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Das IGLU schmilzt: Grundschulkinder lernen nicht lesen

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas IGLU schmilzt
Grundschulkinder lernen nicht lesen

Der PISA-Schock saß tief vor knapp 20 Jahren. Deutschland - das Land der Dichter und Denker - eine Niete im Bereich der Bildung. Abgeschlagen auf einem der letzten Plätze. Die Aufregung war riesig. Ein Beschwörungssturm brach los. Die Politiker*innen waren sich alle einig. Deutschland muss nach vorne kommen. Deutschland müsse einen Platz unter den Top 10 ergattern. Von den nordischen Ländern müsse man unbedingt lernen.

Das Bildungssystem in Deutschland sei viel zu selektiv. Wer jetzt in die Zeitungen schaut, der wird genau all das wiederfinden, was vor 20 Jahren schon auf das Tablett kam. Nur: Viel geändert hat sich nicht.

Bildung, das ist bekannt, ist schließlich auch Ländersache. Was schmerzhaft erfahren wird, wenn man von einem Bundesland in das andere zieht und Familie hat. Da sind die schulischen Unterschiede so groß wie die Alpen. Aber das ist nur ein Puzzlestück des Gesamtbildes. Grundschulen in NRW haben teilweise das Problem, dass kein Führungspersonal zu bekommen ist. Abgesehen davon, dass auch sonst Personal fehlt. Angesichts einer dünnen Personaldecke ist da die Arbeit sowieso kaum zu schaffen. Auf die Bedürfnisse, die Stärken und Schwächen der Schüler*innen einzugehen kann man da wohl kaum erwarten. Man kann nicht erwarten, dass die Lehrpersonen eine Leseförderung organisieren, wenn es an allen Ecken und Enden brennt.

Überhaupt ist auffällig, dass kein Wort über Schulbibliotheken verloren wird. Stattdessen wird die Schuld gerne auf die Eltern geschoben: Ja, wenn diese den Kindern nicht vorlesen würden, dann … dann könne man wohl auch kaum was tun. Vor allem Männer müssten mehr mit den Kindern lesen. Ohne Zweifel, Kinder lernen anhand von Modellen. Das heißt aber auch: Wessen Eltern eine gutausgestattete Bibliothek haben oder dafür sorgen können, dass die Kinder gut mit Lesematerial ausgestattet sind, dessen Leben hat gegenüber anderen Kindern einen Vorsprung. Dass unser Schulsystem aussortiert, das ist bekannt. Dass es aber schon anfängt auszusortieren, wenn die Kinder in der Grundschule sind … das ist schon ein starkes Stück. Warum geht keiner auf die Strasse vor Zorn darüber, dass die Politik hier definitiv versucht die Eltern in Schuld zu nehmen, wo sie eigentlich seit Jahren nichts getan hat?

Weil immer automatisch davon ausgegangen wird, dass jedes Kind Lesen und Schreiben lernt. Dagegen spricht natürlich die hohe Zahl von Analphabeten - ebenfalls etwas, wofür wir uns in Bausch und Bogen schämen müssten. Während die USA früher den Slogan hatten, dass kein Kind zurückgelassen werden sollte - bildungspolitisch gesprochen - scheint die deutsche Politik sich einen feuchten Kehricht um jedes einzelne Kind zu scheren. Natürlich: Wenn das humanistische Bildungsziel aus den Zeiten Humboldts zugunsten der Wirtschaft geopfert wird, ist natürlich kein Platz für eine Bildung des Menschen zu einem ganzheitlichem Wesen. Hauptsache, der Mensch kann später arbeiten gehen. Das scheint zu genügen. Recht ironisch erscheint da die Aufregung über die Lesung einer Dragqueen in München. Denn Kinder brauchen attraktive, niederschwellige Angebote. Wie etwa die IKIBU in Duisburg oder etwa eine Lesung mit einer „Prinzessin“.

Eine Teilschuld den migrantischen Eltern zuzuschreiben, die ja nur in der eigenen Landessprache miteinander kommunizieren würden - und daher auch kaum Kindern deutsche Literatur nahebringen würden - ist eines Söders würdig. Sicherlich mag das auch ein Problem sein. Aber auch hier hat die Politik die Finger im Spiel: Wer keine Initiativen unterstützt, keine städtische Leseförderung betreibt, Deutschkurse nicht stattfinden, dann ist das auch ein Problem der Politik: Besonders wenn offensichtlich einige Stadtteile besser gefördert werden als andere. Es ist schön einfach, die Schuld von sich zu weisen und auf eine einzige Ursache zurückzuführen.

Man müsste das System umkrempeln - nur einfach eine weitere „Vorschule“ vorzuschalten, bis alle auf einen Stand sind … Im Grunde müsste man mehr kooperieren, mehr zusammenarbeiten. Mehr Schulbibliotheken einrichten. Im Bürgergeld-Satz den Etat für Bildung mehr als nur momentan verdoppeln. Das Lehrpersonal wieder auf eine vernünftige Größe bringen. Es fehlt einfach eine gemeinschaftliche gesellschaftliche Anstrengung anstatt einfach nur erneut Parolen schwingen und Pflaster auf Wunden verteilen. Aber wir werden die nächsten Tage genau das erleben. Versprochen.

Kommentare  

#1 matthias 2023-05-20 22:06
Die Ampel hat seit einiger Zeit die Möglichkeit, diese Misere zu ändern.
Und was macht Rot/Grün?
Nichts!
Im Gegenteil: Die Tore für den Zustrom von bildungsfernen Menschen werden weiter geöffnet. Und wenn deren Kinder schlecht lesen, sind wir Deutschen schuld!
Kopfschüttel
#2 Ganthet 2023-05-20 22:22
@ Matthias

Bildung ist Ländersache.
#3 Robert Martschinke 2023-05-21 00:32
Dritte Person Singular Indikativ Imperfekt Aktiv von sitzen ist saß (mit ß); Bildung schreibt sich mit einem N; "abgeschlagen auf einem der letzten Plätze" (Dativ!); was immer ein "Beschwörungssturm" auch sein mag - ich denke mal, er brach los (nicht brauch); die "Politikerinnen" ...
Das allein im Anreißer. Zu diesem Thema.
Soll ich jetzt lachen oder weinen?

Harantor sagt: Der Teaser ist korrigiert und ih empfehle lachen und weinen

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