Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der Wells Fargo?
Wie war das mit der Wells Fargo?
: Am 18. März 1852 wurde ein Unternehmen gegründet, das zu einer Pionierlegende Nordamerikas wurde: WELLS, FARGO & COMPANY.
Die markanten roten Postkutschen wurden zu einer charakteristischen Erscheinung auf den staubigen Überlandstraßen des gesamten amerikanischen Westens. Spätere Generationen mischten Mythos und Realität zur Magie eines unvergänglichen Abenteuers.
Doch so sehr der im Volksmund bald verkürzte Name „Wells Fargo“ auch Bilder von weiten Prärien, Rocky Mountains, Kistenbretterstädten und Pulverdampf erzeugt – gegründet wurde die Firma in New York, im amerikanischen Osten. Auch wenn die Inhaber von Anfang an den Fernen Westen im Blick hatten.
1848 war als ein Ergebnis des Krieges mit Mexiko Kalifornien Teil der USA geworden. Im selben Jahr war hier Gold entdeckt worden. Der Ferne Westen, bis dahin als wertlose Einöde eingeschätzt, wurde über Nacht zur Schatzkammer. Zigtausende machten sich auf dem Land- und Seeweg auf in den goldenen Staat, der mit seinen Bodenschätzen zudem zur unabdingbaren Quelle nationalen Reichtums wurde.
Regelmäßige Verkehrsverbindungen vom und zum amerikanischen Osten waren erforderlich um zu verhindern, daß die Gebiete an der Pazifik-Küste den USA verloren gingen und unabhängige Staaten gründen würden. Der Transport von Menschen und Gütern wurde mit Blick auf den amerikanischen Westen zur Schlüsselindustrie.
Die Gründer des neuen Unternehmens waren erfahrene Männer. William Fargo, 1818 als ältester Sohn einer vierzehnköpfigen Familie geboren, arbeitete sich zäh nach oben: Postreiter, Storeverkäufer, Buchhalter und Frachtagent und ab 1843 Expressbote einer Transportgesellschaft, deren Teilhaber Henry Wells war. Fargo sollte Kalifornien und die amerikanische Westküste in seinem ganzen Leben nicht zu Gesicht bekommen.
Henry Wells, 1805 im US-Staat Vermont zur Welt gekommen, hatte in verschiedenen kaufmännischen Berufen gearbeitet, bis er sich 1835 mit einer Frachtgesellschaft selbständig machte. Zunächst transportierte er Güter mit Dampfschiffen. Wenige Jahre später richtete er mit mehreren Partnern eine Postlinie im Staat New York ein, wobei er anfänglich selbst als Expressreiter und Kutscher arbeitete. 1842 forderte er mit Kampfpreisen die staatliche US-Post heraus und machte sich einen Namen als einer der schnellsten Transportdienstleister im amerikanischen Osten. 1845 kaufte Wells seine Partner aus und tat sich stattdessen mit William Fargo zusammen, mit dem er eine neue Transportroute zwischen Chicago, Cincinnati und St. Louis gründete – der erste große Schritt nach Westen.
Es war die Partnerschaft von zwei sich ideal ergänzenden Männern, für die Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und solide Finanzen Prinzip waren
1850 gründeten sie mit zwei weiteren Partnern die „AMERICAN EXPRESS COMPANY“, deren erster Präsident Henry Wells wurde. Einer der Teilhaber, John Butterfield, selbst Inhaber einer großen Postkutschenlinie, warnte davor, die geschäftlichen Aktivitäten weiter nach Westen auszudehnen. Er glaubte nicht an die Zukunft des Westens. Aber Wells und Fargo waren entschlossen, in Kalifornien zu investieren. Im März 1852 hatten sie durch Aktienverkäufe das Grundkapital von 300.000 Dollar zusammen und eröffneten den Firmensitz in San Francisco.
Der Goldrausch boomte noch immer. 1851 war Goldstaub für 60 Millionen Dollar an die Ostküste transportiert worden (nach heutiger Kaufkraft über 2 Milliarden Dollar). All diese Transporte beherrschte fast monopolartig die „Adams Express Company“, gegen die Wells und Fargo vom ersten Tag an einen regelrechten Vernichtungskrieg führten.
