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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Dred und Harriet Scott?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Dred und Harriet Scott?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 6. März 1857, fiel in den USA eine Gerichtsentscheidung, die vermutlich den Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges beschleunigte, weil sie die Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft nicht nur offenbarte, sondern dramatisch vertiefte.

Im Gerichtshaus von St. Louis (Missouri) urteilte Bundesrichter Roger B. Taney, daß schwarze Sklaven keine Staatsbürger der USA seien, daher kein Recht auf ordentliche Gerichtsverfahren und keinen Anspruch darauf hätten, einen Prozeß um ihre Befreiung aus der Sklaverei zu führen.

Hintergrund war der Fall des Sklaven Dred Scott (geboren ca. 1799), der versucht hatte, seine Freiheit und die seiner Frau und seiner zwei Töchter mit legalen Mitteln zu erstreiten, indem er seinen Besitzer verklagt hatte.

Scott, geboren in Southampton County (Virginia), gehörte zunächst dem Pflanzer Peter Blow. Die Blows waren mit ihren Pflanzungen nicht erfolgreich und siedelten nach St. Louis über, wo sie eine Fremdenpension betrieben. Hier wurde Dred Scott an den Militärarzt Dr. John Emerson verkauft. Emerson wurde – wie beim Militär üblich – mehrfach versetzt und nahm Scott unter anderem mit nach Illinois – einen sklavenfreien Staat. Scotts Versuche, aus der Sklaverei zu flüchten, scheiterten.

Emerson diente zeitweise auch in Fort Snelling – heute Minnesota, damals zum Territorium von Wisconsin gehörig; ebenfalls ein sklavenfreies Gebiet. Hier heiratete Scott die Sklavin Harriet Robinson, die sich im Besitz des Indianeragenten Lawrence Taliaferro befand. Taliaferro übereignete Harriett nach der Zeremonie an Dr. Emerson, so daß die Scotts zusammenbleiben konnten. Später wurde u. a. diese Geste als Beweis angeführt, daß Dred Scott und seine Frau in dieser Zeit wie freie Menschen behandelt wurden.

Emerson vermietete die Scotts an andere Offiziere in Fort Snelling, als er 1837 in die Jefferson Barracks (Missouri) versetzt wurde. Im Jahr darauf heiratete er und ließ die Scotts nachkommen. Auf der Reise durch Illinois und Iowa, ebenfalls sklavenfreie Staaten, kam das erste Kind der Scotts zur Welt.

1843 starb Dr. Emerson. Seine Witwe, Irene Sanford Emerson, erbte seinen Besitz, also auch die Scotts, und vermietete sie an andere Familien. 1846 bot Dred Scott Irene Emerson 300 Dollar für die Freiheit von sich und seiner Familie an. (Nach heutiger Kaufkraft ca. 10.000 Dollar.) Irene Emerson lehnte ab, und Scott tat etwas Unerhörtes – er reichte Klage gegen seine Besitzerin ein.

Er berief sich dabei auf ein 1824 gefälltes Urteil in Missouri, wonach Sklaven, die für geraume Zeit in einem „freien Staat“ gelebt hatten, als „frei“ anzusehen seien, wenn sie zurück nach Missouri gebracht wurden. Der Grundsatz, den das Gericht damals festgelegt hatte, lautete: „Einmal frei, immer frei.“

Dred Scott und seine Frau hatten nachweislich mehrere Jahre in sklavenfreien Staaten und Territorien gelebt. Die älteste Tochter war in einem freien Staat geboren worden. Ihre Klage hatte somit unzweifelhaft eine juristische Grundlage. Unterstützt wurden die Scotts von einem Pastor in St. Louis, der als Anti-Sklaverei-Kämpfer bekannt war und einen Anwalt für die Familie besorgte. Hintergrund der Bemühungen war die Befürchtung, daß die Scott-Kinder womöglich von ihren Eltern getrennt und verkauft werden würden – eine reale Gefahr in jenen Jahren.

1847 wurde der Fall zunächst abgewiesen, weil die Frage, ob die Scotts tatsächlich Irene Emerson gehörten, nicht eindeutig geklärt war. 1850 legte Irene Emerson entsprechende Belege vor. Ein Geschworenengericht entschied, daß Scott im Recht sei und seine Freiheit bekommen sollte.

Irene Emerson ging dagegen in die Berufung und erhielt 1852 recht. Es war weniger eine juristische, als mehr eine politische Entscheidung. Die Gegensätze zwischen den sklavenfreien Staaten und den Regionen, die Sklaverei erlaubten, hatten sich derart verschärft, daß Missouri sich nicht mehr an die 1824 getroffene Entscheidung gebunden fühlte und ein Zeichen gegen die wachsende Anti-Sklavereibewegung setzen wollte. Die Geschworenen überstimmten damit den amtierenden Richter, Hamilton Gamble, der sich in einer eigenen Stellungnahme von dieser Entscheidung distanzierte und sich auf die Seite der Scotts stellte.

