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Netzwerkmüdigkeit: Trend oder Bewegung?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneNetzwerkmüdigkeit
Trend oder Bewegung?

Vermutlich käme kein Forscher auf der Welt darauf, die ersten Jahre von Twitter oder Facebook als „Flausch-Periode“ zu bezeichnen. Allerdings nutzte man zu Beginn der Nutzung der Sozialen Medien den Begriff häufiger. Man tauschte „Flausch-Content“ - was von niedlichen Katzenbildern bis über tollen Winterlandschaften nun auch alles sein konnte. Wobei man damals auf Hilfsmittel für Photos angewiesen war.

An Videos dachte man noch nicht. Man sprach aber auch miteinander anders, man ging miteinander anders um. Es war natürlich eine Zeit des Experiments - was können wir eigentlich mit diesem neuen Kommunikationswerkzeug anstellen? Und sicherlich gab es damals schon Diskussionen und Auseinandersetzungen, die nicht immer von Respekt geprägt waren. Jedoch waren die seltener. Es war tatsächlich, wie Frank Tentler das vor kurzem noch formulierte, eine andere Zeit mit anderen Regeln.

Dass man respektvoller und höflicher miteinander umging war auch der Tatsache geschuldet, dass man damals so gut wie jeden in seiner Followerliste kannte. ja, man konnte an einem Tag sogar seine ganze Tiwtter-Timeline bequem unter einer Stunde nachlesen, wenn man dachte, man hätte etwas verpasst. Wenn man natürlich fast Jede*n kannte, war es klar, dass der Umgang fast derselbe war wie im engen Bekanntenkreis offline. Schließlich konnte es ja durchaus sein, dass man im Bekanntenkreis nochmal auf den einen oder anderen Post angesprochen wurde. Nach der Devise: „Was hast du da denn wieder verzapft?“

Je mehr allerdings Twitter und Facebook populärer wurden, desto mehr begann sich der Umgang miteinander zu verändern. Nach und nach und graduell, so dass man das fast auch nicht wahrgenommen hat. War es früher selbstverständlich, dass man in den Kommentaren höflich und respektvoll miteinander umging - was noch von einer gewissen Art der Netiquette geprägt war, die heute ausgestorben ist - so ist es heute unmöglich bei kontroversen Themen nicht in eine Kommentarschlacht oder in Shitstorms verwickelt zu werden. Auch, wenn man das gar nicht vor hatte.Und weil der Mensch ab und an dazu neigt, seine Meinung zu politischen Vorgängen zu äußern, ist das auch nicht unvermeidbar.

Außer man zieht sich in eine neobiedemeierisches Postingverhalten zurück: Manche Profile sind nur noch für die engsten Freunde verfügbar. Manche Profile haben nur noch Unverfängliches. Etwa die Photos der eigenen Katze, lustige Bilder, harmlose Inhalte, die kaum jemand zu Widerspruch erregen können. Und Etliche denken lauthals darüber nach, Facebook oder Twitter oder Instagram komplett zu verlassen. Begründet wird das teilweise mit dem Klima, das bei dem Netzwerk der Wahl eingetreten ist, teilweise habe ich auch gelesen, man wolle nach all der Zeit sich die anderen Netzwerke anschauen, die es da gibt. Twitch. Reddit. TikTok. Augemented-Realtiy-Communities. Wo immer die jetzt auch sein mögen. Teilweise setzen ja auch Einige ihre eigenen Foren auf. Was mich irgendwie an die Zeit von 2004 erinnert, als jeder ein Portal und ein Forum haben wollte. Foren sind ja auch immer noch existent - Reddit oder Discord haben ja die Funktionalitäten eingebaut.

Die Frage ist: Ist das jetzt nur ein Trend? Ist das das Übliche „Ausmisten“ zum Ende des Jahres? Oder steckt da mehr dahinter?

Ich fühle mich ein wenig an den „Auszug“ aus Facebook erinnert, als Google+ auf den Markt kam. Google+ sei ja das bessere Netzwerk, überhaupt sei man Facebook ja so müde und es würde nerven. „Ich bin dann mal weg“ erklang es vielerorts. Ebenfalls, als WhatsApp wegen Datenlecks ins Gerede kam. „Ich ziehe zur besseren Alternative um“. Und dann, nach einer kleinen Weile, waren alles wieder da. Zurück bei Facebook, zurück bei WhatsApp. Weil man merkte: Da drüben ist kaum jemand, den ich kenne.  Nur, weil ich umziehe, kommen die Anderen nicht mit rüber. Zudem habe ich ja schon eine Menge Zeit und Energie in Facebook versenkt - meine Photosalben sind da, wenn ich die jetzt zu Google rübertransportieren würde, würde ich das gar nicht wollen - zuviel Zeitaufwand. Zudem: Von einer Datenkrake in die andere zu flüchten kam mir schon damals sehr, sehr seltsam vor. So als Grundhaltung. Man merkt ja auch erst, wie angenehm etwas war, wenn es nicht mehr da ist.

