Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie ist das mit deiner Arbeit?
Wie ist das mit deiner Arbeit?
: Ich möchte heute einige Bemerkungen loswerden, die mir schon länger durch den Kopf gehen. Niemand muss sich angesprochen fühlen. Niemand sollte sich beleidigt fühlen. Es sind einfach einige Feststellungen, die sich seit Jahren aufgebaut haben. Hoffentlich werden diese Zeilen bis zum Ende gelesen. Es betrifft tatsächlich nur sehr wenige Menschen, aber die können einem das Leben schwer machen.
Die meisten Leser ahnen, wieviel Arbeit hinter den Texten steckt, die ich jetzt seit über 50 Jahren veröffentliche. Auch die kleinen „historischen Splitter“, die ich mindestens einmal, manchmal sogar zweimal die Woche hier auf Facebook veröffentliche, werden anerkannt. Dafür bin ich dankbar.
Ich habe den Beruf des Historikers, Autors und Publizisten ergriffen, weil er mir Freude macht, weil ich gern erzähle, und weil ich die amerikanische Geschichte mit Herz und Seele verfolge. Auch meine amerikanischen Freunde nennen mich einen „Storyteller“, und meinen das geradezu liebevoll.
Als ich anfing, war ich jung und unbefangen und habe nicht geahnt, was für ein enormer Aufwand dahintersteckt, vom Schreiben leben zu wollen. Vermutlich wäre ich diesen Weg trotzdem gegangen.
Eine freiberufliche Tätigkeit ist immer ein Risiko, noch dazu, wenn man sich auf ein absolutes Spezialthema konzentriert, für das es in Deutschland kein Massenpublikum gibt.
Über die Jahrzehnte entstand eine Bibliothek mit einigen Tausend Sach- und Fachbüchern, sowie ein Bildarchiv. Ferner bin ich viel gereist, habe immer wieder fast alle Staaten der USA besucht. Ich bin an fast allen wichtigen und unwichtigen historischen Plätzen gewesen, manchmal in den abgelegensten Gegenden, habe wohl um die 50 Indianerreservationen und mehr als 100 Geisterstädte gesehen, war in so gut wie allen bedeutenden Museen, habe Hunderte von wichtigen Historikern und Völkerkundlern kennengelernt und bin mit vielen gut Freund geworden. Vom stundenlangen Herumrennen auf alten Friedhöfen und historischen Schlachtfeldern will ich gar nicht reden.
Das alles hat viel Geld gekostet, das ich durch mein Schreiben verdient habe. Mit anderen Worten, ich habe einen großen Teil meiner Einkünfte wieder investiert, um noch mehr zu erfahren, noch mehr Wissen aufzunehmen, zu lernen. Immer wieder zu lernen. Und das bedeutet, nicht nur Fakten, Namen, Daten, Ereignisse, sondern die Hintergründe, die Zusammenhänge von vielen Geschehnissen, die Denkweise der jeweiligen Zeit, die Mentalität und Weltsicht der Amerikaner damals und heute. Dass macht nämlich die historische Darstellung aus: Das Verständnis der Denkungsart von Menschen, die historische Entscheidungen verursachen.
Bei dieser Arbeit fragt man nicht nach Zeit. Seit meinen frühen Zwanzigern sitze ich oft 16 Stunden, manchmal sogar mehr, am Schreibtisch – und das alles macht mir bis heute Spaß.
Aber dann gibt es immer mal wieder Begegnungen mit Menschen, die glauben, dass diese Tätigkeiten – vom Recherchieren über Planen, Konzipieren, Schreiben, Interpretieren, Übersetzen, Korrekturen, Reiseplanungen, Organisation, Hotelbuchungen, Bestellbearbeitungen, bis hin zu öden Büroarbeiten wie Korrespondenz, Telefonate, Buchhaltung, Rechnungschreiben, Versand alles „Kleinigkeiten“ seien, die kaum Zeit und Mühe in Anspruch nehmen. Die glauben, dass ich mit all dem Wissen über die amerikanische Geschichte auf die Welt gekommen bin und alles nur „aus dem Ärmel“ schüttle. Die meinen, dass das Verfassen eines Fachartikels oder gar -buches „nebenbei“ und mühelos passiert, weil ich das ja sowieso alles im Kopf habe. Die glauben, dass die Übersetzung eines Fachtextes „locker vom Hocker“ erfolgt, weil ich ja ohnehin fließend Englisch spreche – klar, auch das habe ich nicht lernen müssen, damit wurde ich geboren (Ironie aus!). Oder die Vorträge vor Akademien oder Universitäten, wo ich eben einfach ein paar Geschichten erzähle, die irgendwo auf meiner internen „Festplatte“ gespeichert sind. Ansonsten sitze ich däumchendrehend im Garten oder lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen.
