Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Jeremiah Johnston?
Wie war das mit Jeremiah Johnston?
: Der wahre "Jeremiah Johnson" starb am 21. Januar 1900. So gut wie Robert Redford, der ihn auf der Leinwand darstellte, hat er nie ausgesehen. Und fast der gesamte Inhalt des Films, so wie der Inhalt der Bücher, die dem Epos zugrunde lagen, war gelogen – man kann es natürlich gnädig „Legende“ nennen. Und wenn man besonders liebenswürdig ist, „Mythos“.
Jeremiah Johnston (mit „T“) war weder ein „Killer von Crow-Indianern“, noch hat er je in seinem Leben eine menschliche Leber verzehrt – was angeblich seinen Spitznamen „Liver Eating“ begründete. Die Romantik des Redford-Films war ebenfalls weit von der Realität entfernt. Aber das alles waren „gute Geschichten“, die zur Folklore des „Wilden Westens“ paßten.
Also hier in aller Kürze ein bißchen Wahrheit, wie sie in dem sorgfältig recherchierten Buch „The Avenging Fury of the Plains“ von Dr. Dennis John McLelland dokumentiert ist. Hier wird das populärste Buch über Johnston, „Crow Killer“ von Robert Bunker und Raymond Thorp, als reines Märchen entlarvt. Nicht ganz verwunderlich: Robert Bunker war ein begnadeter Geschichtenerzähler, aber kein Historiker.
Jeremiah wurde im Juli 1824 als eines von 5 oder 6 Kindern des Ehepaars Isaac und Eliza Garrison in New Jersey geboren. Die Familie hatte entweder irische oder schottische Wurzeln. Der Vater war ein Alkoholiker, der seine Kinder an Nachbarfarmen verlieh, um sie für seine Schulden arbeiten zu lassen. Besonders sein kräftig gebauter Sohn wurde von ihm gnadenlos ausgenutzt und ständig brutal mißhandelt. Man geht heute davon aus, dass die stete Gewaltbereitschaft von Jeremiah Garrison-Johnston auf die Erfahrungen in seiner Kindheit zurückgeht. Mit 12 oder 13 Jahren lief er von daheim fort und heuerte auf einem Walfangschiff an. Während des amerikanisch-mexikanischen Krieger (1846-48) meldete er sich zur US-Navy. Hier schlug der junge Mann einen Leutnant bewußtlos, der einen Kameraden mißhandelt hatte. Nach 30 Tagen Arrest erhielt er Freigang – und kehrte nicht mehr zurück. Er zog nach Westen.
Das vorstehend Beschriebene spielte sich zu genau der Zeit ab, in der der Redford-Film und das Bunker-Buch behaupten, das Johnstons indianische Frau “Swan” und sein Sohn von Crow-Indianern ermordet wurden. Danach begann Johnstons Rachefeldzug gegen die Crow, bei dem er angeblich Dutzende von Indianern tötete und skalpierte. Alles erfunden.
Nichts davon stimmt. Tatsächlich war Johnston mit den Crow befreundet, und einen Häuptling, der ihn gnadenlos verfolgte, hatte es nie gegeben.
Den Namen „Johnston“ legte er sich ebenfalls erst in dieser Zeit zu, weil er befürchtete, dass er als Deserteur unter seinem richtigen Namen „Garrison“ gesucht werden könnte. Johnston zog durch das nördliche Wyoming und erreichte Anfang der 1860er Jahre die Goldfelder des westlichen Montana, wo er nach Erz suchte, Fallen stellte, Pelze verkaufte, für die Goldsucher jagte, schwarz Whiskey brannte und verkaufte, als Holzfäller arbeitete und zeitweise als Scout für General Nelson Miles ritt. Er freundete sich hier mit einem anderen pittoresken Mann an, John X. Beidler, dem Henker der Vigilanten, der Bürgerwehr der Goldfelder und späteren Deputy US-Marshal von Montana.
Johnston und Beidler waren durch illegale Whiskey-Geschäfte miteinander verbunden. Entgegen der freundlichen Legende, war auch Johnston – wie sein Vater – schwerer Alkoholiker und genoß enorme Mengen des schwarzgebrannten Brandys selbst.
