Telepathie
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Telepathie
In der Science Fiction ist Telepathie für die verschiedensten Zwecke benutzt worden. Bei Arthur Bertram Chandler dienen Telepathen als "Funkoffiziere" auf den überlichtschnellen Raumschiffen, weil ihre Gedankenbotschaften ebenfalls wesentlich schneller reisen als das Licht. Diese Art des Einsatzes hat sich im Hintergrunduniversum für das Tabletopspiel Warhammer 40.000 erhalten.
Alfred Bester schilderte 1952 in "The Demolished Man" das Leben in einer Gesellschaft, in der Telepathie eine verbreitete Gabe ist und in der einem jederzeit ein Telepath über den Weg laufen kann und in der es keinen Schutz einer "geistigen Privatsphäre" gibt - wenn ein Telepath im Vorbeigehen Gedanken liest, die auf eine beabsichtigte Straftat hindeuten, ist er sogar verpflichtet, die Polizei zu informieren. Die Polizei beschäftigt dann auch die fähigsten Gedankenleser als Ermittler in ihren Fällen. Bei Bester haben sich die Telepathen in einer Gilde organisiert und pflegen untereinander zu heiraten, um ihre Gabe an ihre Kinder weiter zu geben und möglicherweise zu verstärken. Der Protagonist der Geschichte findet einen Weg, seine Gedanken zu verschleiern, und begeht den ersten geplanten Mord seit langer Zeit.
Jack Vance schickte 1966 in der Kurzgeschichte "Nopalgarth" Extraterrestrier zur Erde, die ein paar ausgewählte Menschen von den "Nopals" befreien - parasitäre Wesen der Astralebene, die auf der Erde beheimatet sind und alle Menschen befallen haben, wobei die Nopals die angeborenen telepathischen Fähigkeiten ihrer Wirte unterdrücken. Schnell finden die Befreiten heraus, dass das menschliche Zusammenleben in der gewohnten Form nur funktioniert, weil man die Gedanken der anderen eben nicht lesen kann ...
Aber wie sieht die seriöse Wissenschaft das Senden, Übertragen und Empfangen von Gedanken?
1960 erschien in der Februarausgabe der französischen Zeitschrift "Science et Vie" ein Bericht von G. Messadié über amerikanische Versuche, telepathischen Kontakt zu einem getauchten U-Boot herzustellen. Bei dem Boot handelte es sich um das erste nuklear angetriebene U-Boot der Welt, die USS "Nautilus" (SSN-571), und die Versuche fanden angeblich während der Unterquerung des Nordpols im August 1958 statt. Die Amerikaner streiten bis heute ab, dass es solche Experimente gegeben hätte.
Das war eine bedrohliche Entwicklung für die Sowjetunion. Dort hatte man 1955 zum ersten Mal von einem U-Boot eine ballistische Rakete abgeschossen (das dafür allerdings auftauchen musste). Allerdings gab es keine Möglichkeit, einem U-Boot unter Wasser einen Startbefehl zu übermitteln. Falls es den USA gelingen sollte, einen Weg dazu zu finden, dann könnten sie theoretisch zahlreiche raketenbestückte Boote uner dem Polareis zu parken, die nur für einen Angriff auftauchen und ihre Flugkörper starten mussten. Die Zeit, um auf diesen Überraschungsangriff zu reagieren, wäre drastisch beschnitten worden.
Also beschäftigte sich die sowjetische Wissenschaft intensiv mit Parapsychologie - auch wenn übersinnliche Fähigkeiten nicht so ohne Weiteres ins materialistische Weltbild passen wollten. Diesen Spagat hatte man bereits unter Stalin geübt, der den polnischen Juden Wolf Gregorewitsch Messing zu seinem Medium ernannt hatte. Eine von Messings bekanntesten Leistungen war ein Banküberfall, bei dem er dem Kassierer ein leeres Blatt Papier auf den Schalter legte und ihm dabei das Bild einer Zahlungsanweisung suggerierte. Mit einer sehr ähnlichen Vorgehensweise verschaffte Messing sich bei einer späteren Aufgabe Zugang zu Stalins streng bewachtem Landhaus - er schaffte es, den Wachleuten und Leibwächtern den Eindruck zu vermitteln, er sei Lawrenti Berija, dem er nicht im Mindesten ähnlich sah.
