Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Brigham Young?
Wie war das mit Brigham Young?
: Am 29. August 1877 starb ein Mann, der ein gigantisches, aber auch zwiespältiges Erbe hinterlassen hat. Er gehört zweifellos zu den größten Kolonisatoren des amerikanischen Westens und zu den bedeutendsten religiösen Organisatoren der Welt. Zugleich ist sein Charakter nicht ohne Zweifel, auch wenn er in den USA teilweise bis heute als „amerikanischer Moses“ bezeichnet wird: BRIGHAM YOUNG, einst der „Prophet“ der Mormonen-Kirche, oder der „Heiligen der letzten Tage“.
Sein Leben wies viele Schattierungen auf. Er war ein Kirchenführer, ein Pionieer, ein Geschäftsmann, ein Politiker. Die Mormonen bezeichnen ihn bis heute als den „Löwen Gottes“; denn er war ein Kämpfer bis zum Schluss, ein gewaltiger Redner mit der Stimme eines Löwen und einem machtvollen Charisma, dem sich kaum jemand entziehen konnte.
„Bruder Brigham“, wie er sich von seinen Mormonen nennen ließ, wurde 1801 als 8. Kind einer Farmerfamilie in Vermont geboren. Er wuchs in New York auf, wo er mit 14 Jahren Halbwaise wurde, als seine Mutter an Tuberkulose starb. Mit 16 ging er bei einem Tischler in die Lehre.
Brigham war sehr religiös und studierte schon seit seiner Kindheit die Bibel. In einem in jenen Jahren populären Debattierclub lernte er, gewandt mit Worten umzugehen und nachdrücklich zu argumentieren. 1824 heiratete er (zum erstenmal). Als Anhänger der Polygamie-Lehre, sollte Young es bis zum Lebensende auf 55 Heiraten und 56 Kinder bringen. 46 seiner Kinder wuchsen heran und sorgten für eine unüberschaubare Nachkommenzahl bis heute. Viele seiner Eheschließungen waren allerdings rein formal; die Polygamie der alten Mormonen ist eine komplexe Materie. Prominente wie Young gingen oft Ehen ein, um die Familien der jungen Frauen zu ehren; sie hatten keine praktischen Konsequenzen. Young zeugte seine Kinder mit lediglich 16 seiner Frauen. Die letzten der Frauen, die er als blutjunge Mädchen heiratete, starben erst 1950.
1828 hatte er erstmals Berührung mit der Lehre von Joseph Smith, dem Mormonen-Gründer. Als 1832 seine junge Frau starb, zog Young mit seinen zwei Töchtern ins Haus von Heber Kimball, einem der ersten Mormonen-Führer, nahm hier vollständig die Mormonen-Lehre an, und wurde zum Missionar der neuen Kirche. Er reiste als Prediger durch Kanada und war einer der erfolgreichsten Missionare der Lehre. 1834 heiratete er zum zweitenmal und gab seinen Beruf als Tischler auf. Er arbeitete jetzt nur noch für die Kirche. Menschen, die ihn predigen hörten, verglichen ihn mit den biblischen Propheten. Um die Bibel besser zu verstehen, lernte Brigham Young sogar Hebräisch.
Im Mai 1835 wurde Young von Joseph Smith in den „Rat der 12 Apostel“ berufen. Im März 1839 wurde er der Vorsitzende dieses Rates und damit nach Smith der einflussreichste Kirchenführer. Unter seiner Ägide begann eine intensive Missionstätigkeit in Europa.
Als Joseph Smith und sein Bruder 1844 in Illinois gelyncht wurden, fiel Young die Leitung der Kirche zu. Er leitete den „Exodus“ ein. Nach den heftigen Anfeindungen gegen die Mormonen in Missouri und Illinois, führte Young den langen Handkarrenzug nach Westen, der zur Gründung des „neuen Zion“ am großen Salzsee im späteren Bundesstaat Utah führte. Noch heute gilt der Zug der Mormonen als der am besten organisierte Treck nach Westen in Nordamerika. Über 70.000 Mormonen zogen über den „Mormon Trail“. Nur 29 Tage nach dem Eintreffen der ersten Handkarren am Großen Salzsee, begann Young den Bau des Tabernakels, des bedeutenden Versammlungshauses der Mormonen, der noch heute mit seinem Chor eine der größten Attraktionen der Kirche ist.
