Die Indianer und die Weißen
Die Indianer und die Weißen
In diesem Elendsbild steckt zwar viel Wahrheit, aber auch viel Halbwahrheit und auch manches Falsche.
Die Eroberung Amerikas war ein Vorgang, wie er in Kolonialzeiten auf der ganzen Welt stattgefunden hat – Afrika, Südamerika, Asien haben die gleichen Prozesse erfahren.
Auf Nordamerika konzentriert, waren die Beziehungen zwischen den Indianern und den weißen Einwanderern keineswegs immer von Feindschaft getragen, sondern über lange Strecken freundlich und von gegenseitigen Interessen überlagert. Indianer und Weiße waren Handelspartner, und sie waren Verbündete – Franzosen und Engländer hatten in ihren Kämpfen um die Vorherrschaft indianische Alliierte, die ihrerseits mit Hilfe ihrer europäischen Freunde intertribale Feindseligkeiten austrugen. Man darf bei dem Begriff „Indianerkriege“ nicht vergessen, dass es diese Kriege schon vor dem Erreichen der Europäer in der Neuen Welt gab, nämlich teilweise erbitterte Kämpfe der verschiedenen Stämme untereinander. Kriege um Ressourcen, Kriege um die Erlangung von Ehre und Besitz. Mit Ankunft und Ausbreitung der Kolonialmächte versprachen sich viele Stämme Vorteile – und nahmen diese auch wahr, sowohl im Handel als auch militärisch.
Erst als die systematische Besiedelung der westlichen Weiten begann, als die Kolonisten mehr und mehr Land an sich zogen – ein Vorgang, den die Indianer in ihrem Konzept des gemeinschaftlich genutzten Landes gar nicht verstanden –, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Allerdings waren die Indianerstämme dabei keineswegs wehrlos. Sie gehörten tatsächlich zu den wehrhaftesten Völkern der Welt.
Es begann eine Zeit intensiver kriegerischer Auseinandersetzungen, wobei sich auch die Form der indianischen Kriegsführung entscheidend vom militärischen Komplex der weißen Eroberer unterschied. Deshalb – nicht allein wegen besserer Militärtechnik oder überwältigender Zahl – wurden die Indianer letztlich militärisch geschlagen.
Eine „Vernichtung“ – etwa vergleichbar mit dem Holocaust – war nur von wenigen Politikern oder Militärs beabsichtigt. (Massaker wie Sand Creek oder Wounded Knee waren nicht die Regel und lösten teilweise in den USA selbst Abscheu und Entsetzen aus.) Es ging in erster Linie um Verdrängung, Unterwerfung und Umerziehung zu „zivilisierten“ Menschen. Ein geflügeltes Wort war im 19. Jahrhundert: „Den Indianer töten, aber den Menschen retten.“
Dass Kulturvernichtung fast ebenso schlimm sein kann wie physische Vernichtung – weil der Mensch eine kulturelle Identität hat, die ihm seinen Platz in der Welt sichert, die ihm das Bewusstsein ethnischer Einzigartigkeit gibt – wurde von den Vertretern kolonialer Mächte nie verstanden, nirgends auf der Welt. Das war kein auf Amerika konzentrierter Vorgang. Es gehörte zur Denkweise der Europäer, die uns heute (hoffentlich) fremd geworden ist.
Die Vernichtung der großen Bisonherden und die Verdrängung in Reservationen war für die nomadischen und halbnomadischen Völker der Great Plains ein Schlag gegen ihre physische und kulturelle Existenz – aber europäische Besucher sind gleichwohl überrascht, dass es sich bei diesen Reservationen noch immer um riesige Gebiete handelt. Bis heute umfasst der Umfang einer Reservation meist die Größe eines deutschen Bundeslandes; die Zahl der Bewohner beläuft sich in der Regel auf wenige Tausend. Ausnahme: Die Navajo, die wohl um die 160.000 Menschen zählen, deren Landreserve aber fast ein Drittel des Staates Arizona umfasst.
1926 wurden die Indianer Staatsbürger der USA. Von diesem Zeitpunkt an begann der Kampf um die Erweiterung der Rechte dieser Völker und um die alten, gebrochenen Verträge. Dieser Konflikt gipfelte in den 1960er und 1970er Jahren in Besetzungsaktionen des „American Indian Movement“ und anderen spektakulären öffentlichen Maßnahmen. Zugleich begannen Prozesse vor den amerikanischen Gerichten und Eingaben bei der UNO.
Das Ergebnis war, dass die Obersten Gerichte der USA die meisten gebrochenen Verträge aus dem 19. Jahrhundert wieder in Kraft setzten – wo dies realistisch möglich war. Weil in diesen Verträgen die Indianervölker als „Nationen“ bezeichnet worden waren – ein völkerrechtlicher Begriff, der selbst auf Stämme zutraf, die nur wenige hundert Menschen stark waren. Der Begriff der „Nation“ verleiht ihnen einen Status, der ihnen in Auseinandersetzungen mit dem amerikanischen Staat eine starke Stellung einräumt, weshalb sie darauf heute besonderen Wert legen.
