Don’t feed the Muse: Youtube, Algorithmen und Tentakelmonster
Don’t feed the Muse
Youtube, Algorithmen und Tentakelmonster
Hinter der Harmonie der Vorstadthäuser, der Picket Fences, lauert der Abgrund. „Scream“ passte in den Zeitgeist des ironischen Ansehens von Medien mit seinen Hinweisen darauf, wie unlogisch eigentlich ein Slater-Film aufgebaut ist. Zombies als Karikatur des konsumierenden Menschen sind nichts Neues.
Und dass „Get Out“ eine Parabel über Rassismus ist, das sollte wohl sehr einleuchtend sein. „Don’t feed the Muse“ von Alex Bale reiht sich in die Reihe des kommentierenden Horrors ein.
Die Geschichte ist relativ schnell erzählt: Alex Bale ist ein YouTuber, der mit seinen Horror-Kurzfilmen wenig Erfolg hat. Das ändert sich, als sich in seinem Haus eine „Muse“ einnistet, die ihn mit Ideen versorgt. Dass die Muse gefüttert werden muss, ist klar und rasch wird auch klar, dass sie sich mit rohem Fleisch nicht mehr zurfriedengeben wird. Während Alex versucht seine Muse in den Griff zu kriegen, offenbart ihm seine Bekannte, dass sie ebenfalls eine Muse hat.
Oder eher hatte. Denn nachdem sie die Muse sozusagen an Alex weiterreichte, sei sie verschwunden. Alex macht es ihr gleich und lädt die Muse bei seinem Freund ab. Allerdings wird ihm bald klar, dass die Muse alles andere im Sinn halt als zu verschwinden. Zudem gerät seine Bekannte mehr und mehr in Gefahr.
Die Geschichte ist irgendwie vertraut? Stimmt. Aber da könnte man auch schon draufkommen, wenn man „Don’t feed the Muse“ liest und im Hinterkopf dann „Don’t feed the Plants“ ertönt. Die Parallelen zu „Little Shop of Horrors“ sind sehr offensichtlich. Hier wie da gibt es eine Kreatur, die einem Niemand dabei hilft berühmt zu werden. Der Preis dafür ist auch gleich: Man geht über Leichen. In „Feed the Muse“ lässt Alex wissentlich seinen Freund in die Tentakelarme der Muse geraten.
Bei „Little Shop of Horrors“ verfüttert Seymour die Leiche des Zahnarztes an de Pflanze. Wenngleich beide auch nicht wirklich tätlich geworden sind: Sie wissen sehr wohl, was sie tun. Und sie tun es, weil sie es nicht ertragen würden auf den vorherigen Status zurückzufallen. Seymour fürchtet, dass seine Angebetete Audrey ihn nicht mehr lieben wird, Alex fürchtet eher wieder in der Versenkung zu verschwinden.
So weit, so gleich. „Don’t feed the Muse“ unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von „The Little Shop of Horrors“. Alex Bale ist als YouTuber sehr erfolgreich, aber er ist nicht glücklich. Denn die YouTube-Videos über Spongebob erreichten mehr Menschen, generieren mehr Klicks als die Horror-Kurzfilme. Die sind aber Alex’ Passion. Seinen Kanal hat er nicht wegen Spongebob-Theorien eröffnet sondern wegen der Kurzfilme.
Alex ist allerdings nicht zufällig auf Spongebob als Thema gestoßen - im Sinne von, dass er mehrere Videos produzierte und sich herausstellte, dass diese Videos erfolgreicher waren als die Anderen. So dass immer Mehr-Desselben produziert wird, weil die Klicks Geld einspielen, der Algorithmus Likes und Kommentare liebt. Damit ist ein Teufelskreis angestoßen, denn wenn - und das versucht Alex ja durchaus - man etwas Anderes macht als von den Zuschauenden verlangt wird, strafen einen diese sofort ab. Weniger Likes - weniger Geld.
Wir Zuschauenden lieben Standardformate. Formate, die nach einem gewissen Schema funktionieren. Deswegen gibt es eine Unmenge von Quizshows, 7-Punkte-Listen, die wichtigen Fakten über Etwas, die war gar nicht wussten und so weiter und so fort. Sieht man sich die YouTube-Charts an oder loggt sich mal kurz aus einem Konto aus, dann sieht man wie wenig originelle Inhalte auf YouTube vertreten sind.
Abgesehen davon, dass Zweitverwertungen aus dem Fernsehen YouTube ebenfalls im Griff haben. Kleinere Kanäle, die innovativ sind gehen unter, weil der Algorithmus sie kaum Leuten vorschlägt. Jemand wie Alex Bale wird von der großen Masse kaum wahrgenommen. Deswegen verpasst ihm seine Bekannte ja die Muse. Mit Folgen, die man sich ausrechnen kann.
Das Ende der Geschichte erinnert auch wieder an „Little Shop of Horror“: Alex besiegt seine Muse, weil er erkennt, dass ihn Ruhm und Reichtum nicht glücklich machen. Vielmehr wird er wieder zu seinen Horror-Kurzfilmen zurückkehren. Währenddessen allerdings vermehren sie die Musen und am Ende leuchtet am Horizont kurz die Silhouette eines gigantischen Tentakelmonsters auf.
Seine Schlacht hat Alex gewonnen, den Krieg allerdings nicht. Was offenbleibt: In wie weit seine Bekannten schon im wahrsten Sinne des Wortes verdaut und durch Doppelgänger ersetzt sind. Des Weiteren weiß Alex jetzt ja um die Existenz der Musen. Ignoriert er sie in Zukunft? Plant er eine Aufklärungskampagne? Der Schluss des Ganzen lässt da einige Fragen offen.
Alles in allem: Als Low- oder vielleicht sogar No-Budget Produktion nutzt Bale geschickt Licht und Dunkelheit. Sicher, wenn man das Tentakelmonster zu sehen bekommt … so großartig sind die CGI-Effekte nicht. Allerdings legt die Story ja auch mehr Wert auf die Protagonisten - Alex und seine Bekannten. Kudos zudem dafür, dass Bale tatsächlich zuerst die Spongebob-Theorie-Videos ohne weitere Erklärungen online stellte.
Ich liebe gutes Storytelling und wenn man sich die Theorie-Videos anschaut - auch wenn man Spongebob nicht mag - bekommt man schon bald mit, dass da etwas Größeres im Gange ist. Sicherlich: Als Genre-Kenner durchschaut man rasch, was Alex vorhat. Nett ist es aber allemal. Ich bin gespannt darauf, was Alex als Nächstes plant.
© by Christian Spliess (11/2023)