Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie ist das mit Theodore »Teddy« Roosevelt?
Wie ist das mit Theodore »Teddy« Roosevelt?
: Vor etwas mehr als 159 Jahren, am 27. Oktober 1858, wurde einer der bemerkenswertesten Politiker der USA geboren, der heute sowohl von Historikern als auch nach allgemeinen Meinungsumfragen auf Platz 5 der besten Präsidenten geführt wird, die diese Nation je hatte: Theodore „Teddy“ Roosevelt war schon zu Lebzeiten „larger than Life“, wie man in den USA zu sagen pflegt und unglaublich populär.
Eines der Zitate, die von ihm überliefert sind, lautete: „Sprich mit leiser Stimme, aber trage einen großen Stock bei dir.“
Wer ihn auf dieses Zitat reduziert, begeht allerdings einen Fehler. Theodore Roosevelt war einer der vielschichtigsten und widersprüchlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Aber seine Leistungen sind unumstritten. Er war ein echter Staatsmann, der die USA endgültig auf die Weltbühne brachte.
Er galt als Militarist, war jedoch der erste Amerikaner, dem der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Man sieht ihn heute als Amerikas „ersten grünen Präsidenten“ – denn keiner schuf mehr Nationalparks und Naturschutzgebiete. Mit seiner Antitrust-Haltung und seinen Sozialvorstellungen war er ein Schrecken für die Großkonzerne.
Aber er war auch ein Vollblutpolitiker, gerissen, ambitioniert, machtbewusst. Ein Demagoge, der sich in der Öffentlichkeit als „Pionier“ und Abenteurer darstellte, obwohl das nur bedingt stimmte. Zugleich war er ein Mann mit festen Prinzipien, mit sozialen Werten, der seine Kraft aus seinem stabilen Familienleben schöpfte, mit einem ehernen demokratischen Ethos, der unerschütterlich auf der amerikanischen Verfassung fußte und deren Werte er mit Würde vertrat. Ein Realist und Pragmatiker mit Visionen und einem starken Sinn für die Romantik der Natur und der nationalen Geschichte.
Geboren wurde er in New York als ein schwächliches, kränkliches Kind, das einen Großteil seiner Schulbildung von Privatlehrern im Elternhaus erhielt. Er litt unter seiner physischen Konstitution und wandte sich deshalb früh „männlichen“ Sportarten zu, wie dem Boxen. 1876 schrieb er sich an der Harvard Universität ein. Als er 1881, nur ein Jahr nach seinem exzellenten Examen, die Chance hatte, als jüngster Abgeordneter ins Staatsparlament von New York einzuziehen, brach er sein soeben begonnenes Jura-Studium ab. Neben seiner politischen Arbeit veröffentlichte er 1882 sein erstes Buch über den Seekrieg von 1812 gegen England, das ihm Anerkennung als Historiker und Autor einbrachte.
Am 14. Februar 1884 kam es zur schlimmsten Katastrophe in sein Leben: Zwei Tage nach der Geburt der ersten Tochter Alice starb seine junge Frau an Nierenversagen. Am selben Tag, nur einige Stunden vorher, war Roosevelts Mutter an Typhus gestorben.
Roosevelt erlebte einen physischen und psychischen Zusammenbruch. Er legte alle Ämter nieder, ließ das neugeborene Kind in der Obhut seiner Schwester Anna und verließ New York in Richtung Westen. „Die Lichter meines Lebens sind erloschen“, schrieb er in sein Tagebuch.
In den Jahren zuvor war er erstmals in North Dakota gewesen. Die weite Prärielandschaft und die zerklüfteten Badlands zogen ihn magisch an. Hier gründete er nördlich der kleinen Stadt Medora am Ufer des Little Missouri die Elkhorn-Ranch. Er begann eine Rinderzucht. Roosevelt schöpfte neue Kraft und Lebensmut, aber im schweren Winter 1886/87 erfror fast sein gesamtes Vieh auf den Weiden. Danach kehrte er in sein Haus auf Long Island zurück. Als „Cowboy aus den Dakotas“ engagierte er sich wieder in der Öffentlichkeit.
1886 heiratete er seine einstige Jugendliebe Edith Kermin Carow. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor.
