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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »Minnesota-Aufstand«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem »Minnesota-Aufstand«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Heute vor genau 152 Jahren begann der größte Indianerkrieg westlich des Mississippi, der als „Minnesota-Aufstand“ oder auch als „Dakota-Krieg“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist – ein Konflikt, der in Minnesota noch heute für Emotionen sorgt.

Hintergründe und Ablauf dieses Krieges sind zu komplex, um sie in einem kurzen Artikel umfassend zu schildern. Die Ereignisse können nur grob umrissen werden.

Am 17. August 1862 töteten drei junge Dakota-Krieger 5 weiße Siedler, auf deren Farm sie Lebensmittel gestohlen hatten. In der folgenden Nacht beschloß eine Ratsversammlung des Stammes, zunächst gegen die Stimme des Häuptlings Little Crow, die Siedler im Minnesota River Valley anzugreifen und zu vertreiben. (Die Dakota werden häufig auch als “Östliche Sioux” bezeichnet.)

Grundlage der Auseinandersetzung war ein Vertrag zwischen den Dakota und den USA aus den frühen 1850er Jahren, der dem Stamm sichere Reservationsgrenzen und eine geregelte Versorgung garantierte. Dieser Vertrag wurde niemals vollständig ratifiziert und eingehalten. Ab 1858 wurden den Dakota mehr und mehr Ländereien widerrechtlich abgenommen. Die Indianerbehörde in Washington, ihre Agenten und private Händler unterschlugen große Teile der vereinbarten Lebensmittellieferungen, so daß die Dakota in immer größere Not gerieten. Dem Händler Andrew J. Myrick, der sich weigerte, den Indianern Lebensmittel auf Kredit zu geben, wird der Ausspruch zugeschrieben, „Wenn sie hungrig sind, sollen sie Gras oder ihre eigenen Exkremente fressen.“

Little Crow schrieb in einem Brief an General Henry Sibley später: „Ich werde Ihnen den Grund für diesen Krieg nennen. Die Schuld trifft Major Galbrait (der Indianeragent). Wir hatten einen Vertrag mit der Regierung vereinbart, in dem wir große Zugeständnisse gegen sehr kleine Leistungen gemacht haben, und nicht einmal diese haben wir erhalten, so daß unsere Kinder verhungern…“

Forderungen der Häuptlinge, die zugesagte Versorgung zu erfüllen, wurden ignoriert. Die im August 1862 beginnenden Überfälle auf die Reservationsagenturen – deren Lager gut gefüllt waren – und auf weiße Siedler erfolgten aus blanker Not.

Für die Siedler – die meisten waren eingewanderte Deutsche – kam der Aufstand der Sioux unerwartet, da sie bis dahin in friedlicher Nachbarschaft mit ihnen gelebt hatten. Zudem waren die Siedler völlig unschuldig an der Korruption der Indianerbehörde. Man schätzt, daß weit über 800 weiße Farmer (Männer, Frauen und Kinder) bei dem Aufstand ums Leben kamen.

Als die versprochenen Lebensmittellieferungen endlich am 16. August 1862 in St. Paul eintrafen, war es zu spät. Am folgenden Tag begann der Aufstand der Dakota.

Die aufgebrachten Indianer griffen willkürlich alle Farmen und Siedlungen im Umfeld ihrer Reservation an. Es kam zu entsetzlichen Greueln. Trecks verzweifelt flüchtender Siedler versuchten, sich in Fort Ridgely, Fort Abercrombie und Städten wie New Ulm in Sicherheit zu bringen.

Am 18. August starb auch der berüchtigte Händler Myrick. Die aufgebrachten Sioux hatten seiner Leiche Gras in den Mund gestopft. Am 19. August erfolgte der erste Angriff auf New Ulm. Am 20. und 22. August griffen die Dakota Fort Ridgely an. Es gelang ihnen, die Truppen hier in die Defensive zu bringen, so daß die umliegenden Siedlungen zunächst nur sehr begrenzt entlastet oder geschützt werden konnten.

