Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Jonathan R. Davis?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Jonathan R. Davis?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 19. Dezember 1854 fand im Rocky Canyon unweit von Sacramento (Kalifornien) ein denkwürdiger Kampf statt. JONATHAN R. DAVIS, ein ehemaliger Soldat des Palmetto-Regiments aus South Carolina während des Amerikanisch-Mexikanischen Krieges (1846-48), und zwei seiner Freunde wurden von 14 schwerbewaffneten Straßenräubern angegriffen – der sogenannten „Sydney Ducks Gang“. Die Bande trug den Namen „Sydney Ducks“, weil 5 ihrer Mitglieder aus Australien stammten. Die anderen waren Amerikaner, stammten aus Frankreich, England und Mexiko. In den Tagen und Wochen zuvor, hatten sie mehrere Claims von Goldsuchern überfallen und mindestens vier amerikanische und 5 chinesische Prospektoren ermordet. Die „Sidney Ducks“ gelten manchen Historikern auch als die erste „Straßengang“ von San Francisco.

Davis, Dr. Bolivar Sparks und James McDonald waren auf Goldsuche in der Sierra Nevada. Sparks und McDonald wurden sofort getötet. Davis entging den tödlichen Kugeln aus dem Hinterhalt und leistete erbitterte Gegenwehr. Dabei tötete er ganz allein 11 der Banditen. Nachdem er 7 Outlaws erschossen oder tödlich verwundet hatte, waren seine Dragoon-Colts leer. Aber er dachte keine Sekunde lang an Flucht. Er erzählte später: „Ich war viel zu aufgeregt, als an irgendetwas anderes denken zu können, als den Kampf zu Ende zu bringen.“ Er zog sein Bowie-Messer und erstach 4 der heranstürmenden Banditen im Kampf Mann gegen Mann, wobei er selbst nur geringfügige Verletzungen davontrug. Die Überlebenden ergriffen die Flucht. Von Claims in der Nähe, wo man die Schießerei gehört hatte, eilten jetzt mehrere Männer herbei, um Davis zu helfen – da war der Kampf schon vorbei. Von diesem Tag an hörte man nichts mehr von den „Sydney Ducks“.

Die anderen Prospektoren verbanden Davis‘ Wunden und begruben die Toten. Bei den Leichen fand man 491 Dollars in Goldstücken, vermutlich die Beute der vorherigen Überfälle. Davis veranlasste, dass dieses Geld an die Familien seiner ermordeten Freunde geschickt wurde. Er selbst behielt nichts davon.

Schon zu dieser Zeit wurde spekuliert (und gelegentlich angezweifelt), wie es Davis gelungen war, zu überleben und so viele Gegner zu erledigen. Die einfache Erklärung ist: Die Banditen rechneten nicht mit Widerstand. Sie wurden von der kaltblütigen und entschlossenen Gegenwehr von Davis völlig überrascht. Sie reagierten hektisch; ihre Schüsse gingen fehl. Jonathan Davis aber blieb trotz der Gefahr ruhig und feuerte überlegt und präzise. Davis hatte den Ruf eines Meisterschützen.

Man kann einen der großen „Gunfighter“ der Frontier-Geschichte zitieren, Wyatt Earp, der in einem Interview sagte: „Fast is fine, but accurate is final.“ (Sinngemäß: Schnell ziehen und schießen ist gut, aber genau zielen ist besser.“)

Um nun auch das Klischee vom „Wilden Westen“ zu brechen, dass besagt, dass solche Schießereien ohne bürokratische Formalitäten abliefen – die Goldsucher der Region hielten eine Leichenschau ab, bei der ein Protokoll erstellt wurde, Dieses Dokument bestätigte den Ablauf des Kampfes und wurde von 17 Männern unterschrieben. Hier hieß es: „Aufgrund aller Beweise, die uns vorliegen, handelte Captain Davis in Selbstverteidigung und war vollständig berechtigt, diese Räuber zu töten. Er kann nicht hoch genug gepriesen werden, dass er in so mutiger und kühner Weise die ruchlose Karriere dieses gesetzlosen Gesindels beendet hat.“

Davis war ein mutiger und entschlossener Mann. Geboren am 5. August 1816 in Monticello (South Carolina), hatte er sich 1846 freiwillig zum Palmetto-Regiment gemeldet und in mehreren Schlachten des Krieges gegen Mexiko gekämpft. Im Gefecht von Churubusco war er verwundet worden. 1848 wurde er als Brevet-Captain entlassen.

Die Schießerei im Rocky Canyon gilt als einer der blutigsten privaten Kämpfe in der amerikanischen Pioniergeschichte.

Als mehrere kalifornische Zeitungen den Wahrheitsgehalt der Geschichte anzweifelten, erschienen Jonathan Davis und mehrere Augenzeugen des Kampfes in der Redaktion der Zeitung „Mountain Democrat“ und legten eine eidesstaatliche Versicherung vor, die von Richter R. M. Anderson und einer Delegation prominenter Bürger unterzeichnet war. Damit wurde juristisch dokumentiert, dass der Kampf genauso stattgefunden hatte.

Jonathan Davis genoss seither hohes Ansehen in der rauen Atmosphäre der Goldfelder von Kalifornien. Er hatte mehrere öffentliche Ämter inne, diente in der Leichenbeschauerkommission von Sonora und war Schatzmeister des Tuolumne County. Er gehörte offenbar zu einem Vigilanzkommittee, das 1855 mindestens einen Mörder erhängte. Danach verliert sich seine Spur. In verschiedenen Volkszählungs-Registern taucht allerdings ein Jonathan Davis auf, auch in den Steuerlisten einiger Counties.

Nachdem er jahrelang als „Miner“ oder „Prospector“ – also Goldsucher – registriert war, stammten die letzten Einträge, die lokale Historiker fanden, von 1888 im Yount Napa County und von 1890 im San Joaquin County. In beiden Fällen ist sein Beruf als „Rechtsanwalt“ angegeben – was Sinn macht, da Davis als junger Mann in South Carolina eine Universitätsausbildung genoss –, und bei letzterer Auflistung ist vermerkt, dass er den Antrag auf eine Heimstätte gestellt hatte. Todesdatum und Grab sind unbekannt.

Angesichts der turbulenten Ereignisse des kalifornischen Goldrausches und der Besiedelung des Westens wurde der Kampf des Jonathan Davis fast vergessen. Um 1980 stieß ein Historiker auf die hinterlassene Dokumentation. Der bekannte texanische Autor John Boessenecker schrieb nach weiteren Recherchen in seinem Buch GOLD DUST AND GUN SMOKE: „Es handelt sich um die außerordentlichste Selbstverteidigung durch einen amerikanischen Bürger in den Annalen der Pioniergeschichte.“

Der Bildhauer Michael Trcic schuf eine Statue von Captain Davis, die den Namen trägt: „Ein Mann mit Mut stellt eine Mehrheit dar.“ (One Man With Courage Is A Majority)


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles