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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Ned Buntline?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Ned Buntline?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Vor 197 Jahren wurde in Harpersfield (New York) ein Mann geboren, den man als die lebendige Verkörperung des Lügenbarons Münchhausen ansehen könnte – wenn er denn dessen menschliche Liebenswürdigkeit besessen hätte. Aber dieser Mann war nicht nur ein Schwindler, sondern auch ein Hochstapler, ein Dieb, ein Bankrotteur, ein Aufrührer, vielleicht sogar ein Mörder – aber er war auch ein begnadeter Autor. Sein Name war Edward Z. C. Judson. Der Welt bekannt wurde er als „Ned Buntline“. Man kann ihn heute als den König der Heftromanautoren beschreiben. Er war völlig skrupellos; keine Lüge war ihm zu dreist, keine Selbstpräsentation zu unverschämt. Moralische oder ethische Regeln kannte er nicht.

Sein Leben war angefüllt mit kleinen und großen Skandalen, und alle eigenen Angaben, die von ihm überliefert sind, sind im Zweifel falsch. Sicher ist aber: Seine Schriften erreichten Millionenauflagen, und man kann ihn mit Fug und Recht als den „Entdecker“ von "BUFFALO BILL" CODY bezeichnen, den berühmtesten Interpreten der amerikanischen Pioniergeschichte, der als wahrer Held des Wilden Westens zum Weltstar wurde.

Edward Judson stammte aus einer bürgerlichen Familie. Sein Vater war Jurist. Mit 13 Jahren lief der Junge von daheim weg und heuerte als Schiffsjunge an. Schon 1838 veröffentlichte er abenteuerliche Kurzgeschichten in Magazinen wie „The Knickerbocker“. Ein früher Erfolg war die Geschichtenserie „The Mysteries and Miseries of New York“.

Ab 1844 erschienen seine Stories meistens unter dem Pseudonym „Ned Buntline“ – „Buntline“ ist der englische Seemannsausdruck für das untere Tau eines quadratischen Segels.

Nach seinen Jugendjahren in der Marine, verlegte er sich zeitweise ganz aufs Schreiben, gründete mehrfach eigene Dime-Novel-Magazine, ging allerdings jedesmal pleite. Bei Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges meldete er sich freiwillig zu den berittenen Schützen New Yorks, wurde als Sergeant angenommen und wenig später wegen Trunkenheit unehrenhaft entlassen.

1843 heiratete er in Florida zum erstenmal, Seberina Escudero. Aufgrund Buntlines unsteten Lebenswandels, war das Ehepaar oft getrennt. Einige von Buntlines verlegerischen Aktivitäten waren das „Ned Buntline’s Magazine“, das „Western Literary Journal“, „Buntline’s Own“, „Western Literary Journal & Monthly Magazine“ – alle scheiterten. Jedesmal mußte Buntline sich vor seinen Gläubigern in Sicherheit bringen. Zeitweise lebte er in Nashville (Tennessee), zeitweise in Kentucky, zeitweise in Missouri. Als er im Januar 1846 seine Frau in Kentucky aufsuchen wollte, war diese wenige Tage vorher gestorben und bereits begraben. Buntline ging nach Ohio, scheiterte erneut mit einem eigenen Magazin und flüchtete wieder nach Tennessee.

Die Geschichten, die er für andere Verleger schrieb, waren allerdings äußerst erfolgreich, so daß er immer wieder viel Geld verdiente.

In Tennessee begann er im Frühjahr 1846 eine Affäre mit einer jungen Frau. Deren Mann forderte ihn zum Duell. Buntline erschoß ihn und wurde vor Gericht gestellt. Der Bruder des Getöteten versuchte, ihn im Gerichtssaal umzubringen. In dem allgemeinen Durcheinander konnte Buntline flüchten und wurde wenig später von einem Lynchmob gefaßt, der ihn am Vorbaudach eines Hauses aufhängte. Wie durch ein Wunder überlebte Buntline diese Prozedur, wurde von Freunden aus der Schlinge geschnitten und entkam.

Ab 1847 schrieb er Piraten-Romane. Er zog nach New York und knüpfte hier Kontakte in die Unterwelt. 1849 gehörte er zu den Anstiftern des sogenannten „Astor Place Riot“, als amerikanische Nationalisten gegen ein Theater vorgingen, in dem ein Shakespeare-Stück aufgeführt wurde. Der Hauptdarsteller war ein englischer Schauspieler. Wenige Straßenzüge weiter wurde dasselbe Stück aufgeführt, mit einer rein amerikanischen Besetzung.

Die „Nativisten“, wie sie sich schon damals nannten, protestierten gegen die englischen Schauspieler. Es kam zu Zusammenstößen mit der Nationalgarde New Yorks. Mindestens 25 Menschen wurden getötet. Buntline – sein Leben lang ein fanatischer Gegner europäischer Einflüsse in den USA – landete für ein Jahr im Gefängnis.

Nach seiner Entlassung widmete er sich wieder dem Schreiben und war extrem erfolgreich. Seine Geschichten, die in Wochenmagazinen erschienen, brachten ihm jährlich um die 20.000 Dollar ein (nach heutiger Kaufkraft weit über 600.000 Dollar).

Obwohl er selbst Alkoholiker war, reiste er durch das Land und hielt Vorträge für die Anti-Alkohol-Bewegung – weil er gut dafür bezahlt wurde.

