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Das Problem mit Storyuniversen: Ich muss wissen!

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas Problem mit Storyuniversen
Ich muss wissen!

Das Erzählen von Geschichten in einem einzigen Universum ist heutzutage Mode geworden. Kaum ein Film, kaum ein Buch, kaum ein Comic, das heutzutage nicht ein neues spannendes Geschichtenuniversum eröffnen möchte. Es ist auch schwer noch irgendeine Erzählwelt aufzuzählen, die nicht schon längst sich zum Universum erweitert hat.

Im Kapitalismus hat das durchaus System:

Wenn ich einen Fan einmal für ein Universum gewonnen habe, ist der bereit mehr Zeit und mehr Geld für Dinge aus diesem Universum auszugeben. Kein Wunder also, dass man heutzutage nicht mehr um Universen herumkommt. MCU. DCU. Harry Potter. Star Wars. Aber auch so etwas wie League of Legends, Resident Evil, ja, sogar Bibi Blocksberg hat eins. Natürlich. Was ist denn bitteschön Bibi und Tina anderes, als ein Storyuniversum mit Hexen und Pferden?

Die in der Fantasy typischen Trilogien stehen für eine Erzählwelt. In der Regel legt ein Autor die Regeln fest wie seine Welt funktioniert und erzählt dann mit den Figuren eine Geschichte. Die kann – wie zuerst bei Harry Potter – durchaus auch etliche Bände lang sein. Aber so wie der Lesende oder der Computerspieler am Beginn eine Welt betritt und eine einzige Geschichte erlebt, so verlässt sie er am Ende auch wieder. Es gibt kein weiteres Zusatzmaterial. Es gibt keine Einführung von neuen Figuren in der Handlung, die dann in einer weiteren eigenen Geschichte fortgeführt werden. Die Geschichte ist abgeschlossen. Sie ist erledigt. Das Einzige was bleibt wäre nochmal von vorne zu beginnen – was viele Lesende dann auch tun, auch wenn sie natürlich die Wendungen schon kennen. Das sind Erzählwelten. Es gibt eine Geschichte, die ich kompakt erlebe. Natürlich kann ein Autor auch noch mehrere Handlungsstränge in diese Geschichte packen, verschiedene Figuren diese Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln erleben lassen. Aber wenn ich die Geschichte beende, dann war es das.

Wir sind als Medienkonsumierende an Crossover gewöhnt. Besonders Comicfans haben schon das Ein oder Andere erlebt – in Buchreihen ist es eher ungewöhnlich. Crossover erweitern die Erzählwelten und können das in unterschiedlicher Weise tun. Es können Helden des eigenen Kosmosses sein, der eigenen IP, die einander begegnen. Wenn die Spinne bei den Fantastic-Four auftaucht, dann reißt uns das nicht vom Hocker. Wir wissen: Im Marvel-Universum existieren etliche Superhelden nebeneinander und ab und an verbünden die sich. Superman und Batman? Schon fast der Normalfall. Das ist erstmal nur eine Aufweichung der Erzählwelten der jeweiligen Comicreihe an sich. Wenn der Joker gegen die Spinne antritt, dann prallen hier zwei unterschiedliche Comic-Universen aufeinander: Marvel und DC. Zwei Universen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben. Auf die Spitze trieb das Ganze ja das Event des Amalgamuniversums – zwischenzeitlich gab es komplett aus dem Material der einzelnen Comicuniversen zusammengesetzte Helden.

Solche Crossover weichen die Grenze von der Erzählwelt zum Storyuniversum durchaus auf. Wenn in einem Crossover neben den bekannten Held*innen neue Figuren eingeführt werden, deren Geschichten dann in eigens neu gestarteten Comic-Reihen weitergeführt werden – dann haben wir ein Storyuniversum. Dass Anakin Skywalker Jedi-Meister war und mit Ashoka eine eigene Schülerin während der Clone-Wars-Krieg hatte – das kam in den Kinofilmen nicht vor. Die „Clone Wars“ aber finden im selben Universum statt. Ashoka erweitert den Reihen der Charaktere, mit ihr wird eine neue Geschichte erzählt. Bevor Disney Star War kaufte, gab es das sogenannte erweiterte Universum mit den Romanen, Computerspielen. Was als Fan natürlich nett ist: Mag man die Knights of the old Republic-Spiele? Dazu gabs Comics und Romane. Wollte man wissen, wie die Trilogie – es gab damals nur EINE – weiterging? Das wurde in den Romanen erzählt. Neue Charaktere. Neue Abenteuer. Altes Universum.