Es gibt auch Leute, die meinen, dass ich meinen Lebensunterhalt ganz unverdient bestreite, weil sie das alles sowieso besser wissen – von denen ist aber komischerweise nie eine Zeile gedruckt worden. Deren Namen sind in der Regel völlig unbekannt. Von den wichtigen Werken großer Völkerkundler und Historiker haben die nie etwas gehört.
Es werden auch regelmäßig Buchkapitel oder Artikel von mir „geklaut“. Wohlgemerkt, nicht „geteilt“ – Teilen freut mich. Nein, es wird abgeschrieben – wobei mein Name geflissentlich „vergessen“ oder sogar gelöscht wird. Dass das strafbar ist, ist diesen Leuten gar nicht bewusst. Einer hat wahrhaftig mal ein ganzes Buch von mir fotokopiert, zusammengeheftet und dann billig im Internet verkauft. Er wollte mich sogar verklagen, weil ich ihm das verboten habe – bis ihm sein eigener Anwalt die Flausen ausgetrieben hat.
Nach der Auslieferung einer MAGAZIN-Ausgabe rief mich mal ein Kunde an und sagte: „Na, jetzt haben Sie ja wieder 3 Monate lang Zeit und nichts zu tun, bis die nächste Ausgabe kommt.“
Ich habe zurückgefragt, ob er meint, dass die Magazine vom Himmel fallen, von irgendeiner höheren Macht gestaltet und in meinen Schoß geworfen werden. Ich glaube, ich bin auch ziemlich unfreundlich geworden, was eigentlich nicht meine Art ist.
Es kommen jede Woche Emails bei mir an – früher Briefe und Postkarten – mit Fachfragen. Ich beantworte JEDE Zuschrift und freue mich, wenn ich helfen kann. Ein kleiner Prozentsatz dieser Menschen aber denkt, dass mich das erstens nur ein Fingerschnippen kostet und ich zweitens ja ohnehin nichts anderes zu tun habe. Die sagen nicht mal „Danke“.
Es kommt vor, dass an Sonn- und Feiertagen Menschen in der halben Nacht bei mir anrufen weil sie „gerade Zeit“ haben – und ich hätte ja sicher auch nichts vor und könnte mich mit ihnen unterhalten und ihnen ganz privat von meinen Reiseerlebnissen erzählen. Das macht mich, ehrlich gesagt, fassungslos. Gelegentlich auch ärgerlich. Einer erbat sogar eine Reiseplanung von mir, weil er allein in die USA fliegen wollte und ich ihm sicher eine tolle Route zusammenstellen könnte.
Ein anderer stellte mir mal eine Reihe von Fragen und verabschiedete sich danach mit den Worten: „Ich muss jetzt zur Arbeit, ich bin ja kein Autor.“ Bei dem bin ich dann richtig böse geworden.
Nach den Vorstellungen dieser Menschen sitzt ein Autor still in der Ecke und meditiert. Der Hinweise, dass ich in den letzten 50 Jahren um die 70 Fachbücher geschrieben habe, dazu 2.500 bis.3.000 Fachartikel, über 300 Romanmanuskripte, mehr als 400 Roman- und Serienkonzepte; nicht zu reden von einer Korrespondenz, die eine Regalreihe mit Aktenordnern füllt, löst eher Erstaunen aus – ach ja, als Verleger habe ich auch noch über 250 Bücher produziert. Die meisten davon habe ich selbst editorisch bearbeitet und dann layoutet, also grafisch druckfertig gemacht, so wie alle MAGAZIN-Ausgaben, die jetzt im 45. Jahr erscheinen. Von Übersetzungen und Vortragsmanuskripten nicht zu reden. Aber das erledigt sich natürlich alles per Knopfdruck von allein und macht überhaupt keine Arbeit. Das gilt auch für die Vermarktung von Druckwerken; Werbung, Anzeigengestaltung, Verhandlungen mit Händlern – läuft alles „nebenbei“.
Dann kommen Emails oder Messenger-Botschaften an, in denen steht: „Na, was gibt es denn gerade Neues bei Ihnen?“ Der Schreiber/die Schreiberin hat offensichtlich Langeweile und glaubt, dass ich jetzt mit Begeisterung einen Tätigkeitsbericht schreibe, welche Blumen ich heute gegossen und wie viele Tassen Kaffee ich gerade getrunken habe.
Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich keine Lust habe. Es gibt Stunden, in denen ich mich zurücklehne. Aber dann nutzen meine Frau und ich die Zeit für uns, um wieder Kraft für neue Aufgaben zu sammeln.
Ich reagiere im Übrigen grundsätzlich nicht auf Kettenbriefe, und dass ich gelegentlich zu irgendwelchen Computer-Spielen eingeladen werde, ist vielleicht nett gemeint, aber zeigt mir, dass diejenigen, die das machen, glückliche Menschen sein müssen, die über enorm viel Freizeit verfügen.
Meine Frau und ich freuen uns, wenn wir an zwei, drei Tagen die Woche mal eine Stunde Zeit haben, über unsere Insel oder zum Strand zu fahren – mehr aber auch nicht. Vielleicht ist es mein Fehler, dann ein paar schöne Fotos zu veröffentlichen, so dass der Eindruck entsteht, wir hätten sonst nichts zu tun. Die Vorstellung, dass wir dann noch mit unserem Smartphone in der Ecke sitzen und mit fremden Leuten chatten ist eher bizarr.
Wir freuen uns über jede Minute, die wir miteinander verbringen können, ohne den nächsten Termin erledigen zu müssen. Das sind seltene Momente, die ich tatsächlich gern im Bild festhalte.
Die Welt besteht gottseidank nicht nur aus Facebook, auch wenn es manchmal so scheint, oder aus anderen virtuellen „Vergnügen“. Die reale Welt will auch real gelebt werden. Nicht nur mit Gefühlen aus zweiter Hand.
Ich gönne jedem den Spaß, seine Zeit einfach totschlagen zu können. Ich kann das nicht. Seit über 50 Jahren drängen sich täglich Termine und Pflichten. Die Aufträge und Pläne, die ich derzeit verfolge, reichen bis ins nächste Jahr. Das ist, nebenbei gesagt, aber keine Belastung. Ich habe es so gewollt. Das ist eine Freude. Ich definiere mich über meine Arbeit, bin froh über jeden Auftrag und jeden Termin.
Also bitte: Keine Kettenbriefe, keine gutgemeinten Fragen wie „Was läuft denn gerade so?“, keine Einladungen zu Computerspielen… Ach ja, und Videos, die mir geschickt werden, lösche ich grundsätzlich sofort. Die enthalten häufig nämlich Viren und hacken das Konto, was offenbar auch viele Leute nicht glauben, weil die Bilder doch so „niedlich“ sind und mich das bestimmt interessiert.
Dafür habe ich keine Zeit. Und dann sind die Fragesteller oder Absender beleidigt. Tut mir leid, aber das ist die reale Welt, keine virtuelle Existenz. Ich bin kein Roboter, keine PC-Festplatte, von der man einfach etwas abrufen kann. Ich bin noch immer ein Mensch – auch wenn manche das nicht glauben wollen. Recherchieren, Konzipieren, Schreiben, Reisen organisieren – nichts wächst auf Bäumen.
Vor rd. 20 Jahren hat mal ein frischgebackener Zeitungsherausgeber (inzwischen pleite), einfach einen meiner Artikel geklaut und sich damit entschuldigt, dass er geglaubt habe, ich sei schon tot… Mark Twain hätte geantwortet: „Das ist eine maßlose Übertreibung.“
Ich bin leider noch ganz altmodisch am Leben. Und trotz Computer: Das, was von meiner Tätigkeit sichtbar ist, entsteht immer noch in meinem Kopf und am Schreibtisch und macht sich nicht allein. Es kostet Zeit und viel, viel Arbeit. So ist das bei allen Autoren.
Wie gesagt: 98% aller Leser wissen das. Diese Zeilen richten sich also nur an die übrigen 2%, und die lesen diesen Text vermutlich nicht einmal von vorne bis hinten. Trotzdem wollte ich es mal gesagt haben.
Das angehängte Foto zeigt mich beim Korrigieren unseres nächsten Buches „DER LETZTE SKALP“. Ja, bei sonnigem Wetter im Garten. Das mindert jedoch Arbeitsaufwand und Konzentration nicht.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de
Kommentare
Absolut, dem darf ich mich anschließen.
Meiner Meinung nach ist Anerkennung um ein Vielfaches wichtiger als Geld.
Es ist immer einfacher, alles als selbstverständlich zu betrachten, als die Leistung oder Arbeit anzuerkennen, die hinter den Produkten steht.
Auch ich darf mich anschließen...