Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit John Brown und Harpers Ferry?
Wie war das mit John Brown und Harpers Ferry?
: Am 16. Oktober 1859, heute vor 158 Jahren, stürmte der Antisklaverei-Kämpfer John Brown das Bundesarsenal Harpers Ferry, um einen Sklavenaufstand auszulösen.
Als der Vorfall in der amerikanischen Presse Schlagzeilen machte, sprach Abraham Lincoln, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal als Kandidat für die Präsidentschaft nominiert war, von einem „absurden Unternehmen“. Das war zweifellos richtig. Gleichwohl wurde dieses „absurde Unternehmen“ zu einem Symbol. Hier wurde gewissermaßen die Lunte gezündet, die nur wenig mehr als ein Jahr später die Vereinigten Staaten buchstäblich auseinandersprengte.
Zu dieser Zeit lag der Urheber bereits „mouldring in his grave“, wie es poetisch hieß, als die blauen Kolonnen der Unionsarmee mit dem Lied von „John Browns Body“ auf den Lippen auf die Schlachtfelder des Bürgerkrieges zogen. „Glory, Glory, Halleluja!“
Brown war prominent in der Antisklaverei-Bewegung. Er hatte in den brutalen Auseinandersetzungen des „blutigen Kansas“ zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei am Vorabend des amerikanischen Bürgerkrieges einen schrecklichen Ruf gewonnen. Ob er wirklich selbst an den Erfolg seines Unternehmens glaubte, wird man nie herausfinden. Folgt man einigen seiner Schriften kann man nur vermuten, daß er sich opfern wollte, um zum Märtyrer zu werden und dem Kampf um die Befreiung der Sklaven neue Dynamik zu geben.
Brown hatte zuvor einige berühmte schwarze Repräsentanten der Abschaffung der Sklaverei, Harriet Tubman und Frederick Douglass, aufgefordert, sich ihm anzuschließen. Beide hatten sich geweigert. Douglass nannte den Plan ein „Selbstmordkommando“, und er warnte, daß ein Angriff auf Harpers Ferry ein Angriff auf die Regierung der Union bedeutete und der gemeinsamen Sache eher schaden könne.
Brown ließ sich nicht aufhalten. Er mietete wenige Meilen vor Harpers Ferry ein altes Farmhaus und sammelte hier 13 weiße und 5 schwarze Männer um sich, die er marginal militärisch schulte und mit Sharps-Karabinern ausrüstete.
Der Plan mochte auf den ersten Blick verrückt erscheinen, er war gleichwohl nicht ganz abwegig. Das Bundesarsenal Harpers Ferry, malerisch in einem geschützten Tal an der Mündung des Shenandoah River in den Potomac-Fluß gelegen, hatte nur eine sehr schwache Besatzung. Zum einen war die US-Armee in jener Zeit ohnehin zahlenmäßig sehr klein, zum anderen galt ein Überfall auf ein großes Arsenal als völlig undenkbar. Hier lagerten über 100.000 Musketen und Rifles und die dazugehörende Munition. Browns Überlegung war, daß sich binnen Stunden Hunderte, und binnen Tagen Tausende von Sklaven erheben und sich ihm anschließen würden, wenn sie von seiner Aktion hörten.
Aber genau das war das Problem: Wie sollten sie davon hören? In jenen Tagen gab es keine elektronischen Kommunikationsverbindungen oder Medien, die innerhalb von Minuten Nachrichten verbreiten konnten. Und die meisten Sklaven waren von Nachrichten aus der Außenwelt ohnehin abgeschnitten – oder konnten sie gar nicht lesen.
Brown hatte mindestens 8 ausgewählten Vertrauten von seinen Plänen erzählt. Keiner unterstützte das Vorhaben. Einige schrieben stattdessen Briefe an einflußreiche Männer in der Bewegung der Abolitionisten und forderten diese auf, Brown aufzuhalten und ihn nicht weiter mit Waffen und Ausrüstung zu unterstützen. Als Brown davon hörte, verließ er Virginia und reiste zu verschiedenen Freunden und Politikern, um sich zu rechtfertigen. Historiker glauben heute, daß er damit seine Position noch einmal schwächte, weil er sich nicht ausreichend um die Vorbereitung des Unternehmens kümmern konnte. Es wird heute geschätzt, daß am Ende wenigstens 80 Außenstehende in Browns Plan eingeweiht waren. Ein anonymer Brief erreichte sogar den amtierenden Kriegsminister John B. Floyd, der die Warnung jedoch nicht ernst nahm.
Sonntagnacht, am 16. Oktober 1859 schlug John Brown zu. Seine Aktion war zunächst ein voller Erfolg. Er überrumpelte die wenigen Wachen und nahm mehrere Geiseln, darunter den Urgroß-Neffen von George Washington. Die Telegraphenleitungen von und nach Harpers Ferry wurden gekappt.
