Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit James Brown Miller?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit James Brown Miller?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Der Mann, der am 19. April 1909 durch einen Lynchmob sein Leben verlor, könnte einem bizarren Italo-Western entsprungen sein; eine düstere Gestalt aus der Fantasie eines Drehbuch- oder Romanautors. Aber er war real, und er gilt vielen Frontier-Historikern als der tödlichste Gesetzlose der amerikanischen Pionierzeit. Dabei kennen ihn heute nur noch wenige: JAMES BROWN MILLER ging als „Killer-Miller“ oder „Killin‘ Jim“ in die Geschichte ein.

Manchmal nannte man ihn auch „Deacon Jim“ (Diakon-Jim) – denn er war ein frommer Anhänger der Methodisten-Kirche, der niemals trank, selten rauchte, vor jeder Mahlzeit ein Gebet sprach und bei jeder Gelegenheit Gottesdienste besuchte. Er war ein professioneller Mörder, der mindestens 12 Menschen auf dem Gewissen hatte. Vermutlich waren es einige mehr; denn eine Reihe von Morden waren ihm nicht eindeutig zu beweisen. Dazu gehört beispielsweise der Mord an dem ehemaligen Sheriff Pat Garrett, der auf einer Wüstenpiste in New Mexico aus dem Hinterhalt erschossen wurde.

Miller tötete ohne jegliche Skrupel und verbreitete zugleich einen zutiefst bürgerlichen Habitus um sich. Er war imstande, Menschen mit großer Freundlichkeit zu begegnen, die er bei bester Gelegenheit in den Rücken schoss. Manche tötete er auch, während sie schliefen. Seine bevorzugte Waffe war eine Schrotflinte. Entsprechend trug ein Buch über sein Leben den Titel „Shotgun for Hire“ (Glenn Shirley, 1970). Aber er benutzte auch eine Winchester; selten einen Colt-Revolver.

Geboren am 25. Oktober 1861 in Van Buren (Arkansas), wuchs Miller in Franklin (Texas) auf, wohin seine Eltern zogen, als er ein Jahr alt war. Sein Vater war ein Steinmetz, der am texanischen Capitol in Austin mitarbeitete. Als er starb, zog seine Frau mit den Kindern in den Ort Evant zu ihren Eltern.

1869 wurden Jim Millers Großeltern tot aufgefunden. Der achtjährige Junge wurde unter dem Verdacht, sie getötet zu haben, festgenommen. Vermutlich war er wirklich der Täter, aber das war ihm nicht eindeutig nachzuweisen.

Zeitweise lebte er bei seiner Schwester Georgia und deren Mann. Da er sich mit seinem Schwager nicht verstand, kehrte er 1880 zu seiner Mutter zurück. Aber nur 4 Jahre später erschoss er seinen schlafenden Schwager nach einem Streit mit einer Schrotflinte. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. In einer Berufungsverhandlung wurde Miller wegen Formfehlern des ersten Prozesses freigesprochen.

Miller fand danach Arbeit als Cowboy auf der Ranch von Mannen Clements, einem Cousin des bekannten Outlaws John Wesley Hardin. Im März 1889 wurde Clements bei einer Auseinandersetzung mit dem City Marshal Joe Townsend getötet. Wenig später verübte ein Schütze mit einer Schrotlinte einen Anschlag auf Townsend, der dabei einen Arm verlor. Niemand zweifelte daran, dass Miller der Täter war, aber es gab nicht genügend Beweise.

In den folgenden Jahren hielt Miller sich im südlichen Texas auf und betrieb einen Saloon im San Saba County. Er wurde zum Deputy Sheriff ernannt und amtierte für kurze Zeit als Polizeichef der Stadt Pecos. Hier wurde er vor allem bekannt, weil er Mexikaner wegen vorgeblicher Diebstähle verhaftete, die dann später tot aufgefunden wurden. Miller behauptete jedesmal, dass er sie „auf der Flucht“ erschossen habe.

Die Bürger von Pecos sahen Miller stets in einem schwarzen Gehrock durch die Straßen patrouillieren. Er war höflich, wirkte aber immer bedrohlich. Sonntags saß er beim Gottesdienst ganz vorn in der Methodistenkirche.

1891 heiratete Miller Sallie Clement, die Tochter von Mannen Clements, bei dem er nach seiner ersten Gefängnisstrafe gearbeitet hatte. Etwa zur selben Zeit erfuhr der County Sheriff George Frazer, dass Miller in Pecos eine Art Bande aufbaute, die die örtlichen Geschäfte mit Schutzgelderpressungen unter Druck setzte. Frazer benachrichtigte die Texas Rangers. Während sich der bekannte Ranger-Captain John R. Hughes auf den Weg nach Pecos machte, verhaftete Sheriff Frazer Marshal Miller wegen Mordes an Mexikanern. Miller hatte Freunde in Pecos, und die Ressentiments gegen Mexikaner waren tief verwurzelt. Somit sprach ein Gericht ihn von der Anklage frei, worauf Sheriff Frazer ihn sofort erneut wegen Pferdediebstahls verhaftete. Wieder schaffte Miller es, sich mit Hilfe von vermutlich gekauften Zeugenaussagen aus der Schlinge zu ziehen. Aber am 12. April 1894 warf Sheriff Frazer ihm die Beteiligung an der Ermordung eines bekannten Ranchers namens Con Gibson vor.

Miller fühlte sich stark genug, sich der erneuten Verhaftung zu verweigern. Er griff nach seiner Schrotflinte, worauf der Sheriff ihm eine Kugel in den rechten Arm schoss.

