Der nostalgische Vibe: Historisches Revuefernsehen
Der nostalgische Vibe
Historisches Revuefernsehen
Da nichts so günstig ist wie Archivmaterial des eigenen Hauses füllt sich also die Mediathek des ZDF mit der „Schwarzwaldklinik“, den „Guldenbrocks“, der „Kommissar“ erlebt seinen Auftritt und immer kommt dem Nesthäckchen seine Puppe verloren. Abgesehen davon, dass man aus dem Material der Vergangenheit auch etwas zimmern kann, was sie „Dokumentation“ nennt.
„Weißt du noch,“ seufzt der Deutsche Michel dann und lehnt sich behaglich im Ohrensessel zurück während Prominente, deren Namen schon wieder aus dem Gedächtnis entfleucht sind, die Trends der 70ger Jahre kommentieren. Denn wer ist kompetenter für das Kommentieren der Vergangenheit als Diejenigen, die das alles noch selbst erlebt haben. Historiker*innen sind bei solchen revueartigen Rückblicken ungern gesehen, denn diese Rückblicke sind alles, aber nicht kritisch. Das unterscheidet sie von Dokumentationen, die spätabends in den Öffentlich-Rechtlichen laufen. Historiker*innen ordnen ein, erklären und helfen Zusammenhänge zu erkennen.
Das interessiert aber bei solchen Rückblenden in die Vergangenheit kaum. Hier geht es um das Gefühl des Wohlbefindens. Des seligen „Ach, damals, ja …“ Als man noch ein Kind war, frisch am Samstag aus der Wanne im Bademantel mit den Eltern die ZDF-Hitparade schauen durfte. Wie ulkig doch das alles war, damals. „Auch ich war ein Jüngling im lockigen Haar“, seufzt man und stoßt sich gegenseitig an. „Weißt du noch, damals …“ Seligkeit für 45 Minuten. Der reinste Eskapismus. Was soll auch daran falsch sein, wenn man sich zurücksehnt in eine Zeit, in der Telefone noch Schnüre hatten und an der Wand hingen? Im Flur? Wo man Telefonnummern noch schriftlich in ulkigen Verzeichnissen aufbewahrte, ein Klick und zack - da schossen schon die Seiten hervor. Was war das doch für eine herrliche Zeit, als man auf der Autobahn marschieren konnte.
ist daran etwas zu kritisieren? Schon, denn diese Sendungen beleuchten nur das, was als gemeinsamer Konsens gewertet werden kann. Alles, worauf wir uns einigen können und wo wir gemeinsam sagen können: „Das sind die 70ger, 80ger, 90ger.“ Diese Sendungen legen also indirekt fest, wie die Vergangenheit gewesen ist. Je mehr diese Sendungen also wiederholt werden, weil sie halt auf ihre eigene Art und Weise zeitlos sind, je mehr erschaffen sie eine Vergangenheit, auf die wir uns alle einigen können. Und wir einigen uns selten auf kontroverse Dinge, wir einigen uns eher auf Idyllen. Die Vergangenheit verkommt zu einer Idylle, einem Sehnsuchtsort, der so viel schöner, einfacher und vor allem unkomplizierter war als jetzt.
Dies ist eine gefährliche Sehnsucht. Wenn in der Vergangenheit alles besser war, dann braucht man ja nur bestimmte Dinge aus der Vergangenheit zu nehmen und sie in die Gegenwart zu bringen - schon ist die Gegenwart weniger komplex. Das ist natürlich nicht so. Nur, weil sich eine große Anzahl von Frauen auf Instagram unbedingt so verhalten muss, als lebten sie in den 50gern haben sie keine Ahnung davon, wie es damals war Hausfrau in den 50gern zu sein. Sie simulieren eine Vergangenheit, die es so nicht gab. Denn die Vorstellung davon, wie eine bestimmte Zeitspanne gewesen ist, stimmt so wenig überein wie die Titelbilder von historischen Romanen mit deren angeblichen historischem Inhalt. Merkwürdigerweise suchen sich Instagram-Vertreterinnen auch kaum das Mittelalter, die Römer oder die Griechen raus - ein bisschen moderne Zivilisation muss also doch schon vorhanden sein. Aber so reizvoll ist das Leben einer Bäuerin um die Jahrtausendwende - also um 1000 - nun wirklich nicht gewesen. Man frage mal Historiker*innen.