Young erwies sich als dynamischer Organisator. Er baute eine neue Struktur der Kirche auf. Sein politischer Einfluss konnte nicht negiert werden. US-Präsident Millard Fillmore ernannte ihn 1851 zum Gouverneur des Territoriums Utah und zum Superintendenten für Indianerangelegenheiten der Region. Young initiierte Mormonensiedlungen nicht nur in Utah, sondern auch in Idaho, Arizona, Nevada, Kalifornien, Süd-Colorado und sogar in Mexiko. Er ließ Straßen und Brücken, Bewässerungsprojekte und Kanäle bauen und sorgte mit unermüdlichem Einsatz dafür, dass die Fertigstellung der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie in Utah erfolgte. Young gründete Schulen und Universitäten. Er organisierte einen hocheffektiven Postdienst und unterstützte den Bau der Telegrafenlinie durch den Kontinent. Er war aber auch ein Unterstützer der Sklaverei und diskriminierte farbige Menschen – das ist bis heute unvergessen. Die Mormonen wehrten sich defacto bis 1978 gegen die Bürgerrechte für Schwarze, basierend auf Brigham Youngs Thesen.
Zum nationalen Konfliktpunkt wurde die Vielehe, die Polygamie, die zur Lehre der Mormonen gehörte. Als die US-Regierung unter Präsident Buchanan 1857 Truppen nach Utah schickte, um die Mormonen zur Verfassungstreue zu zwingen, musste Young vom Amt des Gouverneurs zurücktreten, behielt faktisch aber die Macht in Utah.
Vergessen wird häufig, dass unter seiner 29 Jahre dauernden Führung die Gleichberechtigung der Frauen gefördert wurde, Utah war, nach Wyoming, einer der ersten Staaten der Welt, der das Frauenwahlrecht einführte.
Der Tempel in Salt Lake City, der bis heute als das globale Zentrum der Mormonenkirche gilt, wurde von ihm am 6. April 1853 mit der Grundsteinlegung begonnen.
Obwohl er die Differenzen mit der amerikanischen Gesellschaft betonte, legte Brigham Young größten Wert auf patriotische Unterstützung des Staates. Er sorgte dafür, dass die Mormonen-Miliz im Krieg gegen Mexiko (1846-1848) diente.
Trotz seiner enormen Leistungen als Kirchenführer und Politiker, war Youngs Gesundheit fragil. Er infizierte sich mit Cholera und litt lebenslang unter schmerzhaften chronischen Darmentzündungen.
Sein Tod trat am 29. August 1877, mit 76 Jahren ein. Als Ursache wird eine Bauchfellentzündung vermutet.
Brigham Young hatte nicht nur die Mormonenkirche zu einer religiös und wirtschaftlich erfolgreichen Institution gemacht, die heute weltweit fast 17 Millionen Mitglieder zählt. Er war auch selbst sehr geschäftstüchtig gewesen und hatte sich an zahlreichen Firmengründungen beteiligt. So war er Teilhaber einer Transportgesellschaft, einer Fährschiff-Firma, einer Eisenbahn, einer Holzverarbeitungsfirma, einer Eisenfabrik und – entgegen der Tatsache, dass Mormonen der Konsum von Alkohol verboten ist – an einer Brennerei. Man schätzt, dass er zum Zeitpunkt seines Todes über ein Vermögen im heutigen Wert von 15 Millionen Dollar verfügte. Heutige Historiker sehen in ihm eine Persönlichkeit, die mit Großunternehmern wie John Jacob Astor und John D. Rockefeller zu vergleichen ist.
Young war an der Gründung von fast 350 Siedlungen im amerikanischen Südwesten beteiligt. Die von Young eingeleitete Kolonisation des amerikanischen Südwestens war entscheidend für die Inbesitznahme des Kontinents und hat die Pionierzeit Amerikas tief geprägt.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de