Auf einer dieser Tourneen traf er in Fort McPherson (Nebraska) auf "Wild Bill" Hickok und wollte ihn für eine Geschichte interviewen. Hickok hasste es, von Fremden angesprochen zu werden. Er zog seinen Revolver und forderte Buntline auf, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Buntline zog es vor, sich nicht mit Hickok anzulegen. Kurz danach soll er William Cody getroffen haben, den er weitaus interessanter fand als Hickok.

Einer Anekdote zufolge, wollte Buntline den bekannten Scout Al Sieber interviewen und zum Helden einer Dime-Novel-Serie machen. Sieber winkte ab und schickte den Autor zu „Bill Cody“, der irgendwo unter einem Frachtwagen lag und einen Rausch ausschlief. In anderen Geschichten wird behauptet, daß Buntline und Cody sich in der Eisenbahn trafen und ins Gespräch kamen. Wie auch immer: Cody war ein angesehener Scout und hatte kurz vorher an einem Kampf mit Sioux und Cheyenne teilgenommen. Er unterhielt sich mit Buntline und vergaß ihn danach wieder. Aber am 23. Dezember 1869 erschien Buntlines Geschichte „BUFFALO BILL, KING OF THE BORDER MEN“. Es war der Beginn einer Erfolgsserie. Aus den Dime Novels wurde ein Theaterstück. Buntline überredete William Cody, in den Osten zu kommen und sich auf Theaterbühnen selbst darzustellen. Ab 1872 stand Cody neben Buntline, dem Abenteurer „Texas Jack“ Omohundro und der italienischen Ballerina Guiseppina Morlacchi auf der Bühne. Noch war er Armee-Scout, aber er erkannte schnell, welche Möglichkeiten das Show-Geschäft bot. Irgendwann setzte er den gierigen und betrügerischen Buntline vor die Tür und vermarktete sein Leben selbst. Das Resultat war die größte Wild West Show aller Zeiten. Der Rest ist Geschichte…

Ned Buntline setzte seine Arbeit als Autor von Abenteuergeschichten aller Genres fort. Hätte es damals in den USA eine „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ gegeben, wie hier in Deutschland im 20. Jahrhundert, wäre er ständig auf dem Index gelandet, denn in seinen Erzählungen verherrlichte er das Verbrechen, glorifizierte die Outlaws. Einige junge Männer und Frauen, die wegen Räubereien und anderer Straftaten vor Gericht landeten, gaben an, von Buntlines Geschichten beeinflußt worden zu sein.

In späteren Jahren verbreitete er weitere Legenden über sich selbst, behauptete, „Chief of Scouts“ in den Indianerkriegen gewesen zu sein, legte sich den Rang eines „Colonels“ zu, berichtete von mehr als 20 Verwundungen in Schlachten und Gefechten, die er überlebt habe. Seine phantastischen Erzählungen vermischten sich zunehmend mit der Realität.

Eines seiner verbreitetsten Märchen war, daß er von der Firma COLT einen Single Action Army Revolver mit extra langem Lauf – 12 bis 16 Inches – habe fertigen lassen und den berühmten Gesetzesvertretern Wyatt Earp, Bat Masterson, Bill Tilghman, Charlie Bassett und Neal Brown überreicht habe. Diese Geschichte wurde von Stuart N. Lake, dem Biographen Wyatt Earps, aufgegriffen, und so fand der „Buntline Special“ Eingang in die wilde Wildwest-Geschichte.

Seither hat eine ganze Generation Historiker der Frontier-Zeit jahrzehntelang mit dieser Behauptung gekämpft. Es wurden alte Zeitungen gewälzt, Korrespondenzen durchforstet, Dokumente gelesen, die Akten der Firma Colt recherchiert – in denen fast jede Waffe registriert ist. Das Resultat war – nichts.

Tatsache ist, daß die Firma Colt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zahlreiche Exemplare ihres berühmtesten Revolvermodells „Peacemaker“ mit extralangen Läufen herstellen ließ. Larry Wilson gibt in seinem Standardwerk „The Book of Colt Firearms“ die Fertigung einiger Dutzend dieser Modelle an. Der Name „Buntline“ – der im Volksmund bis heute Verbreitung fand – taucht in keinem Zusammenhang damit auf. Wyatt Earp hat vielleicht zeitweise tatsächlich ein solches Modell besessen, aber er hat es definitiv nicht von Ned Buntline erhalten, den er wahrscheinlich niemals getroffen hat, noch ist diese Waffe bisher irgendwo aufgefunden worden. (Sie wäre leicht zu identifizieren gewesen, da angeblich der Name Ned Buntlines eingraviert gewesen sein soll.)

Buntline, der insgesamt sechsmal verheiratet war und sechs Kinder hinterließ, war zeitweilig der höchstverdienende und wohlhabendste Autor der USA. Als er aber am 16. Juli 1886 einem Herzinfarkt erlag, mußte seine Frau das luxuriöse Haus in Stamford (New York) verkaufen, um seine Schulden bezahlen zu können.

Die Fotos zeigen Ned Buntline in einem Fantasiekostüm, sowie zusammen mit Buffalo Bill, Texas Jack und Guiseppina Morlacchi auf der Theaterbühne. Ferner mehrere Titelbilder der unzähligen Werke, die er schrieb, sein Grab und die Replika eines „Colt-Buntline“-Revolvers (aus meiner Sammlung), der großen Legende seines Lebens, ohne den sein Name vermutlich schon vergessen wäre; daneben zum Vergleich ein Standard-Modell „Peacemaker“ mit 4,75 Inch Lauf.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2018Die aktuelle Ausgabe

 

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