Doch das Problem bleibt natürlich bestehen: Wenn wir immer wieder erneut historische Idyllen vorgesetzt bekommen, verlieren wir die Vorstellung davon wie es wirklich gewesen sein muss. Selbst die 80ger Jahre mit all ihren Ängsten und Krisen werden durch solche Revuen ja letztendlich zu einer unterhaltsamen Vorstellung. „Ach, ja, das Waldsterben … und das Ozonloch … SALT-Verträge … ja, ja, der kalte Krieg damals, das war schon sowas.“ Angemessen gegruselt streckt man sich nach diesen Gedanken wieder im Ohrensessel aus und freut sich auf die bunteren und netteren 90ger. Noch sind die 2000er und alle anderen danach folgenden Zeiten uns zu nahe. Kann die nostalgische Verklärung noch nicht greifen. Wir haben das ja alles noch selbst erlebt - im Gegensatz zu denen, die heute 30 sind und die 70ger halt nur aus den Erzählungen der Eltern oder halt diesen Revuesendungen kennen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Sendungen als das einstufen, was sie sind: Als Sendungen, die mit einem gewissen nostalgischen Vibe aufgeladen uns als Zuschauer*innen betüdeln möchten. Wohlfühlfernsehen. Daran ist auch nichts Schlechtes, solange man sich daran erinnert, dass es eben eine Vergangenheit ist, die von Fernsehmachenden zusammengestellt und uns präsentiert wird.
Kommentare
Das hätte ich mir ja denken können. Die Liste ist sehr aufschlussreich.
Welche Liste?
Diese Liste.
ich lese den großen Meister ja nicht mehr, außer manchmal die Headline. Aber einer seiner letzten Beiträge war da gar nicht schlecht:
Zitat: Und für ihn fallen ja anscheinend alle Personen, die nicht seiner Meinung sind, unter diese Kategorie. Er antwortet hier ja nie auf Fragen, Anregungen oder Kritik.
Zu den Revuen ist zu sagen, dass das Unterhaltungsfernsehen seit jeher Fluchtwelten bereitstellt. Diese Fluchtwelten retrospektiv verklärt zu betrachten erscheint mir nicht verwerflicher als sie in ihrer eigenen Veröffentlichungszeit zu konsumieren.
Noch eine interessante Geschichte zum Thema Entstehungs- versus Handlungszeit.
Die Serie "The Waltons" spielt in den Dreißigern und Vierzigern, wurde aber in den Siebzigern produziert. Natürlich trägt die Produktion die Handschrift der Siebziger, und das nicht nur handwerklich.
In einer Folge kommt ein kleiner schwarzer Waisenjunge zu den Waltons. Der versteht sich so gut mit John Walton und passt so gut zur Familie, dass John Walton Sr. tatsächlich kurz über eine Adoption nachdenkt. Aber da kommt ihm die damalige Haltung der Gesellschaft in die Quere. "Maybe in an hundred years" werde dergleichen möglich sein muss er dem enttäuschten Jungen sagen. Der wird dann in einer befreundeten schwarzen Familie untergebracht. Natürlich kann das Drehbuch die damalige gesellschaftliche Stimmung nicht ignorieren, noch nicht einmal die Waltons hätten gegen diese die Adoption eines schwarzen Kindes stemmen können. Allerdings zeigt John Walton eine liberale Gesinnung, die aus den Siebzigern kommt. Die deutsche Fassung wollte diese Problematik den Zuschauern nicht zumuten. Hier erklärt John Walton, für die Adoption des Jungen nunmehr zu alt zu sein, er müsse zu einer jüngeren Familie. Wobei die künftigen Adoptiveltern ungefähr in Johns Alter sind, die Argumentation also Unsinn ist.
TV-Serien, seien es nun "This is us" oder auch die siebte Season von Riverdale, mögen teilweise in der Vergangenheit spielen, tragen aber bei der Darstellung der Vergangenheit immer den Stempel ihrer Entstehungszeit. Das kann ja gar nicht anders sein, weil die Autoren künftige historische Entwicklungen kennen und auch die Denke ihrer eigenen Zeit anwenden.