Die Johnston-Märchen, die in Romanen und Filmen ausgeschlachtet wurden, begannen in dieser Zeit und beruhen samt und sonders auf „Trappergarn“, fantasievollen Lagerfeuergeschichten der Männer aus den Bergen und Wäldern. Ob er selbst oder einer seiner Freunde die Geschichte aufbrachte, er habe massenhaft Crow-Indianer erschlagen, weiß niemand mehr. Angeblich war er 1868 oder 1870 mit einem Holzfällerteam in Wäldern auf dem Land der Sioux unterwegs, um Feuerholz für ein Dampfschiff zu schlagen, als sie von Indianern angegriffen wurden. Dabei habe Johnston einem Krieger sein Messer in die Seite gestoßen, die Klinge mit einem Stück der Leber herausgezogen und diese roh heruntergeschlungen – eine freie Erfindung.
Im Winter 1863 wurde Johnston in der H-Kompanie der 2nd Colorado Cavalry (4th Brigade, 1st Division) als Scout angestellt. Nur fünf Tage später desertierte er. Es wird vermutet, dass er eine Vorauszahlung auf seinen Sold erhielt und dieses Geld umgehend in Whiskey umsetzte.
Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und wurde erstaunlicherweise nicht disziplinarisch bestraft. Es tobte der Bürgerkrieg, jeder Mann wurde gebraucht. Er nahm seinen Dienst auf und wurde im Oktober 1864 in Kämpfen mit Konföderierten bei Westport und Newtonia (Missouri) in Bein und Schulter geschossen. Am 23. September 1865 wurde er aus dem Dienst entlassen. Er ritt wieder nach Montana, machte Geschäfte in den Goldfeldern, arbeitete als Frachtwagenfahrer – und vertrank regelmäßig all sein Geld in Fort Benton. Mit seinem alten Freund Beidler ging er als Holzfäller in die Wälder am Missouri. Sie verkauften Feuerholz und Wildpret an die Goldsucher, an die Flußdampfer und die Eisenbahn.
Es war ein gefährliches Geschäft. Die Wälder gehörten zum Land der Sioux, die die Eindringlinge verfolgten. Überfälle auf Holzfällerlager fanden fast täglich statt. Zeitgenossen berichteten, dass Johnston immer wieder in Fort Benton auftauchte und Skalps, Finger und andere menschliche Trophäen von Indianern verkaufte. Hartgesotten, brutal und ein rücksichtsloser Kämpfer war er – hier stimmt die Legende.
Als der Goldrausch zu Ende ging, arbeitete Johnston wieder als Trapper, stellte Fallen, handelte mit Pelzen, wehrte sich gegen Indianer, die seine Beute stehlen wollten – und später verkaufte er schwarzgebrannten Whiskey an die Sioux, Crow und Blackfeet.
Als Mann in den 50ern, nahm er erneut Anstellungen als Armeescout an. Niemand kannte die Berge und Wälder Montanas besser als er. Er arbeitete als Postkutschenfahrer, reiste mit einer Wild-West-Show und wurde schließlich als Sheriff in Coulson angestellt. Seine alten Kriegsverletzungen bereiteten ihm zunehmend Schwierigkeiten. Er war um die 70, als er sich eine kleine Hütte in dem Nest Red Lodge baute – die heute noch steht – und sich zur Ruhe setzte. Einmal zog er noch, auf der Suche nach Reichtum, in die Silberminenstadt Tombstone in Arizona, kehrte aber nach Red Lodge zurück. Zeitgenossen sagten, er sei körperlich schnell gealtert – kein Wunder bei seinem Leben. 1899 zog Johnston in ein Hospital für Armeeveteranen nach Los Angeles, Kalifornien, wo er am 21. Januar 1900 starb.
1972 kam der Film über Johnstons Leben in die Kinos, basierend auf dem Roman „The Mountain Man“ von Vardis Fisher und der Geschichte „Crow Killer“ von Thorp/Bunker. Zwei Jahre später engagierte sich eine Gruppe von Studenten dafür, den echten Jeremiah Johnston, diesen pittoresken und dubiosen Abenteurer, dort zu bestatten, wo er gelebt hatte – im ehemals Wilden Westen. Sie begannen eine öffentliche Kampagne, die letztlich erfolgreich war. Am 8. Juni 1974 wurden die sterblichen Überreste Johnstons exhumiert und nach Cody in Wyoming überführt. Hier wurden sie auf dem Gelände des privaten Freilichtmuseums „Old Trail Town“ unter großer Anteilnahme von Öffentlichkeit und Medien beerdigt. Einer der Sargträger war Robert Redford, der den Trapper im Kino dargestellt hatte.
Seine öffentlich verbreitete Geschichte entspricht dem Satz aus John Waynes klassischem Western „Der Mann, der Liberty Vallance erschoß“: „Wenn die Wahrheit zur Legende wird, drucke die Legende.“
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de