Die Kälte der Kommentarspalte
Heutzutage lohnt es sich bei gewissen Themen kaum einen Blick in die Kommentarspalten der Social-Media-Dienste zu blicken. Man schont Zeit und Nerven, wenn man einfach nicht diese Toxizität an sich heranlässt, die bei gewissen Themen hochkocht. Querdenker und Nazis, Esoteriker und Fanatiker - sie beherrschen die Kommentarspalten, liefern sich ein zischendes, wütendes, brüllendes Etwas, was man sogar nicht mal als Meinungsaustausch gelten lassen kann. Es ist ein Niedermachen, ein Aufeinander-Reinhauen, ein Wortmüll entsprungen der Meinung, man habe Recht - alle Anderen haben Unrecht. Schwarz. Weiß. Die Welt ist so, wie man sie sieht oder sich erdenkt und alle Anderen sind Schlafschafe. Ketzer, Häretiker, Angreifer der reinen Wahrheit, die nur die Eine Seite gepachtet hat. Bei solchen Wortausbrüchen fühlt man sich tatsächlich ins Mittelalter versetzt, wo der Inquisitor kaltäugig den Delinquenten begutachtet und wo am Ende das Urteil schon feststeht. Heute verbrennen wir keine Menschen mehr, heute bringen wir Menschen subtiler um.
Es ist kein Wunder: Jahrelang haben uns Talkshows vorgestellt, wie man miteinander diskutieren soll. Das hat man Hans Meiser und Konsorten angefangen, wobei die noch im Vergleich zu Jerry Springer oder Oprah Winfrey recht handzahm waren. Stühle flogen hier äußerst selten und Jürgen Fliege war ja auch stets der einfühlsame Talker, der Vorläufer von Markus Lanz, Fliege, der stets verständnisvoll fragte: „Was machte das denn jetzt mit Ihnen?“ Was Sabine Christiansen zuerst nur am Sonntag mit uns machte? Sie legte die Grundschablone der Politiktalkshows fest, die aber eigentlich auch schon vorher nicht wesentlich anders waren. Man lade Gäste ein, die verschiedene Meinungen zu einem Thema vorbringen. Man sorge dafür, dass mindestens einer der Gäste kontrovers ist - beleibt natürlich auch Politiker*innen aus verschiedenen Parteien zu einem Thema, dann aber auch diejenigen, die lautstark wettern können. Man lasse dann alle aufeinander los, moderiere dann ab und an und hofft auf den Skandal. Oder zumindest auf Zitate, die am nächsten Tag von der Presse durchs Dorf gejagt werden können.
Wie Gunter Dueck schon feststellte: Das ist allenfalls ein Meinungsaustausch, aber kein Erkenntnisgewinn. Selbst für den*die Zuschauer*in nicht, weil die ja auch schon vorher wissen, was die einzelnen Politiker von sich geben. Im Grunde möchte man bei einer Talkshow nur die eigene Meinung bestätigt bekommen. Deswegen sieht man sie. Und natürlich hofft man auch auf den einen legendären Skandal, die eine Äußerung, über die man sich anschließend in den Kommentarspalten empören kann. Manchmal schaut man Dinge nur an, weil sie einen so schön aufregen. Wenn man mal eine Weile Lanz und Co. aus seinem Medienkomsum weglässt, dann stellt man verblüfft fest: Es fehlt Eins nichts. So sehr man auch im ersten Lockdown fieberhaft an den Lippen von Wissenschaftler*innen und Politiker*innen hing, weil damals alles ungewisser war als jetzt, so sehr kann man heute getrost Peter Lustigs Ratschlag befolgen: Abschalten.
Das Problem ist, dass wir vergessen haben: Diskussionen brauchen einen gewissen Raum. Nicht nur örtlich. Sondern vor allem auch einen geistigen Raum. Wenn ich eine Diskussion eingehe, bin ich bereit meine eigne Meinung durchaus argumentativ zu vertreten. Jedoch gehe ich in eine Diskussion nicht, um Andere von meiner Wahrheit zu überzeugen. Im Gegenteil: Falls der Andere ein Argument bringt, das mich ins Grübeln bringt, ist das hervorragend. Denn dann kann ich gegebenenfalls meine Meinung ändern, dann gehe ich mit neuen Einsichten aus dieser Diskussion hervor. Und umgekehrt natürlich. Dazu brauche ich Zeit. Dazu brauche ich den Willen des Zuhörers, den Respekt des Anderen, dazu muss ich bereit sein nicht auf persönliche Ebenen zu gehen, ja, auf Angriffe, auf Brüllen komplett verzichten. Man stelle sich mal vor, es gäbe das im Fernsehen.
Eine Talkshow, bei der Politiker*innen am Ende sagen: „Heute habe ich was Neues gelernt. Heute habe ich neue Einsichten gewonnen. Dieser Austausch hat mich weitergebracht.“ Haben wir das jemals am Ende der üblichen Talkshows jemals erlebt? Eher nicht. Denn sowas kann man allenfalls mal in der Kultursparte oder den Nischensendern wagen, aber das bringt keine Quote. Wenn wir also jeden Tag mit einer Talkshow berieselt werden, die auf Gegensätze pocht und bei der die Gäste einander ins Wort fallen - wundert es dann, dass wir das Muster auch in den Alltag übernommen haben? Sicherlich kommt noch ein Aspekt dazu: Das der vermeintlichen Anonymität.
