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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der Route 66?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der Route 66?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Sie ist sicherlich eine der berühmtesten Straßen dieser Welt: Am 11. November 1926 wurde die ROUTE 66 in den USA offiziell eröffnet. Aber erst im Jahr darauf wurden die Straßenschilder aufgestellt, weil die Nummerierung zunächst umstritten war. Schon in ihrer aktiven Zeit war diese Straße eine Legende, die „Mother Road“ verlief von Chicago im Bundesstaat Illinois durch Missouri, Kansas, Oklahoma, Texas, New Mexico und Arizona. Sie endete in Santa Monica im Bundesstaat Kalifornien. Sie hatte eine Gesamtlänge von knapp 2.500 Meilen, fast 4,000 km. Sie wurde in der neueren Geschichte der USA so bedeutend und mythenumwoben wie der Oregon Trail, die Planwagenstraße nach Westen, im 19. Jahrhundert.

Über diese Straße wurden Bücher und Songs geschrieben und Filme gedreht.

Allerdings war sie nicht, wie die Legende erzählt, die erste transkontinentale Straße, die Ost und West der USA miteinander verband. Das war 1912 der Lincoln Highway, dem heute über weite Strecken die Interstate 80 folgt.

Aber die Route 66 war gewissermaßen der „Star“ des in den 1920er Jahren entwickelten Highway-Systems auf dem Weg der USA zur „Auto-Nation“.

Die Überlegungen für ein transkontinentales Straßennetz begannen schon im 19. Jahrhundert. Bereits 1857 hatte das Topographische Korps den Auftrag erhalten, Wagenstraßen durch die südwestlichen Wüstengebiete zu vermessen. Hier wurden später sogar für ein Jahr Kamele als Lasttiere eingesetzt. Einer dieser Wege wurde im 20. Jahrhundert Teil der Route 66.

Vor der Übernahme eines nationalen Highway-Systems in die Verwaltung der Bundesregierung, wurden viele ländliche Straßen von Privatunternehmen angelegt und unterhalten. Bei der Anlage der Route 66 wurden einige dieser Strecken miteinbezogen. Dazu gehörte beispielsweise die „Lone Star Route“, die von Chicago kommend durch St. Louis verlief und bis nach Louisiana führte. Ferner gab es die „National Old Trails Road“, die bis Los Angeles reichte: die Route 66 folgte ihr nur bis New Mexico. Auch der sogenannte „Postal Highway“ von Oklahoma City bis Amarillo (Texas) wurde mit einbezogen.

Wie in Amerika nicht ungewöhnlich, war es eine private Initiative von zwei Unternehmern, Cyrus Avery aus Tulsa und John Woodruff aus Springfield (Missouri), die die südliche Transkontinentalverbindung anregten und vorantrieben. Der Grundgedanke war, die vorhandenen Teilstrecken von Ost nach West miteinander zu verbinden und sie gegebenenfalls zu verkürzen. Dabei sollte die Route auch die Hauptstraßen der Ortschaften auf dem Weg mit einbeziehen, um „Raststationen“ zu schaffen. Die Anlage der endgültigen Strecke begann 1925, die Nummerierung erfolgte erst zwei Jahre später, nach heftigem Streit im Kongreß über das Nummernsystem. Zunächst war als Nummer „60“ vorgesehen. Dagegen protestierten verschiedene Abgeordnete, die diese „runde Nummer“ anderen Highways vorbehalten wollten. Noch 1926 erschien die offizielle Straßenkarte von Missouri mit der Bezeichnung „US 60“. Der Straßenbauingenieur John Page schlug schließlich als Kompromiss die Nummer 66 vor, die aber erst 1927 endgültig festgeschrieben wurde.

Nachdem das vollständige Bundesstraßen-System gesetzlich abgesichert war, rief Cyrus Avery die „US Highway 66 Association“ ins Leben, die für eine vollständige Asphaltierung der Strecke eintrat – die bis dahin nur eine planierte Schotterstraße war. Es ging darum, die Route für den Privatverkehr attraktiv zu machen. Die Vereinigung begann eine erfolgreiche Öffentlichkeitskampagne. Rallys von Los Angeles nach Chicago machten Schlagzeilen in der Presse. Ein Wettlauf von der West- zur Ostküste über die Route 66 wurde von Prominenten wie Will Rogers begleitet, der die Gewinner im Madison Square Garden in New York empfing und dem Sieger den unerhörten Preis von 25.000 Dollar aushändigte. Der erste Gewinner war ein Cherokee-Indianer aus Oklahoma, Andy Harley Payne. Mit großen Zeitungsanzeigen wurde für die Route 66 als schnellste Verbindung mit der Westküste geworben, etwa als die Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles stattfanden. 1938 war die Strecke der erste transkontinentale Highway, der vollständig asphaltiert war. Auf diese Weise wurde die Route 66 bereits in den ersten Jahren ihrer Existenz zu einer Überlandstraße mit ganz besonderer Aura.

