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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Buch Mormon?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Buch Mormon?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 26. März 1830 – vor 191 Jahren – erschien eines der wichtigsten Bücher der amerikanischen Geschichte, das BUCH MORMON, finanziert von dem Farmer Peter Whitmer aus Fayette Township im Staat New York, der zu den ersten Anhängern des blutjungen Joseph Smith gehörte, der seit einigen Wochen eine neue christliche Erweckungslehre verkündete. Das Werk fand für 1,25 Dollar reißenden Absatz. Auch ein junger Zimmermann namens Brigham Young las diese Schrift und schloß sich sofort der neuen Bewegung an.

Das Buch enthielt – nach Smiths Erklärungen – ein vergessenes Evangelium, das in der Bibel der christlichen Kirchen ausgelassen worden war. Seinen Aussagen zufolge, war ihm der Engel Moroni im Alter von 15 Jahren im Wald begegnet und hatte ihn zu einer Höhle geführt, in der seit 1.500 Jahren verschollene goldene Platten lagen, auf denen in hebräischer Schrift die Lehre des Propheten Mormon eingraviert war. Diese erzählt die Geschichte der verlorenen Stämme Israels, die auf der Flucht aus Ägypten in die Neue Welt (nach Amerika) gelangt waren. Damit gemeint waren die Indianervölker.

Joseph Smith wurde von Moroni in den Stand versetzt, die Schrifttafeln zu lesen und ins Englische zu übersetzen. Innerhalb von 6 Jahren diktierte er den Inhalt einem Freund, der ihn niederschrieb.

Am 6. April, also kurz nach Erscheinen des Buches, trafen sich etwa 50 Anhänger von Smith im Haus von Peter Whitmer und gründeten die „Kirche Jesus Christi der Heiligen der letzten Tage“ – seither auch allgemein „Mormonen“ genannt.

Alle, die sich Smith an jenem Tag anschlossen, waren überzeugt, dass der junge Mann von Gott gesandt war. In unserer säkularisiertenZeit ist ein solcher Vorgang nur schwer nachvollziehbar. Aber die Überzeugung, dass Gott auserwählte Menschen als persönliche Boten auf die Erde schickte, war im frühen 19. Jahrhundert sehr weit verbreitet. Es hat auch später, bis ins 20. Jahrhundert, gelegentlich solche Erscheinungen gegeben, aber niemals wieder hatten sie eine solche Wirkung wie im Frühjahr 1830.

Jene Zeit war in Nordamerika durch schwere Wirtschaftskrisen gekennzeichnet. Es gab vielfach Hunger, Not, wirtschaftliche Unsicherheit, Existenzängste, Furcht vor der Zukunft und kein Vertrauen in irdische Lösungen.

Derartige Phasen existenzieller Veränderungen und Unsicherheiten stellen immer einen fruchtbaren Boden für vorgebliche Heilsbringer dar. Diese können politisch aber auch spirituell motiviert sein. In jedem Fall sind sie für ihre Anhänger die Vertretung einer höheren Macht, die Rettung vor dem Übel auf Erden verspricht. In den 1820er und 1830er Jahren gab es eine Reihe von derartigen Erscheinungen in Nordamerika – keine dieser Bewegungen war besonders langlebig.

Die Art, wie Joseph Smith seine Erkenntnisse verkündete, entwickelte eine unglaubliche Attraktivität. Die mormonische Lehre hob sich von einer gesellschaftlichen Umgebung, die von strengem Puritanismus geprägt war, durch eine gewisse Fröhlichkeit und soziale Leichtigkeit ab. Die Entwicklung im Einzelnen darzulegen, würde hier zu weit führen. Bald glaubten nicht nur Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn, dass Gott selbst aus dem Mund des jungen Joseph sprach. Seine Gemeinde wuchs beständig.

Auf der ersten Versammlung am 6. April 1830 wurde Joseph Smith zum „Propheten“ gewählt. Ein Vorstand aus „Ältesten“ wurde installiert. Die ersten Missionare schwärmten aus. Die Dynamik, die die Mormonen-Lehre entfaltete, ist mit wenigen Sätzen kaum zu umreißen.