Laut Messing war das Hauptproblem beim Lesen von Gedanken für ihn, den richtigen Sender aus dem allgemeinen Rauschen herauszufiltern.
In den 60er Jahren trat der Schauspieler Karl Nikolayev in Erscheinung, der von Moskau aus seinem Partner Juri Kamenski im 2700 Kilometer entfernten Nowosibirsk geometrische Figuren übermittelte. Nikolayevs beste Erfolgsquote lag bei zwölf Treffern bei zwanzig Übertragungen. Die Versuche fanden unter der Aufsicht von Ippolit M. Kogan statt, der die Sektion "Bioinformation" der "A.S.Popov-Gesellschaft für Radiotechnik und elektrische Kommunikation" (benannt nach dem russischen Radiopionier Alexander Stepanovich Popov, 1859 - 1906). Kogans Beitrag "Informationsanalyse telepathischer Experimente" wurde 1969 ins Englische übersetzt und veröffentlicht.
Die amerikanischen Parapsychologen Sheila Ostrander und Lynn Schroeder reisten Ende der 60er Jahre durch die Sowjetunion und einige andere Staaten des Ostblocks und veröffentlichten anschließend 1970 das Buch "Psychic discoveries behind the Iron Curtain".
Die so unter der Logik des Kalten Krieges entstandene Situation beschreibt ein Dialog aus dem Film "Männer, die auf Ziegen starren" recht gut:
A:"Seit wann forschen die Sowjets auf diesem Gebiet?"
B:"Wie es scheint, haben sie von unserem Versuch erfahren, auf telepathischem Wege mit einem unserer nukleargetriebenen U-Boote zu kommunizieren, der Nautilus, während sie den Nordpol unterquerte."
A:"Was war das für ein Versuch?"
B:"Es hat ihn nie gegeben. Offenbar nur eine Falschmeldung der Franzosen. Aber die Russen halten die Geschichte über die Falschmeldung der Franzosen nun ebenfalls für eine Falschmeldung, Sir."
A:"Sie betreiben paranormale Forschung, weil sie glauben, wir betreiben paranormale Forschung? Aber wir betreiben keine paranormale Forschung!"
B:"Ja, aber da sie angefangen haben, paranormale Forschungen zu betreiben, müssen wir auch paranormale Forschung betreiben, Sir. Wir können es uns nicht erlauben, den Russen auf diesem Gebiet das Feld zu überlassen."
In der Öffentlichkeit allerdings nahm man im Westen die Psi-Forschung der Sowjetunion nicht ernst. Ein Paradebeispiel dafür ist der Artikel "Über ihrem Kopf ein Leuchten" im der SPIEGEL-Ausgabe vom 20. April 1981.
1979 liess dann die Volksrepublik China durchsickern, man habe einige tausend Kinder zwischen 8 und 14 Jahren mit besonderen Talenten in entsprechenden Ausbildungsprogrammen. Ein Artikel darüber in der Januarausgabe 1985 des Science-Fiction-Magazins OMNI sorgte für einige Aufmerksamkeit.
Aber seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges ist es wieder erstaunlich still geworden, was die paranormalen Forschungsarbeiten angeht ...
Kommentare
Was denn, Bertram Chandler, Bester und Vance, aber nicht Silverberg?
"Es stirbt in mir" war in der engeren Auswahl, auch wenn ich den Roman nie gelesen habe. Aber da geht's doch (meine ich) nur um einen Einzelnen, der seine Gabe verliert - nicht um die Auswirkungen auf die Welt, in der wir leben, falls Telepathen erst einmal in nennenswerter Anzahl vorkommen.
Bei Cordwainer Smith ist auf Norstrilia das "Hörren" und "Sprekken" von Gehirn zu Gehirn zum Beispiel so normal, dass jemand wie Rod McBan (in "Der Planetenkäufer"), der nur sporadisch "hörren" und ganz, ganz selten "sprekken" kann, als Behinderter gilt.
Marion Zimmer Bradley: Darkover-Zyklus.
Wilmar Shiras: Kinder des Atoms.
Theodore Sturgeon: Baby ist drei.
Da geht noch was.
Aus der Science-Fiction? Bestimmt. Aber ich persönlich wäre ja viel, viel glücklicher, wenn jemand noch etwas zu paranormalen Forschungen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zu schreiben hätte ...