1853 erhob Dred Scott erneut Klage. Diesmal gegen den Bruder von Irene Emerson, John F. A. Sanford, der die schwarze Familie von seiner Schwester übernommen hatte. Sanford war offiziell Bürger von New York, während die Scotts Bürger von Missouri waren. Aufgrund dieser komplizierten Rechtslage wurde US-Bundesrecht zur Anwendung gebracht.

Am 6. März 1857 entschied Bundesrichter Roger B. Taney: „Jede Person afrikanischer Abstammung, ob Sklave oder frei, ist ausgehend von der amerikanischen Verfassung kein Bürger der Vereinigten Staaten. Den Rechtsverordnungen von 1787 zufolge, können Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, weder Freiheit noch Bürgerrechte beanspruchen.“ Demzufolge waren Menschen mit schwarzer Hautfarbe eine „Sache“ im Privatbesitz und hatten keine juristischen Rechte.

Taney setzte sich damit über einen Beschluß des amerikanischen Kongresses von 1820 hinweg, in dem im sogenannten „Missouri-Kompromiss“ zwischen Sklaven und freien Schwarzen unterschieden worden war.

Taney glaubte, mit seiner Entscheidung eine grundsätzliche juristische „Befriedung“ herbeizuführen. Das Gegenteil war der Fall. Überall in den Vereinigten Staaten erhob sich Protest gegen dieses Urteil. Die Dred-Scott-Familie war durch das Verfahren inzwischen zu einem Symbol geworden.

Die Scotts hatten für ihren Prozeß finanzielle Unterstützung von den Kindern seines ersten Besitzers, der Familie Blow, erhalten, die sich öffentlich gegen Sklavenhandel und Sklavenhaltung gestellt hatte. Ihr Oberhaupt, Henry Taylor Blow, wurde während des Bürgerkrieges Republikanischer Kongreßabgeordneter.

Wohl aufgrund des öffentlichen Drucks, veranlaßte Irene Emerson, die inzwischen erneut geheiratet hatte und deren neuer Ehemann ebenfalls ein Gegner der Sklaverei war, die Überstellung der Scott-Familie an Taylor Blow, der den Scotts offiziell am 26. Mai 1857 die Freiheit gab.

Zu dieser Zeit arbeitete Dred Scott als Portier in einem Hotel in St. Louis.

Er starb am 17. September 1858 an Tuberkulose. Seine Frau Harriet überlebte ihn um 18 Jahre. Sie starb am 17. Juni 1876.

Der Fall Dred Scott gilt aus historischer Sicht als Meilenstein auf dem Weg zur Abschaffung der Sklaverei und für die Verankerung der Bürgerrechte in der Verfassung der Vereinigten Staaten. Die offensichtliche Ungerechtigkeit und Willkür sorgte für eine Ausweitung der Anti-Sklaverei-Bewegung. Der Fall Dred Scott gehört zu den juristischen Grundlagen der nach dem Bürgerkrieg beschlossenen Verfassungszusätze 13, 14 und 15, in denen es u. a. heißt: „Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und die daher der Gerichtsbarkeit der besagten Vereinigten Staaten unterstehen, sind Bürger der Vereinigten Staaten und der jeweiligen Staaten, in denen sie leben.“

Das Urteil von Richter Taney gegen die Scotts wurde nachträglich nullifiziert.

Direkte Nachkommen von Dred Scott leben bis heute in St. Louis. 1977 wurde das alte Bundesgericht der Stadt zu einer Gedenkstätte für Dred Scott – unter Anwesenheit seines Urgroßenkels, der damals selbst als Anwalt in St. Louis tätig war.

Im vorigen Jahr, am 6. März 2017, anläßlich des 160jährigen Gedenkens an den Dred-Scott-Prozeß, sprach der Ur-Urgroßneffe von Richter Roger Taney, Charlie Taney, gegenüber den Nachkommen von Dred Scott und allen Afro-Amerikanern eine Entschuldigung „für die furchtbare Ungerechtigkeit“ seines Vorfahren aus. (Copyright © by Dietmar Kuegler)

Meine Bilder zeigen Dred Scott, Fort Snelling (Minnesota), wo er zeitweilig lebte, und seine Kammer hier. Ferner das alte Bundesgericht in St. Louis, den Gerichtssaal, in dem im März 1857 das Urteil fiel, die Statue von Dred und Harriet Scott vor dem Gericht, die Gedenkplakette für die Scotts, das Schild der „Dred Scott Straße“, die am Gerichtsgebäude vorbei führt, und die Gräber des mutigen Sklaven und seiner Frau, die versuchten, mit juristischen Mitteln ihre Freiheit zu erkämpfen.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Juni 2018Die kommende Ausgabe

 

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