Zu viele Themen, zu wenig Zeit: Der Falke und der Wintersoldat
Zu viele Themen, zu wenig Zeit
»Der Falke und der Wintersoldat«
Hier liegt schon eine Analogie zur aktuellen Situation in den USA nahe und sicherlich ist das auch gewollt. Wobei die Serie nicht nur dieses Thema anspricht. Es geht um Nachfolge, um Schuld, um Flüchtlinge, um den Umgang mit Ex-Helden, um Black Lives Matter, um Freiheitskämpfer oder Terroristen, um Technologie und um die Wiederherstellung des Status Quos. Nicht zu vergessen, dass es nicht nur einen, sondern mindestens drei Bösewichte gibt und dass die Serie so nebenbei auch noch neue Figuren einführt. Es stellt sich die Frage: Überhebt sich die Serie in den knappen 6 Folgen nicht?
An der Oberfläche erzählt die Serie erstmal eine Geschichte um Schuld und Nachfolge. Während Bucky eine Liste mit seinen früheren Opfern arbeitet, bei denen er sich entschuldigen möchte, ist die Sache bei Sam anders. Sam fühlt sich der Aufgabe des Schilds, der ihm von Steve überreicht wurde, nicht gewachsen und übergibt ihm der Regierung. Was in den Augen von Bucky eine Fehlentscheidung war, vor allem als die Regierung einen neuen Captain America aus dem Hut zaubert. Diese Motive treten ein wenig in den Hintergrund, weil eine neue Bedrohung - die Flag Smashers - auftreten, die einen Zustand des Vor-Blips als Ideal anstreben. Wie die den erreichen wollen? Nächste Frage. Was eigentlich in der letzten Folge deren Plan war? Nächste Frage. Wie dem auch sei, die Haupthandlung dreht sich um diese Figuren und Themenkomplexe. Dabei ist zu loben, dass die Serie sich auch intensiv mit den Figuren auseinandersetzt. Was bei Kali Morgenthau bestimmt auch besser gelungen wäre, wenn man da nicht dauernd nur erzählte hätte, was mit ihr passiert ist. Aber da die Serie ja mehrere Bösewichte zu bieten hat, ist eine schwache Figur wohl nicht so tragisch?
Womit wir schon ein Problem hätten - zu viele Antagonisten. Die Serie führt mit John Walker eine Figur ein, bei der man schon in der ersten Folge ahnt, dass die das übliche Schema durchlaufen wird. Denn schließlich steht ja schon fest, dass Sam der nächste Captain Amerika werden wird und John Walker als USAgent später noch eine Rolle spielen wird. Dabei ist John Walker gar nicht mal so unsympathisch: Schließlich zweifelt er selbst daran, ob er der Aufgabe gewachsen sein wird. Dass er an den Idealen von Steve Rodgers scheitert, ist auch vielleicht der Welt geschuldet, die sich momentan bietet. In dieser Welt prosperieren die Flag Smashers mit Karli - also eine weitere Schurkin. Eine Figur wie der Power Broker kann sich die Strukturen der Verwirrung zunutze machen, Val wiederum als Vertreterin einer noch ominösen Macht auftreten, die ebenfalls in den Schatten vorhanden ist. Irgendwie sind das zu viele Antagonisten für sechs Folgen. Da möchte die Serie einfach zu viel. Klar, der Fokus liegt auf den Flag Smashers - aber wenn dann auch noch Zemo wieder aktiviert wird …
Zweites Problem der Serie: Sie ist vollgestopft mit Themen, die sicherlich absolut wichtig sind. Der Umgang mit Flüchtlingen etwa - was im Finale der Serie ja vollends zum Tragen kommt. Schuld und Sühne sind vorherrschende Themen. Schuld in Hinblick auf das Versagen im Amt - dafür steht John Walkers Tat. Sühne auch im Umgang mit der Vergangenheit in Bezug auf die Supersoldaten. Wie geht Amerika mit den Helden um, die einst bejubelt wurden, jetzt aber zurück in die Gesellschaft integriert werden sollen. Natürlich auch Integration derjenigen, die nach fünf Jahren auf einmal wieder da sind. Sind die Flag Smashers jetzt Terroristen oder Friedenskämpfer? Zudem auch noch: Wie versuchungsfrei ist man selbst, wenn man die Gelegenheit hat ein Supersoldaten-Serum in die Hände zu bekommen? Eine Frage des Charakters.
Das alles in sechs Folgen zu behandeln ist - sehr - sehr - zu ambitioniert. Die Serie möchte zu den aktuellen politischen Themen in den USA Stellung nehmen - die auseinander klaffende Gesellschaft, Black-Live-Matters, die Frage nach Freiheit, Behandlung und Abschiebung von Flüchtlingen … Aber das alles wird nur angekratzt. Da reicht in der letzten Folge eine pathetische Rede nicht, um Flüchtlingsproblematiken zu lösen - man tut halt in der Serie nur so als ob. Da wird eine Statue aufgestellt und ja, es ist ein sehr emotionaler Moment, aber damit ist der Rassismus nicht aus der Welt geräumt. Über den ja sehr oft und häufig nicht nur geredet wird - man denke an die Szene, in der Sam fast festgenommen wird. Jetzt kann man durchaus sagen: Das ist nur eine Unterhaltungsserie, die muss nicht die Lösung der Weltprobleme aufzeigen. Nein, muss sie nicht. Jedoch: Wenn sie schon diese Themen anspricht und behandelt, wäre es ja nicht zu viel verlangt zumindest einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, wie sich die Entscheidungen auf die Marvel-Welt auswirken werden. Dass man dazu getrost eine eigene Serie auflegen könnte, klar.
Was jetzt nicht heißen soll, dass die Serie nicht unterhaltsam ist. Man kann sich die sechs Folgen an einem Tag getrost hintereinander anschauen. Wenn man sich nicht all zu sehr auf die ganzen Themen konzentriert, sondern eher auf das Gespann Sam-Bucky - und Zemo - dann macht die Serie durchaus Spass. Sie ist nach „WandaVision“ eine Spur realistischer und geerdeter. Wem das gefällt, der ist hier richtig. Wer zudem Captain Amerika mal als Arschloch erleben möchte, ebenfalls.