Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »blutigsten Tag«?
Wie war das mit dem »blutigsten Tag«?
: Vor 155 Jahren, am 17. September 1862, fand einer der bemerkenswertesten Kämpfe im Amerikanischen Bürgerkrieg statt, die Schlacht von Antietam (bei den Konföderierten „Schlacht von Sharpsburg“ genannt), auch »Der blutigste Tag« genannt.
Dieser Zusammenstoß war physisch, materiell, strategisch und politisch von erheblicher Bedeutung und hatte Auswirkungen nicht nur auf den Fortgang des Krieges, sondern auf die Entwicklung der USA im nationalen wie internationalen Kontext.
Robert E. Lee hatte mit seiner „Army of Northern Virginia“ am 4. und 7. September den Potomac River gekreuzt und die Stadt Frederick besetzt. Damit begann seine „Maryland-Kampagne“. Er hatte die wichtigen Unionsstädte Philadelphia, Baltimore und vor allem Washington im Visier. Systematisch vorgehend, eroberten konföderierte Truppen unter „Stonewall“ Jackson das Bundesarsenal Harpers Ferry und nahmen rd. 12.000 Unionssoldaten gefangen. Die Südstaatler rückten mit Optimismus vor, aber am Antietam Creek stellte sich ihnen die Potomac-Armee unter dem Kommando von General George B. McClellan entgegen. Der sich entwickelnde Kampf wurde zu einem erbitterten Ringen mit bis dahin beispiellosen Verlusten. Der 17. September sollte als der „blutigste Tag“ des Bürgerkrieges in die Geschichte eingehen.
Die Union verlor an diesem Tag 12.401 Soldaten (2.108 Gefallene, 9.540 Verwundete, 752 Vermißte). Der Blutzoll der Konföderierten war, gemessen an ihrer Stärke, ebenso katastrophal, 10.406 (1.546 Gefallene, 7.752 Verwundete, 1.108 Vermißte).
Der 17. September 1862 hatte damit insgesamt fast. 23.000 Opfer gefordert. Das waren neunmal (!) so viele gefallene und verwundete Amerikaner als am sogenannten „D-Day“ im 2. Weltkrieg (6. Juni 1944), als US-Truppen die französische Küste stürmten. Das US-Nationalarchiv gibt die Zahl der amerikanischen Gefallenen und Verwundeten an Omaha und Utah Beach mit insgesamt 2.510 an.)
Obwohl beide Armeen zunächst erschöpft in ihren Stellungen verharrten, hatte der Norden einen strategischen Sieg errungen. R. E. Lee mußte sich mit seiner Armee zurückziehen; er war nicht mehr imstande, den Kampf erneut aufzunehmen. In diesem Moment verspielte George B. McClellan mit der ihm eigenen Zögerlichkeit eine große Chance. Er neigte stets dazu, den Gegner maßlos zu überschätzen und seine eigenen Kräfte zu unterschätzen. Anstatt die Konföderierten auf ihrem Rückzug zu verfolgen und erneut zur Schlacht zu stellen, ließ er sie unbehelligt abrücken. Während es Lee gelang, am Abend des 18. September seine Armee innerhalb weniger Stunden über den Potomac River zurück nach Virginia zu bringen, benötigte McClellan im Oktober, und auch erst auf Drängen Präsident Lincolns, volle 8 Tage, seine 100.000 Mann über den Potomac und gerade mal 20 Meilen weit zu führen.
Abraham Lincoln, der McClellan im Oktober in seinem Feldlager aufgesucht hatte, stand danach vor dem riesigen Feldlager der unbeweglichen Unionsstreitkräfte und antwortete auf die Frage seines Sekretärs, „Sir, ist das die Potomac Armee?“, sarkastisch: „Nein, das ist General McClellans Leibwache.“ Am 5. November enthob er den zaudernden General endgültig seines Kommandos.
Das war eine der entscheidenden Wendungen des Civil War nach Antietam.
Die zweite war, dass Lincoln sich nach dem relativen Erfolg stark genug fühlte, die gesamte politische Richtung des Bürgerkrieges neu zu justieren: Am 22. September 1862 veröffentlichte er die seit Juli in seinem Schreibtisch liegende Proklamation zur Befreiung der fast 4 Millionen schwarzen Sklaven (Census von 1860).
