wir sind nicht alle gleich groß, blond und haben blaue Augen. Wir sind von Natur aus verschieden. Diese Verschiedenheit aber wird uns aus dem Kopf getrieben, täglich werden wir mit Bildern gefüttert, die uns vermitteln, dass es eine ideale Körperform gibt und dass diese ideale Körperform alles bringt, was wir begehren. Die Konfekt-Dame in ihren leichten, weißen, luftigen Kleidern in der mutmaßlichen Karibik etwa. Die Joggerin im Park, die lächelnd verspricht, dass dieses Schokolade bestimmt total wenig Kalorien hat. Wegen Joghurt. In der Telenovela wird aus dem hässlichen Entlein mit der Zahnspange am Ende eine wunderschöne Frau, die den Prinzen ergattert. Männer mit Six-Pack singen von irgendwelchen Klippen, um den nächsten Deoduft zu bewerben. Und das ist ja nur die Spitze des Eisberges.

Denn schließlich ergießt sich die Bilderflut über unser Smartphone täglich in unseren Kopf. Auch, wenn wir beharrlich sagen, uns würde die Darstellung von Körpern auf Instagram nicht beeinflussen, ist das nun eben nicht der Fall. Wir sind uns dessen nicht bewußt, dass wir im Grunde ein Normkörperbild vermittelt bekommen. Schließlich bewerben ja nur junge, erflolgreiche Männer und Frauen tolle Produkte. Es sei denn, man schaltet ins Vorabendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen, aber selbst dann sind die älteren Darsteller*innen halt rank und schlank. Vorher-Nacher-Bilder sind bei Instagram auch gang und gäbe, den Erfolg einer Diät muss man schließlich ja sichtbar machen. Und wenn diese vielen Frauen und Männer es geschafft haben, dann schafft das Jede*r. Ist ja nicht so schwer, es ist der Triumph des Willens. Triumph des Willens? Wo habe ich das schon mal gehört ... Hmm.

Die permanente Wiederholung macht aus jeder Lüge eine Wahrheit. Nur, weil wir ständig von Bildern umgeben sind, die suggerieren, dass schlank automatisch gesund bedeutet muss das nicht so sein. Ich sehe einem Menschen auf der Straße nicht an, ob er gesund ist oder nicht. Ob jemand nur noch eine halbe Lunge hat, ob jemand keine Nieren mehr hat - das sieht man von Außen nicht. Genausowenig kann ich im Umkehrschluss sagen, dass jeder, der übergewichtig ist, automatisch krank ist. Oder Diabetes hat. Oder einen Herzinfarkt erleiden wird. Ich kann das nicht sehen. Außerdem bin ich kein Arzt, ich kenne die Lebensumstände der Person nicht und weiß nicht, ob die nicht doch regelmäßig Sport macht. Was nicht heißt, dass alle Übergewichten automatisch gesund sind. Aber wir sind von der Gesellschaft, von der Diätkultur, so sehr darauf gepolt nur die eine Seite der Medaille zu sehen, dass wir nicht auf die Idee kommen zu fragen: Kann es nicht sein, dass es auch noch eine andere Seite gibt?

Aber muss man nicht eingreifen? Sowohl beim Unter- als auch beim Übergewicht? Beides verursacht doch definitiv Risikoerkrankungen. Darf ich dann das nicht mehr kommentieren? Ich kann doch nicht abwarten, bis Der- oder Diejenigen stirbt? Wenn sich jemand pemenant weigert zum Arzt zu gehen, kann ich das doch nicht durchgehen lassen? Wo ist denn dann bitte die Grenze?

Erstens: Nein, man sollte nie das Gewicht eines Anderen kommentieren. Wir sind übereingekommen, dass wir die Hautfarbe eines Menschen nicht mehr kommentieren - also wir SOLLTEN eigentlich dahin gekommen sein, die Praxis sieht anders aus. Wenn wir das tun, dann ist auch ein Kommentar über das Gewicht, sind abfällige Kommentare ob es nun wirklich noch ein Stück sein muss ebenfalls tabu. Das ist nicht meine Sache, das ist die Sache des Anderen.