Zunächst wurden zweimal wöchentlich Transporte mit Dampfschiffen angeboten. Ab November 1852 fuhren die ersten Frachtwagen über die kalifornischen Overlandrouten. Zielstrebig kauften Wells und Fargo kleine lokale Frachtunternehmen auf und schufen binnen zwei Jahren ein Netz von 24 Agenturen in allen wichtigen Golddistrikten. Wells Fargo unterbot regelmäßig alle Preise von Adams-Express. Als der Inhaber dieses Unternehmens sich 1855 an der Börse verspekulierte, brach auch dessen Hausbank zusammen. Tausende von Goldgräbern stürmten in Panik die kalifornischen Banken, um ihre Einlagen abzuheben.
Wells und Fargo konnten die Entwicklung gelassen betrachten: Sie hatten sich frühzeitig aus riskanten Börsengeschäften zurückgezogen. (Gerüchte, daß sie von der New Yorker Börse aus selbst Einfluß auf den Zusammenbruch des kalifornischen Aktienmarktes genommen hatten, verstummten nie.) Die Wells-Fargo-Bank in San Francisco öffnete als erste wieder ihre Pforten, und die Firma übernahm Adams-Express und weitere bankrotte Frachtunternehmen. Ab jetzt war Wells-Fargo die Nr. 1 im westlichen Frachtgeschäft.
Binnen weniger Jahre breitete sich das Netz von Wells Fargo über Oregon, Nevada, Idaho, Montana und weitere Territorien aus. Wells Fargo wurde zu einem wirtschaftlichen und politischen Machtfaktor.
1866 gab es bereits über 200 Niederlassungen im amerikanischen Westen. Andere Kutschengesellschaften versanken in der Bedeutungslosigkeit. Zeitweise beförderte die Wells Fargo Company mehr Post als die US Mail der Regierung. Sie verfügte über Eisenbahnzüge und richtete einen eigenen Sicherheitsdienst ein. Aber geprägt wurde das Bild von Wells-Fargo eindeutig von den roten Kutschen, die meist von der Firma „Abbot & Downing“ in Concord (New Hampshire) gefertigt wurden. (Sie wogen ca. 1 Tonne und boten maximal 9 Passagieren Platz.)
Gegen Ende der Zeit des Wilden Westens umfaßte das Streckennetz der Wells-Fargo fast 39.000 Meilen mit mehr als 2.800 Agenturen, in denen Fracht und Post jeglicher Art und Passagiere abgefertigt wurden. Wells-Fargo-Agenturen (in der Regel waren Banken angeschlossen) wurden zu geschäftlichen Zentren in vielen abgelegenen Regionen.
Zu dieser Zeit lebten die Gründer nicht mehr. Henry Wells, der immerhin einmal in seinem Leben in San Francisco gewesen war, starb 1878 in Schottland. William Fargo verschied 1881 in New York.
Die Geschichte der Wells Fargo Company ist angefüllt mit dramatischen Abenteuern und rücksichtslosen Konkurrenzkämpfen. Mochten die Manager im Hintergrund auch häufig dubiose Geschäftsmethoden angewandt haben – die Helden dieses Unternehmens waren die Männer auf dem Bock der roten Kutschen, die Tag für Tag die unendlichen Weiten des Westens eroberten.
Auch wenn die roten Kutschen nicht mehr fahren: Noch heute ist Wells-Fargo eine wirtschaftliche Macht. Die alte Postkutschenlinie ist eine der größten Banken der Welt. Von der Zentrale in San Francisco aus werden rund 270.000 Angestellte weltweit gesteuert. In fast allen Städten des amerikanischen Westens sind die roten Schilder mit dem Kutschen-Logo zu finden, und in den Metropolen ragen die gewaltigen Glas- und Stahl-Paläste der Wells Fargo in den Himmel.
Die Fotos zeigen Henry Wells und William Fargo, sowie eine historische Postkutschenstation. Aus meiner Sammlung zeige ich a) einen Siegelstempel der „American Express“, zu deren Gründern beide Männer gehörten, aus Longworth (Texas), b) einen Wells-Fargo-Brief, c) ein Wells Fargo Buckle und ein Abzeichen des Sicherheitsdienstes, sowie Fotos der WF-Agentur in Virginia City (Montana), vom heutigen Logo des Unternehmens, eine Concord-Kutsche im firmeneigenen Museum in San Francisco und den Eingang der Firmenzentrale in Kalifornien, eine Wells-Fargo-Filliale in Waco (Texas) und das gigantische Finanzzentrum in Salt Lake City (Utah).
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de