1895 wurde Roosevelt Polizeipräsident von New York City. Diese Behörde galt als die korrupteste Polizeidienstelle der USA. Innerhalb von zwei Jahren stellte er sie förmlich auf den Kopf. Er erließ neue disziplinarische Regeln, stellte eine Fahrradtruppe auf, die den wachsenden Verkehr in New York besser und schneller beherrschen konnte, standardisierte die Bewaffnung, führte die Einstellungsbedingungen auf die Fähigkeiten und nicht auf die politischen Beziehungen der Bewerber zurück und ging drakonisch gegen Bestechlichkeit vor.
In den frühen Morgenstunden wanderte er persönlich durch die Straßen von New York, um die Streifenbeamten zu kontrollieren.
Es bestand kein Zweifel daran, daß Roosevelt auf einen Platz in der amerikanischen Regierung reflektierte. Seine Republikanische Partei misstraute ihm, er galt als unberechenbar, aber er war beliebt. 1897 berief Präsident William McKinley ihn widerwillig auf den eher einflusslosen Posten eines stellvertretenden Marineministers, auf dem er nach Ansicht der Parteioberen keinen Schaden anrichten konnte. Sie hatten dabei nicht bedacht, daß der amtierende Marineminister John D. Long seinem energiegeladenen Stellvertreter nicht gewachsen war. Innerhalb kürzester Zeit war Roosevelt der eigentliche Chef der Behörde.
1898 sank im Hafen von Havanna ein amerikanisches Kriegsschiff, die „USS Maine“. Obwohl es sich vermutlich um einen Unfall handelte, brachte dieser Vorfall die seit langem schwelenden Streitigkeiten zwischen den USA und Spanien zum Eskalieren. Spanien hatte die Bevölkerung seiner kubanischen Kolonie diktatorisch unterdrückt; die USA hatten die revolutionären Bewegungen auf Kuba immer unterstützt. Der vermeintliche Anschlag auf die „Maine“ führte zur Kriegserklärung. Roosevelt sah seine persönliche Chance. Er trat sofort von seinem Ministeramt zurück und stellte zusammen mit Colonel Leonard Wood ein Freiwilligenregiment aus Männern aus den westlichen Gebieten der USA auf. Die Zeitungen des Landes nannten die „1st US Volunteer Cavalry“ „Rough Riders“ – und dieser Name sollte bleiben. Roosevelt war klug genug, sich zunächst nur als Adjutant von Colonel Wood einstellen zu lassen. Erst als Wood zum Brigadegeneral befördert wurde, rückte er zum Oberst auf und übernahm selbst das Kommando.
Die „Raureiter“ wurden berühmt für ihren Sturm auf San Juan Hill am 1. Juli 1898. Roosevelt exponierte sich in dieser Schlacht in waghalsigster Weise im feindlichen Feuer. Am Ende lief er zu Fuß den heiß umkämpften Kettle Hill hinauf.
Als er im August 1898 in die USA zurückkehrte, war er ein Volksheld. Die einzige Möglichkeit, „Colonel Roosevelt“ noch zu stoppen, war, ihn auf weniger bedeutende Posten abzuschieben. Noch 1898 ließen die Republikaner ihn zum Gouverneur von New York wählen. 1900 boten sie ihm die Nominierung zum Vizepräsidenten neben Präsident McKinley an.
Das war ein Schachzug, Roosevelt lahmzulegen. Dieses Amt war ehrenvoll aber völlig einflusslos. Roosevelt war jetzt buchstäblich nur einen Herzschlag vom Zentrum der Macht entfernt. Am 6. September 1901 schoss ein Attentäter Präsident McKinley auf der Pan-American Exposition in Buffalo (New York) nieder.
Roosevelt befand sich zu dieser Zeit auf einer Bergbesteigung im nordöstlichen New York. Er reiste sofort nach Washington zurück. Am nächsten Tag nahm ihm ein Bezirksrichter in Buffalo den Amtseid als Präsident der Vereinigten Staaten ab. Der 42jährige Roosevelt war am Ziel.
In seiner Antrittsrede sagte er den großen Industriekonzernen den Kampf an, die seiner Meinung nach übermäßige Macht besaßen. Seine Anti-Trust-Gesetze erschütterten die amerikanischen Monopole. Im Mai 1902 gelang es ihm, einen landesweiten Streik der Minenarbeiter durch geschickte Vermittlung zu verhindern; das Ergebnis war, dass die Arbeiter mehr Geld für weniger Stunden erhielten. Bei der nächsten Präsidentenwahl 1904 errang er einen Erdrutschsieg.
