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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem »Lincoln County War«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem »Lincoln County War«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: 1878 eskalierte in New Mexico der „Lincoln County War“.

Über William Bonney, der unter dem Namen “Billy the Kid“ in die wildromantische Pioniergeschichte eingegangen ist, habe ich schon häufiger geschrieben. Kid wurde vor allem durch seine Rolle im Lincoln County bekannt. Der Lincoln-County-Krieg wird manchmal noch immer irrtümlicherweise für einen der „Weidekriege“ gehalten, die in jenen Jahren zwischen Großranchern und kleinen Siedlern oder Rinder- und Schafzüchtern tobten, weil in diesen Konflikt auch der Rinderbaron John Chisum involviert war. Tatsächlich war es ein „Handelskrieg“, eine Auseinandersetzung zwischen Kleinranchern, Siedlern und kleinen Händlern auf der einen Seite, und einem machtvollen Kartell von politisch einflußreichen Geschäftsleuten, dem sogenannten „Santa Fe Ring“, auf der anderen.

1878 schlugen die andauernden verbalen und juristischen Plänkeleien in brutale Gewalt um. Die bedeutenden Vertreter der Siedler im Lincoln County wurden beseitigt, und Billy the Kid wurde zu einer Art Schlüsselfigur, da er für diese Morde Rache schwor – und Vergeltung übte.

Eines der ersten Opfer war John Henry Tunstall, 1863 in England geboren und im Alter von 19 Jahren nach Kanada ausgewandert, wo er mit seinem Vater ein Geschäft gründete. Vier Jahre später zog Tunstall in die Vereinigten Staaten, um Rancher zu werden. In New Mexico freundete er sich mit einem jungen Anwalt namens Alexander McSween an. Zusammen erwarben sie Land im Lincoln County.

Hier wurde die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Waren von zwei Männern monopolisiert: Lawrence Murphy und James Dolan. Sie besaßen den einzigen General Store im Bezirk, in dem sie auch eine Bank betrieben. Dank ihrer guten politischen Beziehungen, die bis in die Regierung des Territoriums reichten, waren ihre Geschäftsmethoden geradezu mafiahaft. Gesetze schienen für sie nicht zu gelten.

Tunstall beschloß, ein Gegengewicht zu schaffen. Zusammen mit McSween eröffnete er in der Bezirkshauptstadt Lincoln einen eigenen General Store unter dem Namen „J. H. Tunstall & Company“. Finanziell unterstützt wurden sie vom größten Rancher New Mexicos, John Chisum, der über einen Besitz von rund 100.000 Rindern verfügte und dem die Praktiken des Santa Fe Rings schon lange ein Dorn im Auge waren. Murphy & Dolan sahen mit Schrecken, daß Tunstalls Plan aufging, die kleinen Farmer auf seine Seite zu ziehen. Sie fürchteten um ihre Pfründe und versuchten zunächst, Tunstall juristisch aus dem Geschäft zu drängen. Als ihnen das nicht gelang, gingen sie gewaltsam gegen ihn vor.

Tunstall seinerseits heuerte einige junge Cowboys an, die selbst gut mit dem Revolver umgehend konnten. Sie nannten sich „Regulatoren“. Zu diesen gehörte auch Billy the Kid, der sich Tunstall besonders loyal verbunden zeigte.

Im Februar 1878 erwirkten Murphy und Dolan einen Pfändungsbeschluß gegen Tunstall, der eine Rechnung bei Ihnen nicht bezahlt hatte. Sie erhielten das Recht, einige Pferde des Engländers zu beschlagnahmen. Ein Aufgebot unter Deputy Sheriff William Morton, der genauso wie Sheriff Brady von Dolan und Murphy bestochen worden war, ritt auf die Tunstall-Ranch, um die Pferde abzuholen. Nach einem Wortwechsel mit Tunstall, wurde der Engländer durch einen Kopfschuß getötet.

Billy the Kid, der in Tunstall nicht nur einen Arbeitgeber, sondern einen Freund gesehen hatte, war durch dessen Tod zutiefst erschüttert. Sehr schnell verdichteten sich Gerüchte, daß Deputy Morton für den Mord von Dolan und Murphy bezahlt worden war.

In der jetzt ausbrechenden Fehde verloren mindestens 19 Männer ihr Leben.

Lawrence Gustave Murphy war 1831 in Irland geboren. Er war der Kopf hinter dem Kartell, das als „Santa Fe Ring“ bezeichnet wurde. Er war nicht nur ein gerissener Geschäftsmann, sondern auch führender Republikaner in New Mexico. Er betrieb sein Geschäft mit Erpressung, Intrigen, Einschüchterung, Unterschlagung, Wucherei.

Nachdem er im Alter von 20 Jahren in die USA eingewandert war, diente er ab 1851 in der US-Armee. Von Kampfhandlungen im amerikanischen Bürgerkrieg sah er nur wenig. Dafür lernte er die Militärbürokratie kennen, deren Schwerfälligkeit er sich zunutze machte, als er 1866 in Fort Stanton ausmusterte und zusammen mit Partnern ein Frachtgeschäft gründete. Zugleich wurde er Mitglied der „Grand Army of the Republic“, einer einflußreichen Veteranenorganisation von ehemaligen Soldaten der Unionsarmee. Mit deren Hilfe verschaffte er sich Lieferverträge für Armeeposten und Indianerreservationen. Dabei hielt er die vertraglich abgemachten Warenmengen nicht ein, verkaufte Lebensmittel, die für die Mescalero-Reservation bestimmt waren, anderweitig und kaufte die zur Versorgung vorgesehenen Rinder teilweise von Viehdieben, die sie von den Weiden der Chisum Ranch gestohlen hatten.