Es war eine Entscheidung, die tatsächlich an diesem Tag keinem einzigen Sklaven die Freiheit gab, aber sie gab dem Krieg eine menschlich-moralische Grundlage, die auch von enormer außenpolitischer Wirkung war, und sie war der erste Schritt zur Einführung der Bürgerrechte für farbige Menschen – auch wenn bis zu deren voller Verwirklichung noch mehr als 100 Jahre mit heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen vergehen sollten.
Meine Fotos zeigen Dunker Church, eine kleine Kapelle, vor der sich die gegnerischen Armeen heftige Kämpfe lieferten. (Die Dunker – deutsch: Tunker – waren eine im frühen 18. Jh. von den Amish abgespaltene deutschstämmige Sekte. Es gibt noch heute ca. 1.000 Dunker in den USA.) Ein neueres Foto von mir und eine zeitgenössische Aufnahme.
Dann „Burnside Bridge“, wo die Konföderierten mit aller Macht – aber vergeblich – versuchten, die Unionseinheiten aufzuhalten. Allein für den Kampf um diese kleine Brücke gaben rd. 500 US-Soldaten und 120 Konföderierte Leben oder Gesundheit.
Ferner die „Sunken Road“, ein ehemaliger Überlandweg, der von den Südstaatlern als eine Art „Schützengraben“ benutzt wurde und von der später Hunderte Gefallene geborgen wurden; seitdem heißt sie „Bloody Lane“. Auch hier ein Blick auf die heutige Situation und eine grässliche historische Szene.
Sowie andere Teile des Schlachtfeldes. Auf dem Friedhof von Sharpsburg erinnert ein Grabstein an das deutschstämmige Turner-Regiment.
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Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de
Kommentare
Danke dafür
Zum 2017 kommt man hier: www.zauberspiegel-online.de/index.php/mythen-aamp-wirklichkeiten-mainmenu-288/geschichte-mainmenu-289/30937-go-west-23-mai-2017#a2
Und die Artikel in "Eine Frage an" erscheinen in der Kolumne in "Eine Frage an"
In der Tat. Eine wesentliche Bereicherung dieser Internetpräsenz.
Kueglers "Magazin für Amerikanistik" ist übrigens seit kurzem nun auch optisch äußerst ansprechend ...
Jou, die aktuelle Ausgabe ist optisch und vom Papier her ein Leckerchen und das ohne Preiserhöhung und ohne Abstriche beim Inhalt ...
Nachdem Des Romero eine Frage bezüglich der Telegraphie stellte, die von Herrn Kügler freundlich und direkt beantwortet wurde, habe auch ich ein Anliegen an Mr. Grey.
Damit hier nicht alles durcheinander gerät bitte ich HH um Auskunft, wo ich meine Frage(n) platzieren kann. Die eventuelle Antwort ist möglicherweise auch für andere Leser (Autoren) von Interesse. So wie die Antwort auf Romeros Telegraphie-Frage.
Vielleicht stelle ich die Frage ja dort, wo Herr Kügler antwortete?
Aber ansonsten hilft natürlich immer die eigenständige Recherche ... ;)
Anmerkung: Recherchen führ ich schon durch, ähnlich Des Romero. Aber manchmal möchte man doch einen Expertenrat. Na jedenfalls Danke für Deine Auskunft. Dann schau ich mal, wo ich die Fragen platziere. Möglicherweise besser nicht hier im Magazin.
Den Plan für die Emanzipation der Sklaven hatte Lincoln schon früher gefasst. Er wartete jedoch bewusst bis zu einem Sieg des Nordens, um dieses Vorhaben nicht als verzweifeltes Manöver erscheinen zu lassen. Er konterkarierte damit und mit dem Sieg bei Antietam das Vorhaben Englands und Frankreichs einen Frieden zu vermitteln, der eine Teilung der Vereinigten Staaten vorsah. Die öffentliche Meinung in den beiden Ländern, wo die Sklaverei einige Jahre vorher abgeschafft worden war, war nämlich strikt gegen diese "Institution" eingestellt.
schließe mich an.