Zweitens: Wann greifen wir bei Schlanken eigentlich ein? Wenn wir sehen, dass sie Schmerzen haben, raten wir denen natürlich zum Arzt zu gehen. Allerdings kennt ja jeder Jemanden, der partout nicht will, obwohl er gerade offenbar einen Hexenschuss hatte. Wenn es eine lebensbedrohliche Erkrankung ist, dann muss ich auf jeden Fall eingreifen und den Arzt rufen. Keine Frage. Ich kann aber nicht ungefragt in das Persönlichkeitsrecht der Anderen eingreifen. Das stellt uns bisweilen vor eine wirklich verdammt philosophische Frage: Ab wann kann und muss und darf ich eingreifen? Wo ist die Riskogrenze, der Punkt ohne Wiederkehr? Wer raucht, geht ebenfalls lebensbedrohliche Risiken ein. Wer Alkohol trinkt ebenfalls. Und das sind nur die Krankheiten - lebensbedrohlich erscheint mir ja auch sowas wie Bungee-Jumping …

Das Persönlichkeitsrecht, das im Grundgesetz verankert ist, umfasst unter anderem das Recht auf Selbstbestimmung. Es ist von elementarer Bedeutung für die eigene Persönlichkeit, dass wir frei über uns und unser Leben entscheiden können. Wenn also jemand partout meint, mit seinem Übergewicht glücklich sein zu können, dann kann ich nicht in sein Recht auf das selbstbestimmte Leben eingreifen. Also nicht einfach so. Wenn man einen harten Vergleich ziehen möchte - ungerne, aber nun, schön: Ich kann mich jederzeit auch dafür entscheiden aus dem Leben zu treten. Natürlich: Wenn ich sehe, dass jemand suizidale Tendenzen hat, werde ich versuchen einzugreifen. Allerdings kann ich nicht auch nicht ohne Grund Denjenigen einweisen lassen, wenn er nicht gefährlich für sein Umfeld ist. Diese Vergleiche mögen schief sein, wie alle Vergleiche es sind, aber sie erhellen die Frage ja durchaus, die sich gestellt hat. Das Recht auf Selbstbestimmung erlaubt es uns nicht, dass wir alle Raucher, Alkoholiker und Fette unter ständiger Behandlung von Ärzten sein lassen. Das würde unser Gesundheitssystem auch kaum verkraften.

Es würde schon helfen, wenn wir uns darauf als Gesellschaft einigen könnten: Es gibt von Natur aus verschiedene Körperformen. Irgendwann mal war ein Fettdepot auch wirklich nützlich, also hat die Natur - oder Gott je nachdem - dafür gesorgt, dass es immer auch diese Variante des Körpers gibt. Bei der nächsten Hungersnot haben Dicke durchaus einen Vorteil. Übrigens ja auch, wenn es um die Erholung nach bestimmten Operationen geht. Da sind Dicke weitaus eher auf dem Damm als Schlanke. Dass gewisse Körperformen gewisse Risikokrankheiten nach sich ziehen können, ist unbestritten. Dass aber nicht jede*r Fette automatisch an diesen Krankheiten leiden muss, das sollte eigentlich auch klar sein. Dass Diäten sehr oft der Einstieg in Ernährungskrankheiten sind wie Magersucht und Co. - ebenfalls unbestritten. Wir könnten uns einfach darauf einigen, dass jeder Mensch einfach sein Ding durchzieht. Mit allen Vor- und allen Nachteilen. Und dass wir gefälligst unsere Nase aus den Angelegenheiten von Anderen heraushalten sollten, sofern diese Angelegenheiten nicht lebensbedrohlich sind. Ich glaube nicht, dass ein zweites oder drittes Stück Torte wirklich zu dieser Kategorie zählt und deswegen sollte es auch nicht kommentiert werden. Wobei: Wenn ich jetzt Schlanken permanent eine Portion mehr aufdrängen würde, mit dem Argument, sie sehen ja so krank und schlechtgelaunt aus … Hätte schon was.

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