New Mexico war zu jener Zeit ein sehr dünn besiedeltes Territorium mit einer schwach strukturierten Verwaltung. „Murphy & Co“ gelang es, in großem Maßstab Land an Siedler zu verkaufen, das ihnen überhaupt nicht gehörte. Seine Bank vermittelte Kredite an kleine Farmer, die er mit überhöhten Zinsen in den Ruin trieb. Murphy unterstützte auch die Wahl des County Sheriffs William J. Brady, der ihm dankbar verbunden blieb.

Als er John Dolan in sein Geschäft aufnahm, gewann er einen Partner, der bereit war, die „groben Arbeiten“ für ihn zu erledigen. Dolan war 1848 ebenfalls in Irland geboren worden. Auch er hatte in Fort Stanton als Soldat gedient.

Dank ihres Netzwerks von Helfern in der Armee und der Territoriumsverwaltung, hatten sie bislang alle Konkurrenten verdrängen können. Somit diktierten sie die Preise für Einkauf und Verkauf aller Waren, die im Lincoln County benötigt wurden. Faktisch kontrollierten sie das gesamte Geschäftsleben.

Vom 15. bis 19. Juli 1878 kam es zur „Schlacht von Lincoln“, als Dolan und Murphy, unterstützt von der Armee aus Fort Stanton, das Haus von Alexander McSween neben dem Tunstall Store angreifen ließen, in dem sich McSween und die Regulatoren aufhielten. Nach einer heftigen Schießerei mit mehreren Toten und Verwundeten, wurde Feuer an das Haus gelegt. Billy the Kid und die Regulatoren entkamen durch die Hintertür. McSween verließ das Haus mit erhobenen Händen – und wurde kaltblütig niedergeschossen.

Die Witwe Alexander McSweens engagierte den Anwalt Huston Chapman, der mit Ermittlungen über die Hintergründe der Schießerei in Lincoln begann. Im Februar 1879 wurde Chapman ermordet. Es besteht kein Zweifel, daß John Dolan den Mord entweder selbst begangen oder in Auftrag gegeben hatte.

Zu dieser Zeit hielt Murphy sich bereits weitgehend im Hintergrund. Die gewalttätigen Aktionen gegen Tunstall und McSween wurden von John Dolan gesteuert. Murphy war schwer an Krebs erkrankt und starb am 20. Oktober 1878 im Alter von 47 Jahren.

Nach dem Tod Tunstalls töteten Billy the Kid und die Regulatoren den Deputy Sheriff William Morton und andere Mitglieder des Aufgebots, das an Tunstalls Ermordung beteiligt war. Am 1. April 1878 erschossen sie Sheriff Brady und Deputy George Hindman auf der Hauptstraße von Lincoln.

John Dolan, die treibende Kraft in der Auseinandersetzung, galt als jähzornig und völlig skrupellos. Nach dem Mord an Tunstall, erwarb er dessen Ranch und den Store in Lincoln. Die Anklage gegen ihn wegen des Mordes an Huston Chapman wurde aufgrund seiner Beziehungen niedergeschlagen.

Mehr noch: Dolan gelang es später, zum Schatzmeister des Lincoln Countys und in den Senat von New Mexico gewählt zu werden. 1898, vor 120 Jahren, starb er auf seiner Ranch an den Folgen seiner Trunksucht.

Die Bezirkshauptstadt Lincoln verlor im Zuge der weiteren Besiedelung New Mexicos und mit der Aufgabe von Fort Stanton ihre Bedeutung. Mit dem Tod Murphys verfiel auch nach und nach die Macht des Santa Fe Rings. Der Großrancher John Chisum finanzierte die Wahl von Pat Garrett zum Sheriff, der die Regulatoren ausschaltete und Billy the Kid erschoß. Beide Seiten des Konflikts waren darum bemüht, die blutige Auseinandersetzung unter den Teppich zu kehren, um weitergehende amtliche Ermittlungen zu vermeiden und lästige Mitwisser zu beseitigen. Nachdem der amerikanische Präsident Hayes sich eingeschaltet, den korrupten Gouverneur Samuel Axtell seines Amtes enthoben und durch den honorigen ehemaligen General Lew Wallace ersetzt hatte, trat Ruhe ein.

Heute ist Carrizozo die Bezirkshauptstadt des Lincoln County. Die Stadt Lincoln, die Kulisse blutiger Kämpfe, ist beinahe eine Geisterstadt mit kaum 50 Einwohnern. Wenn einige der alten Gebäude an der Mainstreet reden könnten, vor allem der alte Murphy-Dolan-Store, der zeitweise Gerichtsgebäude und Gefängnis war, würden sie aufregende Geschichten erzählen.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

 

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