Da zur selben Zeit im Osten des Landes der amerikanische Bürgerkrieg tobte, gab es nur wenige regulären Truppen in Minnesota. Es waren überwiegend Milizeinheiten unter dem Kommando von General Henry H. Sibley, die den Kampf mit den Aufständischen aufnahmen.

Am 2. September gewannen die Dakota die Schlacht von Birch Coulee, als sie eine Abteilung von 150 Soldaten 16 Meilen entfernt von Fort Ridgely attackierten. Die eingeschlossenen Soldaten wurden erst durch ein Entsatzkommando von 240 Mann aus dem Fort gerettet.

Der Warenverkehr auf den Flüssen und wenigen Überlandwegen Minnesotas kam zum Erliegen. Die Regierung sah sich gezwungen, ein eigenes Militärdepartment (Dpt. of the Northwest) unter dem prominenten General John Pope einzusetzen, um die Region wieder unter Kontrolle zu bringen. Mehrere neue Freiwilligenregimenter wurden aufgestellt.

Nach anfänglichen Erfolgen der Dakota, gerieten die Indianer allerdings im Laufe der folgenden Wochen und Monate zunehmend unter Druck. Am 23. September wurden sie in der Schlacht von Wood Lake schwer geschlagen. Drei Tage später kapitulierten mehrere Kriegergruppen und ließen 269 gefangene Amerikaner frei.

Bis zum Dezember 1862 hatten Sibleys Truppen mehr als 1.000 Dakota gefangengesetzt und interniert. Ein Großteil der Indianerfamilien flüchtete nach South Dakota und suchte Schutz bei ihren westlichen Verwandten.

In Minnesota setzte eine gnadenlose Bestrafungsaktion gegen die am Aufstand beteiligten Krieger ein. In 498 Militärgerichtsverfahren wurden 303 gefangene Krieger zum Tode verurteilt. Alle Dakota-Gruppen, die kapitulieren mußten, wurden nach Nebraska und South Dakota vertrieben. Auch Stämme, die gar nichts mit dem Aufstand zu tun hatten – wie etwa das Volk der Ho-Chunk unweit von Mankato – wurden aus Minnesota verjagt.

Häuptling Little Crow flüchtete im September zunächst nach Kanada, kehrte kurz darauf nach Minnesota zurück und wurde am 3. Juli 1863 in der Nähe von Hutchinson beim Beerenpflücken von einem Farmer erschossen. Sein Schädel und sein Skalp wurden in St. Paul öffentlich ausgestellt. (Beides wurde 1971 an seinen Enkelsohn zurückgegeben.)

Präsident Lincoln selbst schaltete sich an die Militärtribunale in Minnesota ein und prüfte persönlich sämtliche 303 gefällten Todesurteile. Er wollte letztlich alle Verurteilten begnadigen, wurde aber aus militärischen und politischen Kreisen Minnesotas davor gewarnt. In Minnesota standen Parlamentswahlen bevor, und der amtierende Gouverneur Alexander Ramsey, sowie andere führende Republikaner erklärten dem Präsidenten, daß sie die Wahlen verlieren würden, wenn er die Todesurteile aufheben würde.

Lincoln reagierte verärgert: „Ich werde niemanden wegen Wählerstimmen aufhängen lassen.“

Schließlich erklärte er sich nach Durchsicht der Akten bereit, 39 Todesurteile wegen Mordes, Vergewaltigung und Brandschatzung zu bestätigen; 264 Krieger wurden begnadigt.

Es gibt gar keinen Zweifel, daß Hunderte von unschuldigen deutschen Siedlern in Minnesota auf barbarische Weise von Dakotas erschlagen wurden. Allerdings wurde die eigentliche Schuld für den Aufstand, das Versagen und der blanke Betrug durch Regierungsbehörden, aus Angst vor dem öffentlichen Aufschrei nach Rache nicht berücksichtigt.