Heute kaum noch vorstellbar: Die USA verfügten zu Beginn des Automobilzeitalters über ein äußerst bescheidenes Netz an Überlandstraßen, weshalb die Route 66 so populär wurde. Die Interstates, die sich heute wie ein Spinnennetz über das Land ausbreiten und die Verkehrsströme auf diesem gewaltigen Kontinent lenken, entstanden erst unter der Präsidentschaft Dwight D. Eisenhowers, der sich von den Autobahnen Europas hatte inspirieren lassen.

In der großen Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren, die mit vernichtenden Staubstürmen im Westen und verheerenden Überflutungen in einigen Südstaaten einherging und Zigtausende von Farmer in den Ruin trieb, wurde sie zum Schicksalsweg für eine Karawane verzweifelter Menschen, die nach Kalifornien emigrierten, um sich als Orangen- und Zitronenpflücker zu verdingen. Die „Okies“, wie vor allem die Oklahoma-Farmer genannt wurden, die mit ihren klapprigen alten Pickup-Trucks über die „66“ zogen, wurden zu einem Symbol der Verzweiflung und Thema von John Steinbecks epischen Roman „Früchte des Zorns“, der die Route 66 in die Hochliteratur einführte.

Rechts und links der Straße wuchsen bestehende Gemeinden. Es entstanden Tankstellen, Diners, Motels, Autowerkstätten und andere Geschäfte, die die Reisenden versorgten. Damit wurde die Route 66 zu einem Wirtschaftsfaktor.

Als in den 1960er Jahren die Interstäte 40 die alte Route nach und nach ersetzte, leisteten die Bewohner der Landstriche, durch die die Straße führte, heftigen Widerstand. Aber die Zukunft ließ sich nicht aufhalten, 1985 wurde die Route 66 offiziell aus dem Highway-System entfernt.

Das stürzte viele der kleinen Gemeinden, die von dieser Straße gelebt hatten, in ein ökonomisches Desaster.

Die betroffenen Ortschaften schafften es schließlich, daß erneut Schilder aufgestellt wurden, die auf die „Historic Route 66“ hinwiesen. Zwar versandete die Strecke teilweise, aber noch immer sind Teilstücke als Nebenstraßen erhalten. Hier blüht die Nostalgie. Die alten Diners mit ihren runden Plastiktischen sind noch immer da. Music-Boxen spielen die Songs der 1940er und 1950er Jahre. In den Motels findet man die Atmosphäre der alten Tage. Und noch immer befahren Kolonnen von Harley-Davidson-Fahrern die letzten Stücke der Route 66. Konvois von Ford T-Modellen und Straßenkreuzern fahren in nostalgischen Rallys.

Gut erhaltene Teile der Route sind als „National Scenic Byways“ ausgeschildert (landschaftlich besonders schöne Nebenstrecken). Einige Staaten haben weite Strecken als „US Bicycle Routes“ designiert, „Bundesfahrradwege“.

Die Historische Route 66 Vereinigung hat ihren Sitz in Seligman, Arizona, einer Gemeinde, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Vorsitzender ist der Friseur Angelo Delgadillo, inzwischen 91 Jahre alt. In seinem alten Salon, der mit Souvenirs gepflastert ist, schneidet er gelegentlich noch immer Reisenden auf der Route 66 die Haare, wie vor Jahrzehnten, als die Strecke noch die „Mainstreet Amerikas“ war.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2019Die kommende Ausgabe

 

 

 

 

Kommentare  

#1 Mainstream 2019-04-14 13:17
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Ich las FRÜCHTE DES ZORNS 1998, als mir die Idee kam, mir jeden Anhaltspunkt zu notieren, wo die Familie Joad Rast machte, oder durch fuhr.
Ein Jahr später sind zwei Freunde und ich die
Strecke von Chicago zur Westküste gefahren. Uns ist dabei aufgefallen, dass die Strecken der 'New 66' und 'Historic 66' etwas anders verliefen, als John Steinbeck das im Roman beschrieben hat.
Letztendlich ist dies wahrscheinlich auch der Legendenbildung geschuldet. Jedenfalls kamen wir in Winkel dieses Landes, die unbeschreiblich, weil unwirklich waren.
Ich wollte die Reise auf Super 8 dokumentieren, aber es scheiterte in Chicago an der Übergabe des Filmmaterials. Schade, es hätte Dieter Kuegler gefallen. Ich werde auf alle Fälle diese Reise wiederholen.

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