Ukraine (und der Krieg von 2022) in Open Culture - Teil 3
Ukraine (und der Krieg von 2022) in Open Culture Teil 3
Was genau in der Ukraine geschieht, wird in den Medien intensiv begleitet, Krieg ist zu einem Medienereignis geworden, dessen Bilder unseren Alltag begleiten. Eigentlich sollte man meinen, dass Bilder nicht lügen können - dass Berichte, die wir sehen, auch die Wahrheit wiederspiegeln. Wenn man allerdings Berichte beispielsweise Russlands mit denen Deutschlands vergleicht, könnte man sich fragen, ob es sich um den gleichen Konlfikt handelt. Während die einen von einer Befreiungsaktion der unterdrückten russsisch-stämmigen Bevölkerung der Ukraine sprechen, sprechen wir von einem aggressiven Angriffskrieg Russlands gegen ein freies Land.
Angeblich soll es Aischylos gewesen sein, der sagte "das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit" - leider habe ich keine wirklich belastbaren Hinweise gefunden, von wem das Zitat wirklich stammte. Was allerdings stimmt ist die Tatsache, dass in einem Krieg Informationen und die unterschiedlichen Deutungen entscheidend dazu beitragen, wie die Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Kriegshandlungen diesen Konflikt wahrnehmen. In einer Welt der Medien, wie dies heute bei uns der Fall ist, gilt dies in besonderer Weise.
Angesichts der vielen Toten und Verletzten kann vielleicht die Frage gestellt werden, welche Notwendigkeit dafür besteht, sich um die Bewahrung von Kunst und Denkmälern Gedanken zu machen. Putins Wege der Kriegsführung haben klar gemacht, dass es für ihn darum geht, eine russische Einheit zu erreichen, die offenbar die drei Russland umfassen wird, Belarus ist dabei als politisch sehr nah bei Russland stehender Staat kein Problem, die Ukraine mit ihren Teilbestrebungen in Richtung Westen schon eher. "Identität" macht sich für Putin an mehr oder weniger großen Gemeinsamkeiten fest, die er in den beiden Staaten Ukraine und Russland sieht, wie groß diese tatsächlich sind, bleibt angesichts der großen inneren Zerrissenheit, die es in der Ukraine zu geben scheint, mindestens fraglich. In jedem Fall scheint Putins Armee gezielt nicht nur Wohnhäuser zu beschießen, sondern auch Museen, die sich mit den verschiedenen Aspekten der ukrainischen Geschichte beschäftigen.
"Kultrelles Erbe wird nicht nur von kriegerischen Konflikten beeinflusst", sagt Haydan Bassett, Direktor des Museums of Natural History’s Cultural Heritage Monitoring Lab. "Es sind Dinge, die verbindende Faktoren für eine Gesellschaft darstellen. Sie sind greifbare Reflektionen ihrer Gesellschaft."
Die ukrainische Geschichte hat zweifelsohne eine Menge Geschichte/Kultur, die es mit Russland verbindet, aber auch trennt.
Das Video auf Open Cultre greift die Tatsache auf, dass kulturelles Erbe ein wichtiger Grund in den Entscheidungen Putins darstellen. Es beginnt mit einem kleinen Museum, das einige Werke der ukrainischen Ausnahmekünstlerin Maria Prymachenko zeigte. Ihre Arbeiten, so beschrieb es einmal Picasso, waren spektakuläre Besonderheiten, nicht zuletzt, da sie nie eine Kunstschule besucht hatte. Ihre Kunst gilt als Teil der wichtigsten Werke der Ukraine im 20. Jahrhundert.
Es ist, so beschreibt das Video, ein ganz besonderer "Zufall", dass bei einem der russischen Angriffe ein kleines Museum, das einen Teil ihrer Arbeiten ausstellte, getroffen wurde und bis auf die Grundmauern niederbrannte, während in der ganzen Umgebung kein einziges Haus zerstört wurde. 25 ihrer Werke gingen verloren, ein kleiner Teil konnte von den Menschen der Umgebung gerettet werden, die teilweise ihr eigenes Leben riskierten, um Gemälde aus dem Feuer zu holen. Außer ihrer eigenen Gemälde waren dort noch Werke anderer ukrainischer Künstler ausgestellt worden, Vlada Litovchenko, Direktor der Gesellschaft zur geschichtlichen und kulturellen Bewahrung von Vyshhorod schrieb, es sei ein unersetzlicher Verlust von kulturellem Reichtum.