Sicherlich ist das Klima in den Sozialen Netzwerken schärfer geworden und vermutlich ist es in den Nischennetzwerken wie Twitch - gehört übrigens zu Amazon - etwas familiärer und etwas netter. Ich bezweifle das zwar, weil der Mensch nun mal ein Mensch ist und gewisse Dinge nicht einfach ablegen kann. In den nicht so populären Netzwerken aber ist man noch weitergehend unter sich. Zudem es bei auch eine Menge an Wissen und Equipment braucht, um ein Video zu streamen. Theoretisch und praktisch - siehe Instagram - reicht in Knopfdruck, aber die meisten Instagram-Nutzer investieren dann schon noch in ein Ringlicht, ein besseres Mikrofon, einen Tripod … Was die Schwelle für die Teilnahme natürlich höher setzt als bei anderen Netzwerken. Konsumieren ist natürlich leichter als produzieren. Es sind auch Nischenthemen, die da verhandelt werden. Wer schaut schon einen ganzen Abend jemanden zu, der Nintendo-64-Spiele streamt? Nicht unbedingt die Masse, sondern die Fans. Da ist dann natürlich auch der Umgang untereinander eventuell etwas besser - obwohl - Fandoms können auch extrem toxisch sein. Ich wäre also vorsichtig damit.

Richtig ist: Netzwerke kosten Zeit. Ende des Jahres überlegen wir dann auch, wie wir das nächste Jahr gestalten werden und wofür wir Zeit aufwenden wollen. Wer sich dann überlegt, wieviel Zeit er in Facebook investiert, die anderswo besser angewendet wäre - wie war das mit dem ein gutes Buch lesen, ein Lied hören, ein Gedicht rezitieren, Herr Goethe? - der kommt dann rasch zum Entschluss, Facebook zu verlassen. Sich vielleicht auf Twitter zu konzentrieren. Auf Instagram. Auf TikTok. Snapchat. Merkwürdigerweise scheint keiner LinkedIn verlassen zu wollen … Es ist immer gut sich zu überlegen, ob man seine Prioritäten nicht wechseln möchte. Allerdings sehe ich das nicht unbedingt als Motiv bei denen, die jetzt angekündigt haben Facebook zu verlassen. Also nur bei Wenigen.

Mir scheint, es ist eher eine gewisse Überdrüssigkeit, die auch durch die Lockdowns gefördert wurde. Während der bisherigen strengeren Lockdowns haben wir wir erfahren: Nur digital ist auch doof. Wir brauchen den unmittelbaren Kontakt mit anderen Menschen. Wir brauchen die Nähe und die Intimität. Wer sich vermehrt nur digital durch die Welt schlagen musste, wird überdrüssig und müde geworden sein. Schon wieder eine Zoom-Konferenz. Schon wieder das Abarbeiten von Mails. Zudem kam dann noch die eigene familiäre Situation hinzu. Wenn es letztendlich keine andere Alternative gibt, muss sich ein Überdruss einstellen. Wenn dann wieder mehr soziale Kontakte möglich sind, überlegt man schon ob man angesichts der einerseits unschönen Atmosphäre und andererseits der bisherigen Erfahrung nicht doch letztendlich die Netzwerke verlassen sollte.

Verstehen kann ich das durchaus. Man muss ja auch nicht überall sein. Es ist nur schade, dass man dann halt weniger von dem Anderen hören wird in Zukunft - denn ich habe auch nicht die Telefonnummer von allen Facbeook-„Freunden“, mit denen ich in intimerem Kontakt bin. Ein Teil des Lebens der Anderen wird mir also dann fehlen, wenn sie sich zurückziehen. Was ja dann wieder heißen würde, dass man für eine echte Freundschaft sich anstrengen muss und sich bemühen. Natürlich. Das ist allerdings in den Sozialen Netzwerken auch nicht anders - es ist nur eine andere Ebene.

Ich bin gespannt darauf, welche Ankündigung wahr gemacht wird und wer in der nächsten Zeit Facebook oder andere Netzwerke komplett verlässt. Wenn ich wetten wollen würde, würde ich sagen: Mindestens Dreiviertel der Leute werden nicht komplett aussteigen, sondern zurückkommen. Da bin ich mir sehr, sehr sicher.

Kommentare  

#1 Laurin 2021-12-24 09:30
Zitat:
"Wir brauchen den unmittelbaren Kontakt mit anderen Menschen. Wir brauchen die Nähe und die Intimität. "

Ehrlich gesagt brauchte ich nicht einmal Corona um möglichst alle unmittelbaren Kontakte so weit wie möglich zu minimieren. Da reicht mir ein (möglichst) kurzes Gespräch wenn man sich mal beim Einkauf trifft, oder eben (wo es sich nicht vermeiden lässt) im Beruf. Ich bin da auch sehr froh, das mich niemand besuchen kommt, weil es immer so unangenehm ist, wenn man einen mit Nachdruck nach spätestens 45 Minuten bitten muss, die Wohnung wieder zu verlassen, weil mir das Gespräch eventuell zu dumm ist und man mir schlicht die Luft zum atmen in meinem privaten Umfeld stielt.

Von daher halte ich jeden persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt möglichst auf dem kleinsten Nenner und was Facebook angeht, da war ich wohl vor gut zwei Jahren das letzte mal aktiv angemeldet. Gelöscht habe ich da zwar nichts, aber ich hatte auch irgendwann keine Lust mehr, mich da mit irgendwelchen dümmlichen Menschen und ihren mitunter verqueren Meinungen selbst die freie Zeit zu rauben.
#2 matthias 2022-01-04 19:49
@ Laurin
Narzissmus pur.
Du tust mir leid.

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