Smith wurde immer wieder als „Unruhestifter“ verhaftet. Er wurde in einigen Gemeinden gewaltsam verjagt. Aber er ließ sich nicht beirren und war nicht aufzuhalten. Die Mormonen-Bewegung wuchs atemberaubend schnell. Sie breitete sich zunehmend Richtung Westen aus. Ohio, Missouri, Illinois wurden zu Gebieten, in denen die Smith-Missionare mit besonderem Erfolg tätig waren. Frühzeitig reisten Smith-Jünger auch nach Europa und warben um weitere Anhänger, organisierten deren Auswanderung in die USA.

Mit der wachsenden Anhängerschaft, wuchsen auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten der neuen Religionsgemeinschaft. Trotz seiner Jugend erwies Smith sich als brillanter Organisator, der es verstand, die entstehende Kirche auf eine feste Grundlage zu stellen. Die ebenfalls wachsende Feindseligkeit seitens anderer Religionsgemeinschaften trug zum festen Zusammenhalt der „Latter Day Saints“ bei. Der fast sprichwörtliche Fleiß der Mormonengemeinden führte zu beachtlichem wirtschaftlichem Erfolg, was den Neid ihrer Nachbarn auslöste. Der wachsende Zulauf an Mitgliedern machte die Mormonen auch zu einer gesellschaftlichen Größe. 1838 kam es zu gewaltsamen Übergriffen gegen die „Heiligen“ in Missouri. Mormonen wurden erschlagen und von ihren Farmen vertrieben. Diese Ereignisse werden heute historisch als der „erste Mormonenkrieg“ bezeichnet. Er gipfelte darin, daß das Missouri-Staatsparlament die Mormonen aus Missouri verbannte und faktisch enteignete. Juristisch ein unglaublicher Akt gegen die Religionsfreiheit der amerikanischen Verfassung. Es sollten mehr als 150 Jahre vergehen, bis das Parlament von Missouri sich offiziell bei den „Latter Day Saints“ entschuldigte und die alte Parlamentsorder aufhob.

Die Mormonen flüchteten nach Illinois, wo sie erneut eine florierende Kolonie gründeten. 1839/40 entstand die Gemeinde Nauvoo, die schnell zu einer der prosperierendsten und größten Siedlungen des Staates heranwuchs. Eingedenk der ständigen Bedrohungen durch Gegner seiner Bewegung, schuf Smith eine eigene Miliztruppe.

Die Gegnerschaft wuchs, als Smith aufgrund einer „göttlichen Eingebung“ verkündete, daß Mormonen die Polygamie, die Vielehe, erlaubt sei – ein Tabubruch im puritanischen Nordamerika.

Als Smith 1844 eine Kandidatur für die amerikanische Präsidentschaft ankündigte, kam es zu erneuten gewaltsamen Ausschreitungen gegen seine Kirche. Am 27. Juni 1844, als er und sein Bruder unter einem Vorwand verhaftet worden waren, stürmte ein Mob das Gefängnis in der Kleinstadt Carthage in Illinois und ermordete die Brüder.

In dieser Situation, als die Kirche scheinbar vor dem Zusammenbruch stand, wurde der charismatische Redner Brigham Young als neuer „Prophet“ an die Spitze der Mormonen gewählt. Er wurde zu ihrem „Moses“, der 1847 den „Exodus“ ins „neue Zion“ anführte. Mit Handkarren zogen Zehntausende durch die großen Ebenen und Rocky Mountains nach Westen und gründeten am Großen Salzsee im heutigen Staat Utah ihre neue Kolonie. Salt Lake City ist bis heute das Zentrum der Mormonenkirche, die durch den Tod ihres Gründers nicht am Ende war, sondern im Gegenteil einen neuen Aufschwung erlebte.

Es ist in einer kurzen historischen Skizze unmöglich, die komplexe Geschichte der Mormonen zu behandeln, in der es atemberaubende Erfolge, aber auch grauenvolle Fehlentscheidungen, Verfolgung, aber auch fanatische religiöse Auswüchse seitens der Kirche gab. Einige Fakten jedoch sind unabweisbar:

• Die Mormonen sind die einzige originäre amerikanische Kirchengründung (alle anderen Religionsgemeinschaften sind aus Europa beeinflußt gewesen).
• Der Zug der Mormonen nach Westen gehört zu den bedeutendsten Unternehmen der Besiedelung Nordamerikas und zu den größten Pionierleistungen.
• Die 1830 ins Leben gerufene Bewegung hat heute mehr als 16,5 Millionen Anhänger in aller Welt – hinzu kommen noch einmal 1 Million Anhänger einer abgespaltenen Mormonenbewegung. Sie wächst vor allem in Asien und Afrika.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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