Ob sich die Macher des Marvel-Cinema-Universums dessen bewußt waren? Vermutlich. Jedenfalls haben diese die Formel perfektioniert. Und gleichzeitig eine neue Variante erfunden, die ein Problem darstellt. Im alten erweiterten Storyuniversum von Star Wars etwa gab es zwar auch so etwas wie fortlaufende Handlungsstränge oder Autor*innen bezogen sich in ihren Romanen auf gewissen Vorkommnisse, die in anderen Büchern stattfanden. Aber die Geschichten an sich konnte man auch lesen und verstehen, ohne dass man großartig jetzt alle Bände der Romanfortsetzung mit Luke, Leia und deren Zwillingen verfolgte. Man konnte wie bei Terry Pratchett einfach in einen Roman einsteigen und sich unterhalten lassen. Das, was das MCU zu Beginn in der ersten Phase machte, das war ähnlich: Durch verbindende Szenen bereiteten die Einzelfilme auf den ersten Avengers-Film vor. Allerdings: Noch konnte man den Film auch ohne großes Vorwissen erleben, da die Geschichte an sich von den anderen Filmen unabhängig war. Im Allgemeinen weiß man auch, ohne großer Comicfan zu sein, was es mit Spiderman, Thor und den Anderen auf sich hat.

Danach aber begann die strenge Verzahnung von Serien und Filmen. Wer den zweiten Doctor-Strange-Film im Kino sah, ohne zuvor „Wandavision“ mitverfolgt zu haben, wird trotz der kurz angedeuteten Erklärung auf dem Schlauch gestanden haben worum es eigentlich geht. In „Loki“ wird zudem noch das Multiversum an sich eingeführt. Wer entweder die eine oder die andere Serie verpasst hat, wird wesentliche Dinge nicht mitbekommen haben. Und das ist ein Problem. Vorher konnte ich als Fan sagen: „Na ja, Mrs. Marvel interessiert mich nicht, die lasse ich mal aus.“ Ich hatte als Fan keine Nachteile, wenn ich die Serie nicht sah. Schließlich war das eine in sich abgeschlossene Geschichte. Nicht nur Marvel, Star Wars geht ja auch in die Richtung, weil Marvel das vorexerzierte, mich würde nicht wundern, wenn DC nachzieht, demnächst haben wir vermutlich auch noch neue Super-Mario-Serien, die dann wieder in einen Film münden … Mir fehlen dann Informationen, die hastig nachgeschoben werden, weil man ja nicht wirklich darauf vertraut, dass alle Kinogänger*innen die Serien gesehen haben. Zu Recht.

Ich freue mich natürlich darüber, wenn es neue Geschichten aus meinem bevorzugtem Universum gibt. Wobei ich bei Doctor Who jenseits der TV-Serie auch schon wieder die Übersicht verliere, denn wegen der Geschichte der Serie gibts unendlich viel Stoff. Aber ich freue mich auch, dass „Class“ in Hörspielform weitergeht. Das alte serielle Erzählen feiert fröhliche Urstände in den Hörspielfortsetzungen. Natürlich steige ich beim „Class“-Hörspiel in eine laufende serielle Erzählung ein, aber muss ich unbedingt die Fernsehserie gesehen haben? Nein. Kann ich trotzdem Spaß haben? Ja. Kann ich mir aus dem Who-Universum die Sachen zusammensuchen, die mich interessieren ohne dass ich fürchten muss, irgendwas verpasst zu haben? In der Regel ja. Solange es nicht Jubiläums-Sonderaktionen sind, aber immerhin: Doctor Who erzählt dann transmedial. Machen auch nur noch wenige Universen. Genau das ist der Unterschied zu dem, was momentan bei Disney läuft.

Zur Gewinnung von neuen Fans übrigens ist das alte serielle Erzählen besser geeignet als das interkonnektive von Marvel und jetzt Star Wars. Also eigentlich Disney. Denn ich kann jederzeit einsteigen. Ich muss nicht wissen, was irgendeine alte Reinkarnation von Doctor Who getan hat. Doctor - TARDIS - Zeit-Raum-Reisen - Begleitung. Fertig. Ich kann sofort Spaß haben. Das aber wird ohne Vorkenntnisse bei Marvel und Star Wars nicht mehr möglich sein. Wenn der geplante Film in die Kinos kommt, der bei Star Wars die Serien zusammenbinden soll, dann muss ich wissen, was in den Serien an Handlung gelaufen ist. Sonst komme ich ja nicht mit. Dass zudem mir als Fan dann noch das eigentliche Serienfinale sozusagen geklaut wird und ich es nicht miterleben kann, wenn ich nicht im Kino war – das ist ja nochmal ein anderes Problem ...

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