Seine Prinzipien waren: Gerechtigkeit für jeden. Eine sozial verpflichtete Wirtschaft. Gesunde Ernährung. Gleichberechtigung der Frau. Schutz der Natur als wertvollstes Erbe der Menschheit. Viele Maßnahmen seiner Regierung waren tiefgreifend und zeigen noch heute Wirkung:
- Roosevelt zementierte den internationalen Einfluss der USA.
- Er veranlasste die ersten Gesetze zum Verbraucherschutz, indem Hersteller von Lebensmitteln gezwungen wurden, die Inhaltsstoffe ihrer Produkte auf den Etiketten anzugeben.
- Er unterstützte Schulhygiene und die Gesundheitsfürsorge für Kinder.
- Zu seinem bedeutendsten Vermächtnis wurde die Bewahrung der amerikanischen Natur. Er schuf nicht weniger als 5 Nationalparks – darunter die Mesa Verde, die als einziger Park einer menschlichen Kultur, dem Erbe der Anasazi-Indianer, gewidmet ist –, 18 Nationalmonumente und 150 Nationalforsten. Damit stellte er etwa 1 Million Quadratkilometer Natur unter Schutz.
- Roosevelt führte die Fertigstellung des Panama-Kanals durch, und er beendete den russisch-japanischen Krieg durch Drohungen und Verhandlungen. Dafür wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Nachdem sein Nachfolger als Präsident, William Taft, sich als große Enttäuschung entpuppte, versuchte er 1912 erneut, Präsident zu werden. Die Republikaner aber waren seiner überdrüssig. Daraufhin gründete er seine eigene Partei, die „Progressiven“, und lieferte den anderen Kandidaten eine regelrechte Schlacht. Er zog gegen Großkapital und Korruption zu Felde, prangerte den „Zucker-Trust“ an, den „Stahl-Trust“, den „Tabak-Trust“, den „ESSO-Trust.“
Am 14. Oktober 1912 schoß ihm bei einer Wahlveranstaltung ein deutschstämmiger Saloonkeeper (John Schrank) in die Brust. Das Redemanuskript, das er in der Brusttasche trug, fing die Wucht der Kugel auf. Roosevelt stieg mit blutgetränktem Hemd und Anzug aufs Podium und sprach 90 Minuten lang vor 10.000 Zuhörern, bevor er ins Krankenhaus gebracht wurde. Er trug die Kugel bis zum Ende seines Lebens in seinem Körper. Aufgrund der Zersplitterung der Parteien ging die Wahl dennoch für ihn verloren.
Roosevelt zog danach auf einige abenteuerliche Jagdexpeditionen und infizierte sich mit Malaria. Als gesundheitliches Wrack kehrte er nach New York zurück. Für den Rest seines Lebens litt er unter Malariaanfällen. 1914 plädierte er eindringlich für einen Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg, der 1917 erfolgte. Er erlebte noch mit, dass sein Sohn Quentin als Jagdpilot über Frankreich abgeschossen wurde.
Am 6. Januar 1919 erlag Theodore Roosevelt einem schweren Herzanfall.
Es besteht heute kein Zweifel daran, dass Roosevelt trotz seiner Exzentrik die Vereinigten Staaten zur Weltmacht Nr. 1 machte. Aus diesem Grund wurde sein Konterfei am Mount Rushmore in South Dakota im Fels verewigt.
Diese Ehrung hätte ihm gefallen. Ein anderer Beweis der öffentlichen Zuneigung war ihm sein Leben lang zuwider: Er hasste es, wenn man ihn „Teddy“ nannte.
Meine Fotos zeigen Theodore Roosevelt und sein Geburtshaus in New York, sowie seine bescheidene Ranch-Hütte in North-Dakota (und sein Schlafzimmer), wo er nach seinen schweren persönlichen Schicksalsschlägen neue Kraft sammelte. Weitere Fotos zeigen ihn als Rancher in North Dakota, als Kommandant der „Rough Riders“ und zusammen mit dem Naturwissenschaftler John Muir im Yosemite Nationalpark – der Naturschutz war seine Leidenschaft - und sein Grab. Am Mount Rushmore ist sein Kopf zwischen Thomas Jefferson und Abraham Lincoln zu sehen.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de
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