Die Folge war, dass die Reservationen zu quasi autonomen Gebieten wurden. Die Indianervölker wurden verpflichtet, sich Verfassungen zu geben, die an die Verfassung der USA angelehnt waren. Es wurden Stammesparlamente und Stammesregierungen geschaffen, und der Einfluss der Indianerbehörde in Washington wich der Selbstverwaltung der Stämme. Heute sind die Reservationen Gebiete, in denen die Stammessouveränität vielfach über den Rechten des sie umgebenden Bundesstaaten steht – etwa bzgl. Gerichtsbarkeit, Polizeimaßnahmen und sogar Steuerhoheit.
Es war die Regierung Präsident Reagans, die anregte, dass Indianerreservationen ihre autonome Situation zu einem profitablen Geschäft nutzen sollten – Spielkasinos. Die Seminolen in Florida waren die ersten, die diese Chance nutzten und damit völlig neue wirtschaftliche Potentiale erschlossen; so gehört den Seminolen heute z.B. die weltweit operierende Kette der „Hard Rock Cafes“. Heute ist das gewerbliche Glücksspiel das beherrschende Element im Indianerland – häufig sehr zum Ärger der sie umgebenden Bundesstaaten. Während in den meisten Gebieten der USA das Glücksspiel verboten ist, sprießen die indianischen Spielkasinos aus dem Boden und stellen mit ihrem Angebot an Restaurants und Hotels ein bedeutendes Freizeitpotential der Tourismusindustrie dar. In einem Staat wie Oklahoma etwa, in dem im 19. Jahrhundert besonders viele kleinere Stämme konzentriert wurden, nehmen die Indianervölker inzwischen in wirtschaftlicher Hinsicht einen bedeutenden Platz ein und sind auch politisch einflussreich.
Die Rechte aus den alten, wieder in Kraft gesetzten Verträgen, werden heute in der Regel mit Geld abgefunden. Die Bundesregierung bezahlt den indianischen Gesundheitsdienst, das Schulwesen, gibt Gelder für die Selbstverwaltung der Reservationen, für die Gerichtsbarkeit und die Polizei, und es gibt auch pauschale Zahlungen für den Sozialdienst. Alles andere erwirtschaften die Reservationen selbst; vor allem entscheiden sie selbst über die Verteilung der Gelder.
Die Indianerbehörde in Washington wird seit Jahrzehnten überwiegend von indianischen Beamten geleitet – aber diese vertreten natürlich ihre parteipolitische Orientierung, je nach Farbe der Regierung.
Die Stammesführer – die sich Vorsitzende, Gouverneure oder auch Präsidenten nennen – verhandeln mit der US-Regierung und auch den Regierungen der Bundesstaaten auf Augenhöhe, und wo man sich nicht einig wird, entscheiden die Gerichte.
Unter George Bush sind viele Sozialleistungen gekürzt worden. Unter Obama wird manches davon wieder repariert, und Obama hat inzwischen zahlreiche hohe Ämter mit Indianern besetzt; soeben hat er eine indianische Juristin für das Bundesgericht in Arizona berufen.
Was man an Problemen auf den Reservationen sieht, ist – man mus es leider sagen – häufig hausgemacht. Mangelnde Versorgung mit Elektrizität, Wasser, Feuerholz im Winter, schlechte Infrastruktur, u. ä. sind stammeseigene Probleme. Indianische Stammesräte und Stammesregierungen haben sich in den letzten Jahren nicht immer als sonderlich ehrlich erwiesen – wovon zahlreiche Prozesse wegen Amtsmissbrauch, Korruption u. ä., aber auch stammesinterne Auseinandersetzungen bis hin zu offenen Revolten gegen die eigene Führung zeugen. Man muss allerdings gerechterweise sagen, dass unsere Form der demokratischen Verwaltung den traditionellen indianischen Führungssystemen nicht entspricht. Die indianische Gesellschaft ist eine Kompromissgesellschaft, für die Einigungen auf dem kleinstmöglichen Nenner nicht selten waren. Mehrheitsentscheidungen entsprechen nicht der alten indianischen Gesellschaftsordnung. Familiäre Bindungen sind in indianischen Gesellschaften meist wichtiger als das Allgemeinwohl. Die hohe Individualität im Indianerland führt häufig zu vielen Fraktionsbildungen, die dann Nichtstun zur Folge hat. Bestes Beispiel dafür ist der Black Hills Komplex oder die Überlegung bezüglich des Umgangs mit Wounded Knee, dem letzten großen Massaker der Indianerkriege.
Bei allen negativen Aspekten – im Indianerland entwickelt sich alles etwas langsamer, aber es entwickelt sich, und das Selbstbewusstsein wächst.
