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Das Problem mit Ernährungsdokus

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas Problem mit Ernährungsdokus

Mit dem Ideal der aufgeklärt Konsumierenden ist es wie mit dem Modell des Homo Economicus. In der Theorie ist es ein wunderbares Modell, aber es ist und bleibt ein theoretisches Modell. Man kann als Konsumierender nicht komplett immer und ständig über die diversen Tricks und Tipps aufgeklärt sein. Dazu müsste man eine Menge Zeit mit all den Aufkärungs-Sendungen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks verbringen. Oder eine Menge von Zeit bei Instagram und YouTube, schließlich sind Clips zum Thema „Wie uns die Discounter schon wieder ausnehmen“ gerne genommen und geklickt.

Das Problem ist nur: Selbst, wenn wir aufgeklärt worden sind, werden wir weiterhin bei dem Discounter der Wahl einkaufen gehen.

Es ist ein nobles Unterfangen, uns stets davon zu unterrichten, wie der Handel uns aufs Kreuz legen will. Der Anspruch von Kanälen wie „Besser Esser“ vom ZDF, eigentlich für YouTube gedreht, findet sich aber auch ab und als Best-Of-Compilation im eigentlichen ZDF-Programm, ist auch der uns Konsumierenden zu zeigen, wie Produkte hergestellt werden - man kann annehmen in der Absicht, dass wir uns beim nächsten Einkauf dann den „gesunden“ Lebensmitteln zuwenden anstatt wieder die Flips, Chips und Salzstangen zu kaufen. Es ist grundsätzlich auch nichts Schlechtes zu sagen: „Okay, wir zeigen euch mal, wie die Industrie Dinge herstellt, die Wahl ob ihr das kauft oder nicht, die habt dann letzten Endes ihr“. Was natürlich darauf ankommt, welche Einkaufssituation in der Nähe vorliegt. Gegenden, in denen nur ein Discounter meilenweit zu finden ist sind so selten auch in Deutschland nicht.

Jetzt ist es so, dass für Jeden alles irgendwann mal neu ist. Vermutlich finden deshalb auch die Aufklärungs-Dokus immer ihre Zielgruppe, die immer wieder dieselben grundsätzlichen Dinge wiederkäuen. Ja, es hat seinen Grund, warum Bückware Bückware heisst. No-Name-Produkte sind nicht immer schlechter als Markenartikel. Der etwas edlere Bodenbelag in der Weinabteilung hat schon seinen Zweck. Ebenso die sachte säuselnde Musik im Hintergrund, die je nach Tageszeit wechselt. Abgesehen davon, dass man mit Licht eine Menge Inszenieren kann und Fleisch halt in einer dicken Schicht von Gasen eingepackt wird, damit es länger hält und besser aussieht. All das wird in diesen Dokus immer wieder aufs Neue durchgekaut. Meistens dann noch mit dem geraunten Kommentar, dass man jetzt die großen Geheimnisse der Branche aufdecken würde. Natürlich. Es geht ja nicht unter einem Shakespeare-Drama vom Tonfall her.

Es ist auch kein Geheimnis, dass die Mitarbeitenden bei bestimmten Discountern nicht gut bezahlt werden, dass Gewerkschaften nicht gerne gesehen sind, dass die Arbeitsbedingungen auch nicht so sind wie sie sein sollten. Es hat seinen Grund, warum Netto-Filialen - ohne Hund - so aussehen wie sie aussehen. Zuwenig Personal. Da sollte man auch auf die sogenannten Frische-Garantie - „wir sehen regelmäßig nach, ob das Obst und Gemüse noch frisch sind“ - auch besser nicht all zu viel geben. Es hat seinen Grund, warum gewisse Dinge so sind wie sie sind und ja, schön, dass wir drüber reden. Nach dem Ende der Verbraucheraufklärung versinken wir in unseren Sesseln, greifen nach der Fernbedienung und fragen uns, was als nächste eigentlich im Programm zu sehen ist. Hätten die ganzen Reportagen irgendwie eine Auswirkung, sie wäre längst schon zu spüren.

Wir Konsumierende verhalten uns nämlich zu diesen Dokus wie zu Horrorfilmen: Wir erschrecken zwar gewaltig, schütteln den Kopf und können die Zustände gar nicht fassen. Wirklich alles furchtbar. Wirklich. Aber nach dem Ende der Doku seufzen wir, dass wir ja glücklicherweise beim Konkurrenten einkaufen gehen. Oder wir werden mal wieder darin bestärkt wie großartig eigentlich unser Discounter der Wahl ist, wenn es mal wieder irgendwelche Vergleichstests gibt, die dem Dirigat des Fernsehens folgen. Und wenn die Moderierenden dann irgendwas in der Richtung von „Ja, da bleibt sicherlich noch Luft nach oben, wenn es um Fairness geht“ sagen: Egal. Wir stehen morgen sowieso wieder im Markt und erfreuen uns an den Schnäppchen. Rabatten. Sonderangeboten. Ist zwar alles irgendwie furchtbar, aber … na ja, Kühlschränke müssen gefüllt werden. Und der nächste Unverpackt-Laden, der natürlich moralisch ein besseres Gefühl vermittelt hat entweder schon wieder dicht gemacht oder ist zu weit weg. Oder zu teuer.

Wer in der Pose des Konsumierenden revolutionäre Gedanken hegt, der hat das Zeug zum wahren Dialektiker. In der angenehmen Umgebung sinniert es sich auch leichter über Aufstände als in der rauen Wirklichkeit. Wahre Aufklärung von Formaten zu erwarten, die unterhalten wollen ist auch wahrlich etwas Hochgegriffen. Die Eindrücke einer Doku wie „We Feed The World“ mögen erstmal den Geist prägen, aber sie verfangen nicht unbedingt auf Dauer. Was auch davon abhängt, ob man als Zuschauender eh schon der Meinung ist, dass unsere Lebensmittelwirtschaft gefälligst auf vegan umgestellt zu sein hat. Was allemal ja besser für alle ist und damit retten wir dann die Welt. Dummerweise ist der Rest der Welt vermutlich nicht so ganz einverstanden damit, was man öfters übersieht. Sicher ist es gut, dass man Konsumierenden zeigt, wie Dinge hergestellt werden, wie Manipulationen erfolgen können. Stete Penetration höhlt dann eventuell auch den Stein beim Zuschauenden.

Kommentare  

#1 Cartwing 2022-07-22 19:56
Ich fand die Mc Donalds - Doku in der ZDF Mediathek schon ziemlich aufschlussreich.

Wenn man bedenkt, was für eine perfide Industrie allein hinter der Tatsache steckt, dass die Pommes so schön lang sind, bzw. was man der Natur antun muss, um solche Kartoffeln zu ernten, dafür hat es sich schon gelohnt, das zu schauen.

Was mich betrifft, belasse ich es nicht bei einem Seufzen. Ich bin "konsequent" und verzichte, was mir aber leicht fällt, da ich eh meistens keine Pommes bestelle. ;-)

Insofern: Du hast es hier wirklich auf den Punkt gebracht. Letztlich sind auch die Dokus nur Teil der Unterhaltungs - Maschinerie. Man schaut es sich an, ist tief betroffen und vielleicht nimmt man sich sogar vor, was zu ändern. Aber dann geht man in den Supermarkt und klappert alles so ab wie immer.

Zitat:
Hätten die ganzen Reportagen irgendwie eine Auswirkung, sie wäre längst schon zu spüren.
Immerhin gab es spürbar noch nie so viele Veganer, wobei das ja auch ein gewaltiger Markt geworden ist. Geht es hier noch um den Verzicht oder will man dazugehören?

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