Victorias Secret: Pst, er ist ein Typ aus Ohio!
»Victorias Secret«
Pst, er ist ein Typ aus Ohio!
Jax hat eines Tages Chelsea vom Einkaufen abgeholt. Chelsea war in Tränen aufgelöst. Zusammen mit ihren Freundinnen hatte sie in „Victoria’s Secret“ Bikinis für eine Poolparty anprobiert. Dabei meinten einige Freundinnen zu ihr, bestimmte Bikinis solle sie besser nicht tragen. Sie dafür einfach - zu fett. Darüber kann man nur den Kopf schütteln, wenn man sich Bilder von Chelsea im Internet anschaut. Chelsea ist ein typisches junges Mädchen. Sie ist gerade das beste Beispiel für das, was man allgemein als „Normalgewichtig“ bezeichnet. Also weder zu fett, noch zu dünn. Aber dass sich Mädchen in diesem Alter natürlich mit Anderen vergleichen - vor allem so kurz vor der Pubertät, in der eh dann alles auf unsicherem Grund steht - das ist ein alarmierendes Signal. Junge Menschen, denn Männer haben auch mit Körpervorstellungen zu kämpfen, finden sich heutzutage oftmals zu dick, obwohl sie es gar nicht sind. Schuld daran ist - nein, nicht allein das Internet. Das Internet spiegelt hier nur das wieder, was wir alle in der Gesellschaft denken, sagen und tun.
Jax, vor einigen Jahren immerhin schon mal Dritte bei „American Idols“ aka Superstar-Suche, Staffel 14, hat das mit Chelsea getroffen. Vor allem, weil sie selbst an einer Ess-Störung erkrankt war. Sie kennt also die Kehrseite ganz genau. Eine Kehrseite, die immer mal wieder in den Medien vorkommt. Dass aber die Vorstellungen davon, wie Körper zu sein hätten durchaus Druck auf Menschen ausübt, das wird dann eher weniger behandelt. Der schlanke Körper muss halt als Ideal herhalten und erreicht werden - wenn dabei die Gesundheit ironischerweise in die Binsen geht, dann ist das halt der Preis dafür. Es gibt auch eine Menge von Menschen, die davon profitieren. Wie halt der Besitzer von Victoria’s Secret. Über den Jax dann halt einen Song schrieb. Wobei es nicht verwunderlich ist, dass Jax das tat. In den Minimusik-Videos auf TikTok spiegelt sich einerseits Jax’ Wortwitz wieder, andererseits geht auch um Themen wie Kleinwüchsigkeit, Autismus, Flirten im Alter, Toleranz, Verständnis. Oder auch einfach um Vorurteile gegenüber Rothaarigen mit Sommersprossen. (Nein, sie kommen nicht alle aus Irland.) Dabei enden die Kurzvideos meistens mit einer humorvollen Note. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein Song über Victorias Geheimnis - pst, sie ist von einem Typen erfunden worden! - bei den Fans gut angenommen wurde.
Dass der Song dann weitere Kreise zieht … Natürlich hat der von Jax selbst veranstaltete Flashmob vor einem „Victoria’s Secret“ dazu beigetragen. Was den Song erstmals übrigens auf meinen Schirm gebracht hat. Jax selbst war mir vorher auch nicht bekannt. Allerdings ist Jax eine verdammt gute Songwriterin. Musikalisch gesehen ist „Victorias Secret“ eine Mischung aus Pop, einer Prise Punk - der den Refrain im Ohr hängen lässt - und dem gewitzten Einsatz des unter anderem von „I love Rock’n Roll“ eingesetzten Rhythmusses. Da haut der Bass Achtel auf die erste Zählzeit - dann gibt eine Pause - dann wieder Bass - dann wieder Pause. Ich bezeichne das immer als den „Mitklatsch“-Effekt. Vor allem, wenn zu Beginn auch in den Pausen noch geschnipst wird. Zudem: Wer nicht beim Wiederholen des Wortes „Dude“ - DUDE! - mitmacht, dem ist einfach nicht zu helfen. Insofern: Auch jenseits des Textes hat der Song durchaus musikalischen Gehalt.
Natürlich wird auch der Inhalt des Songs mal wieder auf geschlossene Türen stoßen. Neulich noch würde geäußert, man müsste diese ganze Körpergeschichte und Bodyshaming - denn der Song dreht sich ja auch darum - nicht so aufbauschen, weil der Confirmation Bias dann einsetzen würde. Also der Effekt, den man hat, wenn man zum Beispiel ein neues rotes Auto kauft und im Verkehr auf einmal nur noch rote Autos sieht. Nur: Diese roten Autos waren ja vorher schon da. Ein Problem wird ja nicht dadurch gelöst, dass man nicht drüber spricht. Obwohl das bei bestimmten gesellschaftlichen Dingen offenbar die Norm zu sein scheint. Gerade, dass ein Problem in den Focus gerät, löst ja meistens eine Debatte aus. Und wenn wir uns stundenlang über „Layla“ unterhalten können, warum dann nicht auch über einen Song, der jungen Menschen - auch Jungs sind körperunsicher - erklärt, dass der eigene Körper so okay ist, wie er ist? Und wenn wir schon dabei sind, warum reden wir nicht auch über das, was uns ständig als „gesunde Ernährung“ gepredigt wird? Wobei wir wieder bei gesellschaftlichen Dingen sind, über die gerne geschwiegen wird.