Was macht grundsätzlich einen Western aus?
Was macht grundsätzlich
einen Western aus?
Der Western kennt in diesen klaren Schwarz-Weiß-Kategorien kaum Schattierungen. Darin liegt zwar eine gewisse Gefahr – weil Menschen eben nicht so eindeutig zu klassifizieren sind -, aber es ist auch eine unmissverständliche Ordnung der Welt, die Reflektion der Dualität unserer ganzen Existenz. Zwischen Held und Schurke gibt es keine Kompromisse.
Das ist eigentlich die Kulisse, in der sich nicht nur die Leser von Genre-Romanen wohl fühlen, weil die Dinge geordnet und übersichtlich sind. Derartige Darstellungen vermitteln Geborgenheit und gerade Wege. Besonders in einer Zeit, in der durch Medienvielfalt und unübersehbare Informationsflut Verunsicherung um sich greift, sollte so eine einfach strukturierte Romangattung Attraktivität entfalten.
Allerdings erscheint diese Form der Präsentation auch anachronistisch; und die Kulisse des Western wirkt auf heutige Leser oft überholt, weit weg von der Realität. Die Identifikation mit den handelnden Figuren läßt nach.
Gleichzeitig jedoch boomen historische Romane mit Themen des Mittelalters und anderer Epochen. Sie sind von den Grundstrukturen her nicht besser, aber sie vermitteln neben historischer Exotik auch Glaubwürdigkeit.
Dieses Potential hat der Western auch, sogar noch mehr, weil der zeitliche Rahmen uns viel näher liegt – was sind schon 150 Jahre Vergangenheit? Gerade mal zwei Menschenleben.
Das Problem dürfte sein, dass es dem deutschen Western oft an Glaubwürdigkeit mangelt, an „Authentizität“, an historischer Grundlage.
Fassen wir die Elemente zusammen, die einen abenteuerlichen Roman ausmachen:
: Grundsätzlich: Der Western gehört zur klassischen Abenteuerliteratur. Seine Themen sind die epischen Grundthemen der Menschheit – der ewige Kampf des Guten gegen das Böse, die Trennung von Stark und Schwach, der Konflikt von Moral und Verderbtheit, Unrecht und Gerechtigkeit, Gewissen und charakterlichen Abgründen.
Damit die Geschichte eine Aura entwickelt, die beim Lesen „rüberkommt“, ist aber auch die Glaubwürdigkeit der Kulisse entscheidend – bis ins Detail. Diese Glaubwürdigkeit entsteht u. a. durch die Souveränität, mit der der Autor den thematischen Hintergrund beherrscht. Schnell angelesene Informationen nützen nichts. Der Autor muß neben der sprachlichen Sicherheit, neben dem Handlungsstrang und der Präsentation seiner Charaktere, auch die Lebenssituation der Zeit, in der er agiert, im Kopf haben. Glaubwürdigkeit entsteht durch intensive Kenntnis der Thematik. Der Rahmen, den die spannende Geschichte bildet, muß mit Atmosphäre gefüllt werden, mit Emotion – mit Leben.
Welche Kleidung hatten die Menschen an. Wie waren sie eingerichtet? Wie haben sie geredet und gedacht? Was waren ihre Alltagsbezüge, was ist zeitgleich passiert und hat ihr Leben beeinflusst?
Diese Inhalte dürfen nicht lehrerhaft gestelzt einfließen (nach dem Motto: Guck mal, was ich alles weiß), sie müssen den handelnden Personen selbstverständlich sein, so daß der Leser an ihnen teilhaben kann, in ihre Welt eintaucht und sich als Teil der Geschichte fühlt.
Das war das Geheimnis von H. J. Stammels Romanen, auch von Werner Egli. (Ich hoffe, ich habe auch ein bisschen davon gehabt.)
Mit dem Wunsch, der Western möge „historischer“ werden ist natürlich nicht gemeint, daß nur noch Romane über tatsächliche Ereignisse geschrieben werden sollen. Das wäre letztlich zu viel verlangt. Nein, auch fiktive Geschichten können „historisch“ sein. Die Kulisse, die Atmosphäre, das Equipment, das Umfeld, die geographischen Gegebenheiten – das alles muß stimmen. Ein Roman, der in der Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges spielt, hat diesen machtvollen Rahmen, der ein grandioses Bühnenbild für das handelnde Stück liefert – um es mal so auszudrücken. Hier muß der Alltag der handelnden Personen in dieses Zeitpanorama eingepasst werden.
Siedler, Cowboys, Eisenbahnbauer, Soldaten – sie alle hatten ihr Umfeld, und bei der Gestaltung dieser Kulisse hat die Phantasie ihre Grenze. Hier ist Authentizität, hier ist Wissen gefragt. Dazu reichen ein paar Wikipedia-Infos nicht aus.
Ich erlebe es immer wieder, daß ich mit jüngeren Menschen zu tun habe, die gern schreiben wollen und die den Western als pittoreske und spektakuläre Romangattung für sich entdecken. Die kommen gelegentlich mit einem Wissensstand daher, der allenfalls den Stand von 1950er-Jahre-Western widerspiegelt. Die können nicht mal einen Revolver von einer Pistole unterscheiden, kennen die Sättel nicht, die damals verwendet wurden, wissen nicht, was eine Siedlerfrau oder eine Städterin für Kleider getragen haben, haben keine Ahnung von den Transport- und Dienstleistungsbetrieben – wie Wells Fargo, Union Pacific, Butterfield Overland, usw. (die essentiell für das Leben im amerikanischen Westen waren) -, wissen nicht, was gegessen wurde, wie ein Generalstore eingerichtet war, wie Handelsgeschäfte in Frontier-Regionen abgewickelt wurden, welchen Wert das Geld hatte, welche Preise für Alltagsgegenstände oder Lebensmittel genommen wurden, und, und, und… Das alles und noch viel mehr macht „historisch“ aus, macht „Authentizität“ aus, macht eine fiktive Handlung glaubwürdig, macht eine vergangene Zeit „lebendig“, macht die Charaktere überzeugend, schafft dem Leser für die Zeit der Lektüre eine eigene Welt, die stimmig ist.
