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Es ist nie das System: Reportagen über Diäten

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneEs ist nie das System
Reportagen über Diäten

Januar. Das übliche Spiel. Nachdem wir ja angeblich so sehr gesündigt haben, müssen wir unbedingt mindestens bis Ostern einen Körper vorweisen können, der rank und schlank ist.

Woher diese Einstellung kommt? Keine Ahnung. Jesus hat mit Diäten nichts am Hut gehabt.

Eigentlich versucht die Industrie uns doch auch zu Ostern noch irgendwelche Süßigkeiten zu verkaufen - irgendwie also merkwürdig. Nun ja. Aber ja, Abnehmen ist ein Thema und auf YouTube versammeln sich auch wieder diverse Reportagen über Diäten. Vor allem ist Instagram im Fokus, die Shake-Diäten oder allgemein die Fitness-Influencer*innen. Diese Dokumentationen sind aber schon aufgrund ihrer Länge begrenzt und können nur an der Oberfläche kratzen.

Zu meiner Zeit war alles besser? Von wegen. Zu meiner Zeit tönte ein mehrgewichtiger Moderator einer Spielegameshow, wie wohlschmeckend und einfach eine Abnahme mit einem Shake doch sei. Da hüpften selbstbewusste Frauen - Männer kamen in der Werbung nicht vor - durch die Fussgängerzone und wollten so bleiben wie sie sind. Gleichzeitig turnten im Fernsehen frühmorgens irgendwelche Menschen nach den Takten von Musik herum - das nannte sich Aerobic und ist heute durch andere Formen ersetzt worden. Es ist also nicht so, als ob die Sozialen Medien daran schuld sind, dass Jugendliche eine gestörte Vorstellung vom Körper haben. Die Beeinflussung dazu gab es schon viel, viel früher.

Nun ist Instagram natürlich ein besonderer Fall, weil wir immer zuerst das Bild sehen und erst später eventuell die Bildbeschreibung lesen. Dass Instagram voll von Leuten ist, die einen Vorzeigekörper haben, ist mit ein Grund, warum Jugendlichen Ess-Störungen entwickeln können. Dass eine Shake-Diät - ja, Diäten generell - ein Einstieg in diese Krankheiten sein können ist eigentlich keine Theorie mehr sondern Fakt. Wie oft in solchen Dokumentationen wird erzählt, dass man sich halt als zu dick empfand, eine Diät begann und jetzt in einer Ess-Störung gelandet sei? Oft. Wenn nicht gerade häufig. Und das macht natürlich für einen Moment nachdenklich und man schimpft auf Instagram. Das müssen reguliert werden. Bestimmte Dinge sollten nicht mehr gezeigt werden.

Was Instagram ja tut. Allerdings im Bereich von dick_fetten Körpern, da ist der Algorithmus ganz gut dabei, Dinge zu unterdrücken oder auszusondern. Wenn eine dick_fette Person ohne T-Shirt zu sehen ist - MÖP! Wenn ein Fitness-Influencer ohne T-Shirt zu sehen ist - also die Männer, nicht die Frauen, Brüste sind bekanntlich tabu bei Instagram - dann passiert in der Regel … nichts. Es ist auch erwiesen, dass Bilder mit nackter Haut und durchtrainierten Körpern eher und schneller gezeigt werden als andere. Eigentlich auch keine neue Erkenntnis, aber man muss wohl mal daran erinnern, dass Instagram keinerlei Probleme damit hat ungesunde Shakes als Werbung durchzulassen, es aber Probleme dann gibt, wenn dick_fette Menschen sich genau über diese Dinge bei Instagram aufregen. Aber Instagram verdient - wie alle anderen Medien übrigens auch - sehr gut an und mit Werbung für Fitness-Produkte. Ob die wirksam sind oder nicht? Ja, liegt doch am Einzelnen selbst! Womit man elegant das Versagen des eigenen Produktes auf den Konsumenten abwirft. Das kann sich auch nur die Fitness-Industrie leisten. Bei allen anderen Produkten, die nicht funktionieren ab Werk, liegt eher die Vermutung nahe, dass das Produkt scheiße ist. Und auf breiter Sicht das nicht ein Anwenderfehler sein kann. Aber clever ist das ja schon.

