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Selbsterfahrung: Fünf Seiten Winnetou I

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Fünf Seiten Winnetou I

Letztens habe ich noch gefragt, wer überhaupt heute noch Karl May liest. Also im wirklichen Leben. Nicht nur für ein Bild für Social Media, wie das etliche Politiker*innen das ja prompt nachgeschoben haben. Weil man sich den Karl May ja nicht verbieten lassen wollte. Dass das nie der Punkt der Debatte war - was solls. Hauptsache man regt sich auf und wenn man genügend Leute dazu bringt sich aufzuregen, hat man genügend Klicks.

So läuft das leider mittlerweile. Aber zurück zur Frage: Wer liest noch Karl May? Und lohnt sich das überhaupt ihn zum lesen? Kühn wie ich bin habe ich mir „Winnetou I“ heruntergeladen und habe angefangen einige Seiten zu lesen. Weit bin ich nicht gekommen.

Der Roman beginnt mit einem sehr, sehr weitschweifigem Vorwort. Der Ich-Erzähler muss erstmal etliche Zeilen lang erklären, was denn nun ein Greenhorn sei und warum und wieso er selbst denn eines war. Es mag sein: Die zeitgenössische Leserschaft brauchte dieses ellenlange Erklärung, aber heutzutage kann man das Vorwort getrost überspringen. Es passiert sowieso nichts, außer dass Old Shatterhand sich selbst als Hauslehrer einer amerikanischen Familie vorstellt. Generell schreibt May sehr weitschweifig, aber ohne genau zu beschreiben wie die Dinge nun exakt aussehen. Schnelle Pinselstriche malen ein Bild, dessen Detailtiefe man nicht allzusehr erwarten sollte. Das ist bei Heftromanen auch heute noch so.

Es gibt ja Lesende, die behaupten sie würden beim „Herrn der Ringe“ diese possierlichen Hobbit-Abenteuer am Anfang überschlagen, weil das eigentliche Abenteuer ja erst mit Gandalf beginnt. Also viel zu viel Exposition. Genau das widerfährt den Lesenden auch bei Karl May. Wir müssen erstmal Henry, den Büchsenmacher, kennenlernen, der aus sentimentalen Gründen den deutschen Lehrer schätzt und in ihm mehr sieht als er selbst. Ganz nebenbei wird eine neue Erfindung erwähnt - ein Stutzen der häufiger schießen kann als sonst. Natürlich werden keine Details verraten. Ja, schon klar: Der legendäre Henry-Stutzen wird eingeführt. Aber zuerst muss der Lehrer ja beweisen, dass er wirklich schießen kann. Weil: Old Shatterhand kann einfach alles. Er ist nicht nur ein begnadeter Sprachenlehrer, er kann noch schießen und kennt sich mit den Geheimnissen der Landvermessung aus. Falls sich jemand an spätere Kapitel erinnert: Bären erledigen kann er auch und klar, seine Fäuste sind echte Schmetterhände. Im Grunde ist Old Shatterhand eine Mary-Sue. Er meistert jede Situation gekonnt und gewitzt und hat immer irgendwie eine Idee. Ich fange allmählich an zu Gähnen.

Man kann Karl May nicht seinen Stil anlasten. Geschärft an den damaligen Hintertreppenromanen - weil die Romane von den Dienstboten gelesen wurden - plätschern die Sätze so vor sich hin. Ab und an muss der moderne Leser über ein Wort stolpern, dass es nicht mehr gibt oder dass seine Bedeutung verändert hat. Aber es stellt sich nachdem die Handlung losgeht durchaus ein Lesefluss ein, der einen angenehm unterhält. Nur. So richtig mitfiebern lässt sich nicht, weil Karl May es nicht versteht Dinge auf den Punkt zu bringen. Es muss immer noch irgendwas erklärt werden, irgendwas muss noch geschildert werden - selbst die Dialoge zwischen Henry und dem Ich-Erzähler kommen nicht einfach auf den Punkt. So unterhält sich selbst zu Mays Zeiten keiner. Mit ein Grund, warum ich nach einigen Seiten dann aufgegeben habe: Es fesselt mich nicht. Absolut nicht. Ich mag natürlich solides Dahingeplätscher. Aber ab und an möchte ich einen Höhepunkt. Auch sprachlich. Karl May liefert das nicht. Bei ihm bleibt alle im gewohnten Rahmen des Heftromans. Nur bei der Charakterisierung der Hauptfiguen nimmt er sich ein wenig Zeit - Sam Hawkins wird dadurch als exzentrischer skalpiert Westmann. Damit wir auch nicht vergessen, wie exzentrisch Sam ist, bekommt er einen sprachlichen Tick: „Wenn ich mich nicht irre, hi, hi, hi …“ Das reicht um in Zukunft uns daran zu erinnern: Ja, Sam Hawkins. Exzentrisch. Der hat ja auch keinen Skalp mehr. Stimmt. Nachdem der Ich-Erzähle sich als kompetenter Landvermesser - wir sollten hier mal einhalten und uns fragen: Hat die Firma eigentlich die Erlaubnis Land zu vermessen? Die Lesenden wissen das etwas später - erweist, kann das eigentlich Abenteuer jetzt losgehen …

Doch ich steige aus. Ich werde nicht warm mit dem Stil von Karl May. Ich werde nicht warm mit diesem Ich-Erzähler, der alles kann, alles weiß und nur die passende Gelegenheit braucht um das auch noch zu beweisen. Ja, Sam Hawkins. Ja, Winnetou später. Aber ebensowenig wie der Ich-Erzähler ein anfassbarer Charakter ist sind es auch alle anderen. Sie sind entweder total gut oder total böse. Grau-Töne gibt es nicht. Letzten Endes sind die Apatschen eine Wunschvorstellung, wie die Deutschen zu Zeiten Mays sein sollten - tapfer, unerschrocken, sich jedem Feind stellend, schlau und stark. Das mag für mein jugendliches Ich vielleicht noch ausgereicht haben, ich als Erwachsener sehe auf die Erzähltechnik, weiß, wie man schnell Personen charaktierisiert. Natürlich: Wer das weiß und dennoch sein Vergnügen an den Romanen hat, der Iese sie. Aber ich sehe nicht ein, warum ich noch mehr Zeit auf etwas verwenden sollte, was mich gähnend langweilt. Also zack, Datei schließen und löschen.

Kommentare  

#1 Laurin 2022-09-02 00:14
Ehrlich, so wirklich verstehe ich jetzt deinen Artikel nicht. Winnetou 1 hat dir offenbar schon nach den ersten Seiten nicht gefallen. Da kann man nichts machen weil Geschmäcker halt verschieden sind. Und nun? :sigh:
#2 Cartwing 2022-09-02 06:20
Er wollte wohl nur mal testen, ob das heute noch lesbar ist...
#3 Laurin 2022-09-02 09:40
Ja gut @Cartwing, das wäre natürlich eine Frage wert.
#4 Rüdiger 2022-09-02 09:50
Ich lese Karl May seit ca. fünfeinhalb Jahrzehnten immer wieder sehr gern. Charmant, witzig, tiefsinnig, unterhaltsam, doppelbödig, etc. etc. Sehr reizvoll.
(übrigens und ganz am Rande: den Namen einer Hauptfigur mehrmals falsch zu schreiben erhöht nicht wirklich die Überzeugungskraft eines Textes, der eine Beurteilung sein will ...)

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