Vor gar nicht so langer Zeit hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der einen Indianerroman schreiben wollte, dem aber die verschiedenen Stämme und Kulturen überhaupt kein Begriff waren. Er hatte völlig wolkige, realitätsferne Vorstellungen. Als ich ihm sagte, daß die Bezeichnung „Indianer“ zunächst mal nicht mehr umschreibt als der Begriff „Europäer“, war er völlig konsterniert. Von vielen Stammesnamen hatte er noch nie gehört, und über die Unterschiede der Völker hatte er sich ohnehin noch nie Gedanken gemacht. Für ihn waren das eben alles „Indianer“.
Ein anderer rief mich erst vorige Woche an und wollte wissen, wie ein Sheriff zu seinem Amt kommt und – im Ernst! – wo es im amerikanischen Westen Polizeischulen gab. Die Frage ist grundsätzlich schon berechtigt, aber damit beschäftigt man sich in der Regel, bevor man anfängt, sich auf ein solches Genre einzulassen. Und die Art der Fragestellung verriet, daß der Mensch sich noch nicht einmal darüber im Klaren war, daß er dabei war, sich ins 19. Jahrhundert zu begeben, und dass man mitteleuropäische Standards des 20. und 21. Jahrhunderts nicht in eine Wildnisregion von vor 150 Jahren übertragen kann. Es fehlt also nicht nur das Wissen, es fehlt auch das Einfühlungsvermögen in eine andere Zeit, ein anderes Land und andere Lebenskonditionen.
„Spannung“ ist das Wesenselement aller Abenteuergeschichten, aller Unterhaltungsliteratur überhaupt. Aber die schönste, die spannendste Geschichte nützt nichts, wenn die handelnden Personen sich historisch falsch verhalten, wenn die Kenntnis des Autors von der Zeit, über die er schreibt, fehlt oder nur marginal ist. Dann verpufft selbst ein guter Stil, dann wirkt nichts echt, dann bleiben Geschichte und Personen statisch.
Fazit: Ja, der Western sollte „historischer“ werden, in Bezug auf umfassende Hintergrundkenntnisse. Und: Ja, der Western muß Spannung erzeugen; denn lediglich fachlich gut zu sein, reicht auch nicht; ein Roman ist keine Volkshochschule. Phantasie, Kreativität und solides Wissen müssen eine Symbiose eingehen.
Kommentare
Aber holzschnittsartige Schwarz-Weiß-Charaktere sind doch wohl eher ein Merkmal des klassischen Jugendbuches. Moderne Kriminalromane sind jedenfalls anders aufgebaut und trotzdem sehr erfolgreich.
Auch die Authentizität, die ich persönlich sehr schätze, spielt z.B. bei den gängigen Mittelalterromanen so gut wie keine Rolle. Da wird die Zeit nach Lust und Laune verbogen - Wanderhure - und dem Publikum gefällt es.
Die Anmerkungen zum historischen Roman sollte jeder, der so einen Roman schreiben will, schlichtweg pauken. Vor allem sollte sich jeder Autor vergegenwärtigen, dass diese Dinge nicht nur die hübsche Lackierung des Autos sind, sondern der Motor, der es überhaupt erst antreibt. Aus den Umständen ergeben sich die Geschichten. Alles andere ist letztlich nur Karneval. Zugegeben, das reicht vielen Leuten, aber kommerzieller Erfolg ist ja nicht gleichbedeutend mit Qualität.
Der historische Roman von heute erreicht, was die Masse der Käufer angeht, ein anderes Publikum als der Western. Der Geschichtsroman ist vor allem ein Frauenroman. Das Westerngenre ist da eher abgemeldet. Es geht hier auch weniger um Glaubwürdigkeit, sondern mehr um die romantische Geschichte. Ich halte die meisten dieser Erfolge für ziemlich anachronistisch, was das propagierte Geschichtsbild angeht, vor allem in den Geschlechterrollen.
Aber ich fürchte, dass der schwarz/weiße Held nicht mehr zeitgemäß ist. Natürlich lebt(e) der Western davon, aber diese Art Held ist beim zahlenden Publikum nicht mehr glaubwürdig.
Das ist natürlich ein spannendes Thema. Wer ist glaubwürdiger, der patriachalische, rechtschaffene und simpel gestrickte John Wayne, oder der vorgeblich vielschichtige Held von heute, der aber auch immer ein Killer ist?
Aber das hat weniger mit dem Western an sich zu tun.
PS: ich kenn mich auch zu wenig aus, aber mir wäre auch lieber, wenn "Fakten" auch wirklich solche sind
Was die historischen Romane heute betrifft, muss man eben unterschieden: Historicals (Liebesromane vor historischer Kulisse), Wanderhure etc. (ein Trend der historischen Frauenromane, der wieder abklingt) und historische Romane a la Ken Follett, die nichts verbiegen etc. und daher wirkliche, echte historische Romane sind. Aber eben auch nur Romane. Und keine Geschichtsbücher ohne Story und fiktive Charaktere, was offenbar einige erwarten.