Rassismus gibt es überall auf der Welt. In den USA gibt es Gesetze, die Indianer und ihr kulturelles Erbe explizit unter Schutz stellen und die rechtliche Basis für eine Durchsetzung dieser Ansprüche bilden.
In einer Gesellschaft, die aus so vielen Ethnien und kulturellen Gruppierungen besteht wie die USA, wird es immer Konflikte geben, aber die Native Americans behaupten inzwischen einen Sonderstatus und werden sich diesen auch nicht mehr nehmen lassen.
: Der rechtliche Status der Indianer in Nordamerika ist in Europa von Klischeedenken und völlig falschen Vorstellungen geprägt. Man sieht bis heute die Bilder von Menschen, die gewaltsam unterworfen wurden, denen eine ihnen fremde Lebensweise aufgezwungen wurde, die rechtlos und in Armut ihrer Kultur beraubt wurden.
Kommentare
besser, treffender udn umfassender konnte man es in dieser Kürze nicht sagen. Ich erhebe mich geistig und ziehe den Hut.. den ich heute nicht mehr so oft aufhabe...aber den alten Stetson gebe ich nicht her... innerlich bin ich ja immer "Cowboy" geblieben...und "Indianer-Freund" auch...
Aber leider werden solche Informationen hierzulande auch weiterhin von den roten und braunen USA-Hassern geflissentlich ignoriert, denn so etwas passt ja nicht in deren Weltbild.
Wer Fragen hat. Ich sammele die.
Vergessen wir mal Karl May, auch wenn er dafür gesorgt hat, dass Deutschland "indianerfreundlich" wurde. Aber normalerweise müssten diese Texte mächtig redigiert werden - nicht nur in Bezug auf die Indianer.
In den neuen Unger-Western lese ich mit Freuden, dass er wenigstens im Rahmen des Heftromans sich so gut es in die Handlung passte bemüht hat, aus der Zeit seiner jeweiligen Romanhandlung die historischen und kulturellen Hintergründe des jeweiligen Stammes mit einzubauen.
Ich vermute, das das neuere Romane von ihm waren. Denn als ich meinen ersten Lassiter schrieb, in dem weiße Schurken die Indianer aufhetzen, hätte mir das fast eine Ablehnung eingebracht. Sinnemäß wurde mir damals gesagt: "Weißt du denn nicht, das im Western die Indianer blutgierige Wilde sind, die abgeknallt werden".
Das hat sich, Wakan Tanka sei gelobt, inzwischen geändert. Nicht zuletzt durch den Erfolg von Kevin Kostners "Der mit dem Wolf tanzt". Ich war so 6 Jahre als der Film "Der gebrochene Pfeil" lief und meine Mutter mir mir ins Kino ging, damit ich diesen Film sehen konnte. Seit dieser Zeit bin ich Indianerfreund - und natürlich Cochise einer der Traumhelden meiner Jugend. Bis dann Chingachcook und Winnetou kamen
Auf die Fragen und die Anworten von Dietmar bin ich echt gespannt. Denn wenn einer die heutigen Umstnde kennt und die echte Historie zurück verfolgen kann, dann ist er s.
Übringes - als wir damals mit dem Bus von Flagstaff nach Scottsdale fuhren machten wir Mittagspause in einem Apachen-Reservat - Dietmar wird es sicher kennen. Da haben die Apachen ein großes Spiel-Casino aufgebaut.. in erreichbarer Nähe der Hauptstadt Phoenix... man braucht also für Glücksspiel sich nicht bis Las Vegas zu bemühen. Allerdings waren "Winnetous Erben" hier Manager oder in leitenden Positionen - gearbeitet haben Mexikaner.
Die einen wollen auf Biegen und Brechen den guten, edlen Wilden sehen, der einen guten Draht zu Manitou oder einem anderen Großen Geist hat und über geheimnisvolle Fähigkeiten verfügt, die anderen wollen unbedingt die Rothaut als übles Feindbild sehen, das ausgerottet werden muss, um das Überleben der weißen Siedler zu sichern.
Keine der beiden Sichtweisen trifft die Wahrheit, wie wir wissen. Trotzdem ist die Vorstellung in den Köpfen sehr fest verankert und nur echte Information, die nicht ideologisch eingefärbt ist, ist geeignet, das Bild etwas gerader zu rücken.
Auf die weiteren Berichte dazu bin ich deshalb sehr gespannt.
Aber das gilt doch für die ganze Epoche.
Im ungefähr gleichen Zeitraum hat man die Kultur der Südseevölker genauso nachhaltig vernichtet, während die Belgier den halben Kongo physisch ausgerottet haben und die Deutschen ein paar Jahre später die Herero.
Ich will damit sagen, dass die Indianerkriege keine historische Einzigartigkeit waren. Sie haben bloß die bessere PR.