Wobei: Es gibt gerade bei Facebook die schärfsten Kommentare, die namentlich getan werden. Aber um auf die Netiquette zurückzukommen: „Remember that the recipient is a human being whose culture, language, and humor have different points of reference from your own.“ Wichtig ist hier der Begriff des Human Being, des Menschen. Denke daran, der Empfänger ist ein Mensch, dessen Kultur, Sprache und Humor auf völlig anderen Referenzpunkten beruhen kann als es deine sind. Das heißt auch: Selbst wenn wir die selbe Sprache sprechen, haben wir unterschiedliche Sichtweisen, die durch unsere Biographie und unsere Erfahrungen entstanden sind. Dass der Mensch dann hinter dem Bildschirm verschwindet, wir seine Reaktion also nicht sehen, dass die Sprache alleine auch nur die Hälfte der Kommunikation ist - Mimik und Gestik sind bei reinen Textkommentarspalten nicht übertragbar, auch Smileys helfen da nicht - das ist der Punkt, der uns entmenschlichen lässt. Erstens kennen wir Den- oder Diejenige nicht, die etwas gepostet hat und die tieferen Beweggründe sind für uns nicht ersichtlich. Zweitens sehen wir Ironie und Sarkasmus im Netz nur schwer. Drittens gehen wir immer von uns aus - aber die Erfahrungen, die wir haben, die haben die Anderen nicht. Es ist daher kein Wunder, wenn selbst über die Kuchenrezepte erbitterte Flame-Wars stattfinden …
Es heißt nicht, dass eine Diskussion in Social-Media-Kommentarspalten nicht möglich ist. Jedoch wird sie mehr und mehr von eiskalten Fanatikern beansprucht, die allmählich die Lust daran Eins verleiden. Gerade das aber ist ja das Perfide: Genau das wollen sie ja. Sie wollen ja, dass nicht widersprochen wird, dass die Meinung allein da steht und dass es so aussieht, als wären wir alle ihrer Meinung. Deswegen ist Widerspruch wichtig. Allerdings Widerspruch im Geist der Debattenkultur. Sich herabzulassen Beleidigungen auszutauschen sollte man sein lassen. Wenn man auch merkt, dass man mit Argumenten nicht weiterkommt, rechtzeitig die sich höflich aus der Diskussion verabschieden. Mag zuerst für den Anderen als Sieg empfunden werden, aber immerhin hat Eins widersprochen.
Die zunehmende Kälte in den Kommentarspalten ist allerdings auch bedenklich, weil sie eine alltägliche Haltung wiederspiegelt. Eine Haltung, die sich momentan im Impfneid zeigt, eine Haltung, die egozentrisch, eigensinnig, verbohrt, verbissen und geifernd Eins im Bus begegnen kann. Eine Haltung, die Trump sicherlich perfekt dargestellt hat und die nicht weg ist, nur weil er sich nach Florida verzogen hat. Eine Haltung, die alles als Fake-News ansieht, was Einem nicht passt. Eine Haltung, die weder solidarisch noch christlich genannt werden kann. Eine Haltung, aus der man in Auseinandersetzungen Andere niederbrüllt. Was sich mit den Querdenkern durchaus zeigt: Da ist man nicht mehr weit davon, Journalist*innen niederzuprügeln, weil sie von der Lügenpresse gesandt werden und alles verdrehen, was man sagt.
Wie aus diesem Dilemma herauskommen? Ignorieren, wenn persönliche Angriffe kommen. Versuchen zu diskutieren, wo es geht. Wenn es nicht geht, sich aus der Diskussion verabschieden. Sich nicht dauernd rechtfertigen: Wenn man einmal seine Meinung argumentativ belegt hat, sollte das auch reichen. Social-Media-Kommentatoren - und Kommentatorinnen natürlich auch - verstehen sich ja hervorragend darauf immer wieder weiter zu bohren und abzulenken. Fest auf der eigenen Haltung beharren, aber immer ein offenes Ohr haben für den Anderen. Und daran denken: Im Internet weiß niemand, ob du ein Hund bist, meistens aber dürften auch Affen an die Tastatur gelassen worden sein ...
Kommentare
Ich finde es vor allem traurig, dass auch Kinder da schon kräftig mitmischen...
Der anonyme Herr "Friedhelm" nutzt dieses Forum sofort um gegen Rechts zu schießen und benutzt Schimpfwörter wie "Hillbillys". Also tut er genau das, was der Christian hier mit Recht anprangert.
Ob rechts oder links, hier im Forum sollte man doch "unser" Thema betrachten. Und das brauche ich wohl nicht zu nennen.
Politik gehört einfach nicht hierher
Im Punkt, das wir uns hier doch lieber um die Spannungsmedien in allen ihren Formen kümmern sollten, anstatt politische Themen aufzugreifen, halte ich hingegen durchaus für bedenkenswert. Aber Politik lässt sich eben auch hierbei nicht immer ausschließen und dann sollte man politisch eben auch nicht die Augen dadurch verschließen wollen, indem man z.B. nun in den Kommentaren "wertungfrei" um den heißen Brei diskutieren soll.
Sorry 'Friedhelm' und 'Laurin', aber ich muss 'matthias' vollkommen Recht geben.
Ihr habt leider selbst schon erleben müssen, wie ich im Überschwang und ohne Form zu wahren, los geplärrt habe. Was mir auch leid tut.
Aber es hat wirklich nichts mit Politik zu tun, oder sonst irgendwelchen Themen.
Bei 'Christian' geht es um Anstand und Respekt. Und um Verstand.
Das Thema ist nicht neu, muss aber immer wieder aufgegriffen werden. Bedarf ist da.
Aber ehrlich gesagt will ich da jetzt auch (diskussionsmäßig) kein Fass wegen aufmachen. Ist halt meine Position dazu in meinem Post und damit lass ich es hier auch dann gut sein zum Thema.