Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der US-Navy?
: Am 13. Oktober 1775 entstand die Marine der Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Datum gilt jedenfalls offiziell als der “Geburtstag” der US Navy, weil an jenem Tag der 2. Continental-Congress die Entscheidung fällte, eine Flotte von Kriegsschiffen zu erwerben. Kurz danach wurde ein “Marine-Ausschuss” installiert, der Kapitän Esek Hopkins ausschickte, Munition für die Continental Army zu erbeuten.
Im Rahmen eines Facebook-Postings können nur einige kurze Anmerkungen zu diesem Datum gemacht werden.
Die Folgen der Entscheidung des Revolutionsparlaments hatten anfänglich eher symbolische Wirkungen. Erst mit dem sogenannten „Naval Act of 1794“ unter der Regierung von Präsident George Washington wurde eine ständige Seestreitmacht geschaffen. Aber die amerikanische Marine sieht den Beginn der „Continental Navy“ als ihre Grundlage an.
Die ersten beiden Schiffe dieser Marine bezahlte George Washington aus seinem eigenen Vermögen. In einem Brief an den Congress schrieb er: „So sicher wie der Tag der Nacht folgt, können wir ohne eine starke Marine nichts erreichen.“ Am 5. September 1775 wurde der Schoner „Hannah“ in Dienst gestellt. Das Schiff brachte zwar 55 kleinere britische Handelsschiffe auf, erwies sich aber generell als ungeeignet. Eine „Amateurmarine“ wie die der Vereinigten Staaten konnte sich nicht mit der damals stärksten Navy der Welt messen. Die „Hannah“ wurde 1777 wieder stillgelegt.
Bis Mitte 1776 waren mehrere Schiffe der Amerikaner noch im Bau. Innerhalb fünf Jahren wurde alle davon, die nach und nach in den Einsatz gelangten, wieder außer Dienst gestellt. Effektiver waren private Schiffsbetreiber, denen der Continental-Congress Kaperbriefe ausstellte. Man kann das freundlich als „Guerillakriegführung zur See“ bezeichnen – es war nach allgemeinen Regeln aber Piraterie. Schätzungsweise – genaue Zahlen gibt es nicht – unternahmen rund 800 Kaperkapitäne an die 1.700 Feindfahrten und brachten ca. 600 britische Schiffe auf. Sie fügten den Engländern mehr als 18 Millionen Dollar Schaden zu (nach heutigem Wert fast eine halbe Milliarde).
Ungeachtet des bescheidenen Beginns der US Navy, kam es schon früh zur Verklärung einzelner Kommandanten zur See, wie etwa des schottischstämmigen Kapitäns JOHN PAUL JONES, dem es gelang, mit seinem bereits brennenden und sinkenden Schiff „Bon Homme Richard“ die englische „Serapis“ vor der englischen Küste zur Kapitulation zu zwingen. Es war das erste Mal, dass ein Kriegsschiff vor einem sinkenden Feind die Flagge streichen musste. Jones musste die „Serapis“ jedoch als Prise an Frankreich abgeben, erhielt allerdings von Louis XVI einen Ehrensäbel und kehrte mit der Fregatte „Alliance“ nach Amerika zurück.
Die Besatzungen der amerikanischen Schiffe gaben zweifellos ihr Bestes, aber sie standen generell einem weit überlegenen Gegner gegenüber, und der Unterhalt der Seestreitkräfte war im Hinblick auf ihre Erfolge viel zu teuer. Hinzu kamen politische Auseinandersetzungen im Congress, dessen Abgeordnete sich trotz des verzweifelten Überlebenskampfes der jungen Republik weigerten, die Marine finanziell besser auszustatten. Das führte nach dem Krieg 1785 faktisch zur Auflösung der Navy, obwohl Thomas Jefferson noch 1784 eindringlich davor gewarnt hatte: „Wir benötigen eine Seestreitmacht, um unseren Handel zu schützen.“ Er hatte dabei weniger feindliche Staaten im Sinn, sondern vor allem die karibischen Piraten, die dem Seehandel schwer zusetzten.
Das führte letztlich zur Entscheidung des Parlaments, 6 Fregatten mit schwerer Bestückung zu bestellen: USS Constitution, USS United States, USS Präsident, USS Constellation, USS Congress, USS Chesapeake.
Die USS Constitution existiert noch heute als Segelschulschiff; sie ist das älteste noch im Dienst stehende Kriegssschiff der Welt. Im April 1798 wurde ein Marineministerium geschaffen. Seither wuchs die US Navy langsam aber kontinuierlich.
Nachdem die USA und England in den 1790er Jahren, sehr zum Ärger Frankreichs, wieder engere Handelskontakte geknüpft hatten, kam es zu Auseinandersetzungen mit französischen Kriegsschiffen in der Karibik. Nach Ende dieses Konflikts verfügten die USA über etwa 700 Offiziere und 5.000 Seeleute. Zwar kürzte Thomas Jefferson bei seinem Amtsantritt als 3. Präsident den Marineetat, aber es war inzwischen allgemein akzeptiert, dass die Vereinigten Staaten eine Seestreitmacht benötigten, um ihre Küsten und den internationalen Handel zu schützen.
Als 1812 der zweite Krieg zwischen den USA und England ausbrach, verfügten die Amerikaner über 16 einsatzfähige Schiffe; die Briten über 600. Das Glück der USA war, dass die englische Marine größtenteils durch die Blockade französischer Häfen gebunden war. Daher gelangen der US Navy einige überraschende und beeindruckende Siege. So schlug die „USS Constitution“ unter Kapitän Isaac Hull die britische „HMS Guerriere“. Commodore Oliver H. Perry besiegte die britische Flotte auf dem Erie-See. Die US-Marine verhinderte damit eine Invasion der nördlichen USA.
Als England 1814 versuchte, mit einer Flotte von 60 Schiffen am 14. Dezember 1814 unter Admiral Sir Alexander Cochrane von Süden in Nordamerika einzudringen, hinderten 5 amerikanische Kanonenboote die Briten daran, den Lake Pontchartrain und den Lake Borgne zu erreichen. Diese Verzögerung genügte, dass General Andrew Jackson seine Streitkräfte für einen Sieg gegen die Briten am 8. Januar 1815 in der Schlacht von New Orleans aufstellen konnte. Da war der Krieg allerdings offiziell bereits vorbei.
Der Amerikanische Bürgerkrieg bedeutete ein weiteres starkes Wachstum der Streitkräfte zu Wasser, allein durch die Einrichtung der Seeblockade vor den südstaatlichen Häfen. Am Ende dieses Krieges verfügte die US Navy über 670 Schiffe und war damit zur stärksten Marine der damaligen Zeit herangewachsen.
Aufgrund der massiven Haushaltskürzungen durch den Congress, sank die Stärke der Streitkräfte in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg. Das Heer erreichte nur noch etwa 25.000 Mann, die Navy zählte 1878 keine 6.000 Mann mehr. Diese Situation änderte sich erst wieder nach dem Krieg gegen Spanien auf Kuba. Am Ende des 1. Weltkrieges hatten die USA eine größere Mannschaftsstärke ihrer Navy als die britische Marine. Nach dem 2. Weltkrieg verfügten die Amerikaner über mehr als 1.600 Kriegsschiffe.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de