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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das nochmal mit Dr. Colin F. Taylor?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das nochmal mit Dr. Colin F. Taylor?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Ich will heute an einen meiner besten Freunde in dieser Welt erinnern, Dr. COLIN F. TAYLOR. Im September 2004 schied er mit 67 Jahren freiwillig aus dem Leben. Ein Verlust, den nicht nur ich, den viele Menschen in der Welt bis heute nicht verwunden haben.

Colin wurde im Laufe seines Lebens zu einem der weltweit führenden Kenner indianischer Plainskulturen. Geboren 1937 in der Nähe von Brighton, Süd-England, wurde er Physiker, der sein Leben lang am Hastings College unterrichtete. Er war einer der beliebtesten Lehrer an dieser Institution. 1948 gab es ein Schlüsselerlebnis in seinem Leben, als er an einem Sylvesterabend von einem Feuerwerkskörper getroffen wurde und ein Auge verlor. Im Krankenhaus begann er zu lesen. In der örtlichen Bibliothek gab es Bücher über Indianer, Publikationen des amerikanischen Bureau of Ethnology, darunter Schriften von Frances Densmore. Das weckte seine Leidenschaft, die ihn sein Leben lang nicht mehr losließ. So war es wohl kein Zufall, dass er in Brighton einen älteren Mann traf, der sich als ehemaliger Angestellter von Buffalo Bill Cody herausstellte, der bei den Europa-Tourneen für die Betreuung der Indianer dieser Show verantwortlich war. Dieser Mann muss wohl sehr beeindruckt von dem jungen Colin Taylor gewesen sein. Er verkaufte ihm für ein Taschengeld, wie Colin immer erzählte, neben anderen Erinnerungen von Buffalo Bills Wild West eine der Federhauben des berühmten Indianers IRON TAIL. Diese Haube war die Grundlage für die Taylor-Sammlung, die am Ende über 300 wertvolle indianische Artefakte umfasste. Dann traf Colin auf Edward Blackmore, den Gründer der „Grey Owl Society“, eine Gesellschaft, die das Erbe von Richard Belaney pflegte, dem „weißen Indianer“, der in Hastings geboren worden war und als „Grey Owl“ zu Weltruhm gelangte. Colin war zeitweise Chef dieser Gesellschaft.

Mit größter Leidenschaft graste der junge Mann die englischen Buchläden nach Indianerliteratur ab. Er besuchte alle Indianersammlungen des Landes. Seine Eltern unterstützten ihn. 1955 erschien sein erster Artikel über die Iron-Tail-Federhaube. Es begann eine nicht endende Zahl von Veröffentlichungen.

Als er längst ein angesehener Physiker war, schrieb er schließlich seine ethnologische Doktorarbeit, „Reading Indian Artifacts“. Seine vielen Veröffentlichungen in einschlägigen Fachmagazinen machten seinen Namen auch in den USA bekannt. Er erhielt Einladungen zu Vorträgen auf Plains-Indianer-Symposien.

Colin wurde eines der Gründungsmitglieder der noch heute bestehenden „English Westerners Society“. Als er erstmals zu einem Vortrag nach Amerika reiste, wurde er ein lebenslanger Freund des Senior Ethnologist der Smithsonian Institution, Dr. John Ewers, bis heute der maßgebliche Blackfeet-Forscher. Colin bereiste alle Indianermuseen Europas. Er begann Bücher zu veröffentlichen. In deutscher Sprache erschien das fundamentale Werk „Bildlexikon der Indianer“ beim Bertelsmann Verlag. Dieses Buch erschien in 12 Sprachen und erreichte über 1 Million Auflage.

Aber noch bevor dieses Werk erschien, lernte ich Colin Taylor kennen – als Kunde meines Verlags. Ich erinnere mich an seinen ersten Anruf bei mir. Eher scheu, bescheiden, zurückhaltend. Was er kaufte, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich starr vor Schreck war, als er am Telefon seinen Namen nannte. Ich sprach ihn respektvoll als „Dr. Taylor“ an und er antwortete: „Call me Colin.“ Das war der Beginn einer Freundschaft, wie sie besser nicht sein konnte. Ich fragte ihn nach einem Manuskript für mein MAGAZIN, und er schickte mir sofort das „Crow Rendezvous“. Ich übersetzte diesen Text und machte daraus das erste gemeinsame Buch. Es war tatsächlich auch das erste deutschsprachige Buch von Colin Taylor, noch bevor sein Weltbestseller erschien. Danach kreierte ich allein für ihn eine zweisprachige Buchreihe, in der ich seine wissenschaftlichen Arbeiten über materielle Kultur der Plainsindianer veröffentlichte. Und ich schuf das Imprint „Tatanka Press“. Insgesamt wurden es 10 Bücher wie „Hoka Hey – Scalps to Coups“, „Wapaha – die Plainsfederhaube“ und schließlich „Catlin’s O-Kee-Pa“, eine Zusammenarbeit mit dem BRITISH MUSEUM.

Wir telefonierten mehrmals pro Woche. Er besuchte mich auf der Insel Föhr. Ich besuchte ihn in Hastings. Wir saßen auf dem Fußboden in seinem mit indianischen Stücken vollgestopften Arbeitszimmer. Seine Manuskripte kamen teilweise handschriftlich an, wurden von mir in den Computer übertragen und dann ins Deutsche übersetzt.

Colins Ruhm wuchs, aber er blieb der bescheidene, liebenswürdige Wissenschaftler, von dem ich unendlich viel gelernt habe. Die dunkle Seite war – er litt unter furchtbaren Depressionen, die ihn immer wieder ohne Vorwarnung und ohne sachliche Grundlage überfielen.

Im September 2004 war ich in den USA und nahm zum erstenmal am großen Jesse-James-Reenactment in Minnesota teil. Voll mit überwältigenden Impressionen kehrte ich zurück und griff sofort zum Telefon, um Colin anzurufen. Am Apparat war mit tränenerstickter Stimme sein Sohn, der mir sagte, dass sein Vater sich in der Nacht zuvor aus dem Fenster gestürzt habe, nachdem er zwei Wochen lang unter den schlimmsten Depressionen gelitten hatte.

Diesen Tag, diesen Schock werde ich nie vergessen.

Colins grandiose Indianersammlung liegt heute im städtischen Museum von Hastings. Seine Studien, seine Artikel, seine Bücher aber bleiben. Zu seinen letzten großen Werken gehörte die Herausgeberschaft von PEOPLE OF THE BUFFALO, einer Festschrift für seinen Freund und Mentor, John C. Ewers.

Ich sehe es noch heute als Ehre an, dass ich diese beiden Bände produzieren durfte. Ich hatte die Möglichkeit, mit den bedeutendsten internationalen Indianerforschern der Welt zusammenzuarbeiten, die alle von Colin Taylor vereinigt wurden. Mein kleiner Fachverlag hatte damit seinen Durchbruch in den USA, und bis heute bin ich mit vielen dieser Wissenschaftler freundschaftlich verbunden. Dank Colin konnte ich selbst an amerikanischen Universitäten sprechen und in amerikanischen Magazinen schreiben. Dank Colin öffneten sich Türen, die entscheidend für meine eigenen Publikationen und meine Beziehungen in den USA wurden.

Sein enormes Wissen fehlt. Colin Taylor fehlt als Mensch. Ich habe letztlich eine Erinnerungsschrift an ihn produziert, die unter dem Titel „Ahxi Tapina“ erschien, dem Namen, den die Blackfeet ihm gaben: „Generous Man“ – „Der großzügige Mann“. Das wird ihm gerecht.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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