Miller wechselte die Schrotflinte in die linke Hand und feuerte. Die Ladung traf einen unbeteiligten Zuschauer der Szene. Die nächste Kugel des Sheriffs traf Miller in die Leiste und riss ihn von den Beinen. Danach feuerte der Sheriff viermal auf Millers Brust. Aber Miller trug eine dünne Stahlplatte unter seinem Gehrock. So erlitt er lediglich schwere Prellungen und erholte sich schnell.

Sheriff Frazer verlor die nächste Sheriffswahl und verließ Pecos. Am 13. September 1896 saß er in der Stadt Toyah (Texas) am Spieltisch eines Saloons, als Miller durch die Schwingtür trat und mit seiner Schrotflinte Frazer fast den Kopf abschoss. Es bleibt ein Geheimnis, wieso er vor Gericht wegen „Notwehr“ davonkam.

Millers nächstes Opfer war ein Zeuge, der vor Gericht gegen ihn ausgesagt hatte. Er wurde drei Wochen nach dem Prozess mit einer Schrotflinte erschossen. Kurz darauf starb der Staatsanwalt merkwürdigerweise an einer Lebensmittelvergiftung.

Trotz seiner kriminellen Geschichte, wurde Miller zeitweise als Texas Ranger vereidigt. Im Jahr 1900 zog er mit seiner Familie nach Fort Worth. Seine Frau eröffnete hier eine Fremdenpension. Miller offerierte unter der Hand seine Dienste als Auftragsmörder. Er verlangte 150 Dollar pro Kopf. Er tötete zwei Männer in Midland. Da er einen Partner dabei hatte, bezeugten beide Männer vor Gericht gegenseitig, dass die Taten in Selbstverteidigung erfolgt seien.

1902 tötete Miller 2 angebliche Viehdiebe. Im August desselben Jahres erschoss er den Anwalt James Jarrott mit seiner Winchester. Jarrett war ein bekannter Verteidiger kleiner Farmer. Vermutlich war der Mordauftrag von Großranchern an Miller gegeben worden. Angeblich hatte er 500 Dollar dafür erhalten. Miller brüstete sich später damit: „Er war der am Schwierigsten umzubringende Mann. Ich musste viermal auf ihn schießen.“

1904 erhielt er den Auftrag, den ehemaligen US-Deputy-Marshal Frank Fore zu töten. Miller schoss ihn im März in der Toilette eines Hotels nieder. Auf wundersame Weise bezeugten zwei Männer später, er habe in „Notwehr“ gehandelt.

Am 1. August 1906 erschoss Miller einen Sicherheitsbeamten des Indianerbüros in Oklahoma, Ben Collins. Angeblich war er von einem Mann namens Port Pruitt für 2.000 Dollar angeheuert worden, der sich an Collins rächen wollte. Miller tötete Collins vor seiner Haustür – und vor den Augen seiner Frau.

Am 28. Februar 1908 starb der Ex-Sheriff Pat Garrett in der Wüste bei Las Cruces. Miller geriet in den Verdacht, der Heckenschütze gewesen zu sein, aber es konnte ihm nie eindeutig nachgewiesen werden.

Im Februar 1909 engagierten ihn die Rancher Jesse West und Joe Allen, um den ehemaligen Deputy-US-Marshal und Rancher Allen Gus Bobbitt aus Ada (Oklahoma) zu beseitigen. Es ist bis heute nicht ganz sicher, ob die beiden mit Bobbitt eine alte Rechnung zu begleichen hatten oder sich sein Land aneignen wollten. Sie zahlten Miller 1.700 Dollar für den Mord.

Am 27. Februar 1909 legte sich Miller in der Nähe der Bobbitt-Ranch auf die Lauer. Am Nachmittag tauchte Bobbitt mit einem Frachtwagen auf der Straße zu seiner Ranch auf. Miller schoss Bobbitt kurz vor seinem Ranchhaus vom Bock. Bobbitts Frau stürzte heraus. Bobbitt starb in ihren Armen, konnte aber noch den Namen seines Mörders nennen. Weitere Helfer auf der Ranch waren ebenfalls Zeugen.

Miller flüchtete über die südliche Grenze nach Texas, wurde hier von Texas Rangers festgenommen und wieder nach Oklahoma gebracht. Er wurde zusammen mit seinen Auftraggebern vor Gericht gestellt.

Die Anklage stand erstaunlicherweise auf wackligen Füßen, weil die Zeugen – vermutlich aus Angst vor Miller – plötzlich unsicher wurden. Es sah so aus, als würde das Gericht Miller aus Mangel an Beweisen freisprechen.

Die Empörung in der Bevölkerung war groß. Im Morgengrauen des 19. April 1909 stürmte ein Lynchmob von 30 bis 40 Männern das Gefängnis von Ada. Die Männer wollten verhindern, dass der Mord an Bobbitt ungesühnt blieb. Sie zerrten Miller und seine Auftraggeber aus den Zellen, schleppten sie in die Scheune eines Mietstalls hinter dem Gefängnis und stellten sie auf Kisten. Galgenschlingen wurden über die Deckenbalken geworfen.

Während die anderen Angeklagten schrien und bettelten, blieb Miller eiskalt. Er bat darum, dass man ihm seinen schwarzen Hut aufsetzte und den Diamantring an seiner Hand seiner Frau überbrachte. Beiden Bitten wurde entsprochen. Seine Forderung, in seinem schwarzen Gehrock zu sterben, wurde abgelehnt.

Daraufhin rief Miller: „Dann los…!“ und sprang freiwillig von der Kiste in den Tod.

Die Leichen der Männer blieben stundenlang hängen, sodass ein Fotograf sie aufnehmen konnte.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die aktuelle Ausgabe

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.