Ironischerweise war das erste Opfer des Überfalls ein schwarzer Mann, der Schaffner eines Zuges der „Baltimore & Ohio Eisenbahn“, der sich weigerte, den Zug zu übergeben. Er wurde erschossen.
Kein einziger der örtlichen Sklaven schloß sich der Brown-Truppe an. Als der Morgen des 17. Oktober heraufdämmerte, hatte sich im Ort bereits Widerstand erhoben. Milizmänner und Bürger rotteten sich zusammen. Trotzdem gelang es Brown, das Arsenal während des Tages zu halten. 4 Bürger und der Bürgermeister von Harpers Ferry wurden bei den Kämpfen getötet. Die örtliche Miliz besetzte die Brücke über den Potomac und versperrte Brown damit einen möglichen Fluchtweg.
Brown begriff, daß er in eine ausweglose Lage geriet. Mit seinen Geiseln und den überlebenden Kämpfern verschanzte er sich im Feuerwehrhaus, das später als „Brown’s Fort“ bezeichnet wurde. Drei seiner Söhne kamen bei der Belagerung ums Leben, einer wurde erschossen, als er mit einer weißen Flagge aus dem Haus trat. Weitere Männer kamen um, als sie zu fliehen versuchten.
Am Nachmittag rückte Milizverstärkung an. Inzwischen war die Nachricht von dem Überfall bis nach Washington gedrungen. US-Präsident James Buchanan gab Befehl an Brevet Colonel Robert E. Lee, mit einer Kompanie Marines nach Harpers Ferry zu gehen. Lee, zu diesem Zeitpunkt Kommandant der 2. US-Kavallerie in Texas, hielt sich zufällig in Virginia auf. Er hatte nicht einmal seine Uniform dabei, als er die Führung der Marines übernahm.
Noch bevor er eintraf, hatte die Miliz einen ersten Sturm auf das Feuerwehrhaus unternommen und zwei Dutzend Geiseln befreit. Dabei waren 8 Milizmänner verletzt worden.
R. E. Lee erreichte den Schauplatz am 18. Oktober und schickte seinen Adjutanten, Lieutenant J. E. B. Stuart, als Parlamentär zu Brown. Stuart forderte John Brown zur Kapitulation auf und sicherte ihm und seinen Männern freies Geleit zu. Brown lehnte ab. Daraufhin gab Lee den Befehl zum sofortigen Angriff der Marines. Unter Führung von Lieutenant Israel Greene stürmten die Soldaten das Gebäude, schlugen die Türen ein und kämpften die letzten Getreuen von Brown nieder. Lieutenant Greene schlug Brown mit einem Säbelhieb zu Boden. Die Aktion dauerte 3 Minuten.
Lee schrieb in seinem Bericht, Brown sei ein „Fanatiker und Verrückter“. Er zeigte sich überzeugt, daß die Schwarzen, die bei Brown waren, von diesem zur Teilnahme gezwungen worden seien.
Brown wurde nach Charles Town (heute West-Virginia) gebracht, vor Gericht gestellt und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.
In seiner Zelle schrieb Brown Briefe an Freunde und Unterstützer. Er sah seinem Tod mit größter Gelassenheit entgegen. Am Morgen der Hinrichtung schrieb er seine letzte Botschaft nieder: „Ich, John Brown, bin mir nun sehr sicher, daß die Verbrechen dieses schuldigen Landes nur mit Blut weggewaschen werden können.” Das klang geradezu prophetisch. Der folgende Bürgerkrieg kostete mehr Amerikanern das Leben als es sich ein Mensch im 19. Jh. je vorstellen konnte.
Am 2. Dezember 1859 stieg er ohne ein Zeichen von Furcht auf den Galgen. Während sich im Süden nach seinem Tod Triumph breitmachte, transformierte Brown – wie er es selbst erhofft hatte – in weiten Teilen des Nordens zum Märtyrer, genau wie 6 seiner Mitkämpfer, die in den folgenden Wochen exekutiert wurden.
Für die Antisklavereibewegung wurde John Brown zum Heiligen, für die südstaatlichen Plantagenbesitzer war er ein Terrorist. Polarisierend, wie er im Leben gewesen war, blieb er im Tod und auch in der Geschichtsschreibung.
Meine Fotos zeigen John Brown, das Feuerwehrhaus in Harpers Ferry, in dem Brown sich verschanzte und die dazugehörende Gedenktafel, Unionssoldaten in Harpers Ferry (Reenactors), die Eisenbahnbrücke über den Potomac, Straßenbilder und Gedenksteine für die ersten Gefallenen – den schwarzen Zugschaffner und einen Marinesoldaten. Ferner eine Skizze vom letzten Widerstand Browns und die handschriftliche Botschaft an seine Anhänger.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de