Die Regierung beschloß hohe Entschädigungszahlungen an Siedler in Minnesota. Gleichwohl erlitten die Republikaner bei den Wahlen von 1864 erhebliche Rückschläge, wofür sie Lincolns Begnadigungen verantwortlich machten.

Am 26. Dezember 1862 wurden in Mankato 38 Dakota-Krieger zum Galgen geführt (dem 39. war ein Aufschub gewährt worden). Es war die größte Massenhinrichtung in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Unmittelbar nach den Exekutionen schaffte es ein dubioser Mediziner, einigen der Leichen die Haut abzuziehen, bevor sie bestattet wurden. Die Häute wurden später in Mankato verkauft. Nach der Beerdigung wurde das Massengrab noch einmal geöffnet, weil diverse Universitäten und Labore Skelette zu Forschungszwecken verlangten. (Es war ein übliches Verfahren in jener Zeit, die Leichen von exekutierten Straftätern, Landstreichern und anderen Heimatlosen auf diese Weise wissenschaftlich zu verwerten.)

Der Leichnam von „Stands on Clouds“ gelangte auf diese Weise an Dr. William Worrall Mayo, einen Vorfahren des Gründers der heute weltberühmten Mayo-Klinik. Seine Söhne erhielten an diesem Skelett ihre ersten medizinischen Unterweisungen. Die Knochen blieben bis Ende des 20. Jahrhunderts im Besitz der Mayo-Klinik, die sie dann nach dem „Native American Graves Protection und Repatriation“-Gesetz an die Nachkommen von „Stands on Clouds“ zurück gab.

Sibleys Armee von ca. 2.000 Soldaten verfolgte die flüchtigen Dakota-Krieger noch bis September 1863. (Schlacht von Big Mound, Schlacht von Dead Buffalo Lake, Schlacht von Stony Lake und Schlacht von Whitestone Hill).

Auch die von General Alfred Sully 1864 durchgeführte „Northwest Indian Expedition“ in South Dakota die zu den Kämpfen von Killdeer Mountain und in den Badlands führte, gehörte noch zu den „Nachhutgefechten“ des Minnesota-Aufstands.

Nachdem es zunächst eine generelle Vertreibung der Indianer aus Minnesota gegeben hatte, wurde schließlich die Lower Sioux Agentur in der Nähe der Stadt Morton neu belebt. Eine kleine Sioux-Reservation wurde allerdings erst in den 1930er Jahren wieder eingerichtet.

Anfangs kehrten vor allem jene Dakota nach Minnesota zurück, die den Aufstand abgelehnt und sich nicht beteiligt hatten. Es waren Gruppen unter Häuptlingen wie Good Thunder, Wabasha und Bluestone. Sie wurden vor allem von dem katholischen Bischoff Henry B. Whipple unterstützt und geschützt; denn Ressentiments gegen indianische Ansiedlungen gab es damals in ganz Minnesota.

Heute gibt es wieder rd. 61.000 Indianer in Minnesota (ca. 1,1% der Bevölkerung des Staates). Sie sind gut etabliert und betreiben einige große Spielkasinos.

Der Aufstand gehört allerdings bis heute in Minnesota zum kollektiven Gedächtnis der alteingesessenen Bevölkerung und der hier ansässigen Indianer. Beide Seiten haben ihre eigenen Erinnerungen, in die sich unvermindert tiefe Bitternis mischt. Da sind die Nachkommen der unschuldigen Siedler, die während des Krieges ums Leben kamen, und da sind die Nachkommen der 38 gehängten Indianer, die alljährlich der Hinrichtung in Mankato gedenken. Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis die Ursachen des Aufstandes, die gebrochenen Verträge und die dadurch ausgelöste Hungersnot, offiziell eingeräumt wurden.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2018Die aktuelle Ausgabe

 

 

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