Diese Dokumentationen, die sich des Themas Shake-Diät oder Ess-Störungen durch Instagram annehmen, kratzen insofern an der Oberfläche als dass sie das gesellschaftlich etablierte Ideal - schlank ist automatisch immer gesund - nicht in Frage stellen. Sie beschreiben nur ein Symptom, die Wurzel liegt tief in unserer Gesellschaft verborgen. Diäten und Ernährungsreligionen - genauso wie Religionen haben Paleo oder Keto oder was auch immer Regeln, Gebote, Verbote, man wird bestraft, wenn man sich nicht daran hält und muss eventuell fasten, um dann wieder Gnade zu erhalten - vermitteln: Es ist alles ganz einfach. Der Körper ist eine Maschine. Es dreht sich nur um das Essen und die Bewegung. Wenn du das im Griff hast, bleibst du dein Leben lang schlank.

Damit sind automatisch alle ausgeschlossen, die aus Krankheitsgründen nie richtig schlank werden können, außer sie setzen ihre notwendigen Medikamente ab. Denn sie sind ja nicht imstande einen schlanken und damit gesunden Körper zu bekommen. Bestimmte Krankheiten reduzieren Sport eben auf einen Spaziergang oder auf ein sanftes Yoga-Training. Dass man mit dem Spaziergang auch fabelhaft seine Blutwerte in Ordnung bringen kann, wird aber ignoriert. Schließlich - das suggeriert uns auch Werbung für Fitness-Studios, momentan wieder reichlich zu sehen - muss man ja leiden. Du musst Schwitzen. Du musst nach dem Sport aussehen, als wärst du Sysiphos, der erfolgreich den Stein … Moment mal.

Das Bild des Sysiphos, der von den griechischen Göttern bestraft wurde und immer wieder einen Stein einen Berg hinaufrollen muss, ist eher das perfekte Bild für das eigentlich Übel. Das, an das sich diese Kurzzeit-Dokumentationen und auch Langzeit-Fernsehproduktionen kaum wagen. Das Übel, das die Wurzel bildet: Es nennt sich Diätkultur. Oder auch GesundheitTM - ein System, das ignoriert, dass auch Dick_Fette gesund sein können. Das dürfen sie aber nicht. Glücklich sein mit Fett? Unmöglich. Du kannst nur dann glücklich sein, wenn du schlank bist. Denn das zieht automatisch auch Erfolg nach sich. Suggeriert die Werbung gerne. Überhaupt ist Abnehmen auch die Antwort auf alles. Rückenschmerzen? Abnehmen. Knieschmerzen? Abnehmen. Diabetes? Abnehmen. Dass Dick_Fette Angst vor der nächsten Visite haben, diese so lange wie möglich hinauszögern und damit letzten Endes sich selbst gefährden - das ist dann irgendwie okay. Dass mit Beschämungen noch nie jemand längerfristig motiviert werden konnte ist auch  ein Fakt, der gerne - zu gerne - ignoriert wird.

 

Sicherlich ist Instagram und die Auswirkungen etwas, über das man sich Gedanken machen muss. Aber da Instagram nur die Fläche für das bietet, was die Gesllschaft ist und diese abbildet, wäre es sinnvoller sich mit der Wurzel der Probleme zu beschäftigen. Anstatt nur die Symptome zu bekämpfen. Doch das ist eine dieser unangenehmen Wahrheiten, die keine*r so richtig hören möchte. Es angenehmer Dick_Fetten den festen Willen abzusprechen und sie einfach in eine Schublade zu stecken. Damit macht man Kohle. Oder wie im Fall von „Leben Leicht Gemacht“ aka The Biggest Loser halt Quote.

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