Das Bild einer Taube, die vor einem gelben Hintergrund mit roten Blumen schwebt und mit ausgebreiteten Flügeln um Frieden bittet, ist eines der Bilder von Maria Prymachenko. Es ist nur ein Beispiel für den unendlichen Reichtum an Geschichte und Kultur, die in der Ukraine zu finden sind.
Nach dem 2. Weltkrieg begann man im Nachgang der Haager Konvention 1954 in vielen Staaten damit, Denkmäler zu identifizieren, die als kultrelles Kulturgut schützenswert sind. Bei uns findet man auf vielen Kirchen, Museen, Schlössern usw das Internationale Kulturgutschutzzeichen, das eine der praktisch sichtbaren Auswirkungen der deutschen Bemühungen und Gesetzgebungen um den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten darstellt.
Die Ukraine versucht nun schon das zweite Mal innerhalb von 100 Jahren, wichtige Gebäude und Statuen vor der Zerstörung zu retten. Das oben genannte Video beschreibt, wie im zweiten Weltkrieg in vielen Staaten versucht wurde, das kulturelle Erbe zu bewahren. In diesem Krieg war es ganz ohne Zweifel nicht das erste Mal, dass Kulturgüter gefährdet waren, systematisch zerstört und geraubt wurden, aber es war das erste Mal, dass dies in Fotografien und auf Film festgehalten wurde. Viele Versuche heute ähneln natürlich denen von damals: Was nicht entfernt werden kann wird mit allen verfügbaren Materialien verpackt, die dazu beitragen, Druckwellen von Einschlägen abzudämpfen oder sie bei direkten Einschlägen zu schützen. Was entfernt werden kann wird eingelagert, aus den Städten gebracht und möglichst an geheimen Stellen versteckt, so dass es durch russische "Raubsoldaten" nicht gefunden werden kann.
Es ist gar nicht möglich, alles zu bewahren, beispielsweise die historische Stadt Lwiw (Lemberg), die als Teil des Weltkulturerbes gilt. Sowohl das Gesamtensemble als auch die einzelnen Gebäude stellen eine einzigartige Sammlng unterschiedlichster Stilrichtungen dar, entsprechend der vielen unterschiedlichen Einflüsse, die von den vielen verschiedenen Völkergruppen in dieser Stadt mitgebracht wurden. Gebäude in ihrer Gesamtheit, nochmal mehr gesamte Gebäudeensembles, lassen sich nur schwer schützen. Schon "völlig normale" Brände entwickeln enorme zerstörerische Kräfte, modernes Kriegsgerät lässt den Menschen kaum eine Chance.
Dabei ist Lwiw nur eine von insgesamt sieben Stätten des Weltkulturerbes in der Ukraine, die im Rahmen der Bemühungen der UNESCO für besonders schutzwürdig erachtet wurden. Dieses Weltkulturerbe gehört zu den Dingen, die im Nachgang der Hager Konvention von 1954 entstanden sind.
Weniger nachvollziehbar mag es scheinen, wenn man sich um die Bewahrung von Kultur im Internet bemüht. Immerhin gibt es bereits ein Netz von allen möglichen Versuchen, Inhalte von Webseiten auch über ihre Onlinezeit hinweg zu bewahren, zum Beispiel die unglaubliche Wayback Machine. Dort kann man unter anderem alte Designs des Zauberspiegels sehen (und sich bei Bedarf gruseln). Im Moment versuchen über 1000 Freiwillige ukrainische Seiten und Inhalte des Internets zu sichern und vor dem Versagen von Servern zu bewahren.
Mit der Hilfe diverser Crawler und Suchmaschinen versucht die Initiative Saving Ukrainian Cultural Heritage Online (SUCHO), neben Texten und reinen Webseiten auch Bilder von Gemälden und anderen Kunstwerken zu retten, die vielleicht analog für immer verloren gegangen sind - oder noch gehen können, denn eines kann man glaube ich getrost garantieren: So wie es heute kaum noch möglich ist eine Kultur in Zeiten des Internet völlig zu zerstören, so wahrscheinlich ist es, dass der Krieg in der Ukraine noch lange nicht vorbei sein wird.