Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit David Thompson?
Wie war das mit David Thompson?
: Er gilt als einer der größten Entdecker der Neuen Welt, zumindest war er einer der wichtigsten Kartographen, die der nordamerikanische Kontinent je gesehen hat. Bei einigen Indianervölkern hatte er den Namen „Koo Koo Sint“ = Stargazer =“Sternengucker“.
DAVID THOMPSON starb am 10. Februar 1857.
Geboren wurde er am 30. April 1770 in London (England). Nach dem Besuch einer Armenschule in der Nähe der Westminster-Abtei, trat David Thompson mit 14 Jahren in die Dienste der schon damals bedeutenden HUDSON’S BAY COMPANY, wo er als Junior Clerk (eine Art Bürogehilfe und Schreiber) verpflichtet wurde. Damit begann sein Weg in die Neue Welt. Er traf im Jahr 1784 in der kleinen Siedlung Churchill in der Hudson’s Bay in Kanada ein. Hier arbeitete er in der Lageverwaltung, bewährte sich und wurde als Assistant Clerk in die Niederlassungen dieser mächtigen Pelzhandelsfirma am Saskatchewan River versetzt.
In jener Zeit begannen heftige Rivalitäten der Pelzhandelsfirmen untereinander. Die Hudson’s Bay, die zunächst ein absolutes Monopol hatte, den größten Teil des heutigen Kanada und die Region um die Großen Seen beherrschte, wurde von der 1779 in Montreal entstandenen North West Company herausgefordert, einer Firma, die überwiegend von Schotten betrieben wurde. Der Konkurrenzkampf im lukrativen Pelzhandel wurde immer schärfer.
David Thompson verließ die HBC 1797 und wurde ein North West Company-Mann. Hier erhielt er den Posten eines weitaus besser bezahlen Clerks – das waren im Pelzhandel die Prokuristen, die auch an den Umsätzen des Geschäfts beteiligt waren. Er zog in den Westen von Kanada und baute einen florierenden Handelsposten auf, dessen Kontakte auch in das Gebiet der heutigen USA reichten. (Damals war die Grenze zwischen Kanada und den USA noch hoch umstritten und nicht gefestigt.)
Als Grundlage für seine Handelsregion begann Thompson mit der Vermessung des Landes und der Erstellung von Landkarten. Es waren die ersten Landkarten des Gebiets entlang des Columbia River und aller Nebenflüsse. Diese Karten zeigten Thompsons wahres Talent. Sie besaßen eine solche Exaktheit, dass sie die Grundlage für moderne Landkarten im 20. Jahrhundert wurden. 1787 verschmolz die North West Company mit der Hudson’s Bay Company, und Thompson trat wieder in die Dienste seiner alten Firma. Diese erkannte schnell den Wert seiner Arbeit und schickte ihn von da an als Kartograph und Landvermesser in die Wildnis. Bis 1812 bereiste und kartographierte Thompson kanadische und amerikanische Gebiete in einer Größe von über 4 Millionen Quadratkilometern. Es ist Thompson zu verdanken, dass weite Gebiete Nordamerikas, die für die europäischen Mächte als „weiße Flecken“ galten, mit Strukturen gefüllt wurden. Thompson war einer der ersten Europäer, der dem mächtigen Columbia River von der Quelle bis zu seiner Mündung in den Pacific folgte. Er überquerte 1807 die Rocky Mountains.
Der englische Geologe John Bigsby schrieb über ihn: „Ich … muss mit großem Respekt von ihm sprechen, oder, ich sollte sagen, mit Bewunderung ... Kein lebender Mensch besitzt auch nur ein Zehntel seines Wissens über die Ländereien der Hudson's Bay ... Er hat einen sehr scharfen Verstand und eine einzigartige Fähigkeit, bildhaft zu erzählen. Er kann mit Worten eine Wildnis schaffen und sie mit kriegerischen Wilden bevölkern oder mit dir in einem Schneesturm die Rocky Mountains erklimmen. Wenn du die Augen schließt, kannst du den Knall eines Gewehrs hören oder die Schneeflocken auf deinen Wangen schmelzen spüren, während er spricht.“
Nur vier Monate nach der Expedition von Johann Jacob Astor erreichte David Thompson die Pelzhandelsniederlassung Astoria – die 1812 bei Ausbruch des Krieges zwischen den USA und England von den Briten übernommen wurde. Noch heute wird darüber spekuliert, was geschehen wäre, wenn er dieses Gebiet vor den „Astorianern“ erreicht und für England in Besitz hätte nehmen können. Das hätte in der Tat die Ansprüche auf den amerikanischen Nordwesten verändern können.
Als Angestellter der North West Company errichtete Thompson mehrere kleinere Pelzhandelsposten in Gebieten, auf denen sich heute die US-Staaten Washington, Montana und Idaho befinden. Man geht heute davon aus, dass Thompson ca. 20% des gesamten Kontinents bereist und vermessen hat. Das war eine immense Leistung für einen einzelnen Menschen, der immer wieder in die tiefste Wildnis vordrang. Noch 100 Jahre nach ihm waren seine Landkarten die Grundlage für die moderne Kartographie Kanadas.
Thompson lebte zeitweise in engen Kontakt mit den Métis, einem kanadischen Mischvolk, das durch die Verbindungen von schottischen Pelzhändlern mit eingeborenen Frauen entstand. Am 10. Juni 1799 heiratete er eine Métis-Frau, Charlotte Small, mit der er 13 Kinder zeugte. Die Ehe hielt 57 Jahre, bis zu seinem Tod. Es war eine der am längsten dauernden Ehen in jener Zeit in Kanada.
1815 setzte Thompson sich zur Ruhe. Er erhielt eine hohe Abfindung für seine Dienste. Aber durch Fehlspekulationen verarmte er im Laufe der Jahre. 1831 war er so sehr verschuldet, dass er noch einmal gezwungen war, Arbeit als Landvermesser anzunehmen. 1845 musste er ins Haus seiner Tochter und deren Mann unweit von Montreal ziehen. Hier begann er seine Memoiren zu schreiben; sie blieben unvollendet. Die unberührte Wildnis, die er so sehr geliebt hatte, sah er nie wieder.
David Thompson starb 1857 in Armut und von der Öffentlichkeit vergessen, die nicht einmal wusste, wem sie die Erforschung und Kartographierung Kanadas zu verdanken hatte. An seinem 100. Todestag 1957, gab die kanadische Regierung eine Briefmarke zu seinen Ehren heraus. Inzwischen tragen zahlreiche historische Stätten seinen Namen.
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Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de